Die Securities and Exchange Commission (SEC) hat im September einem Whistleblower die Rekordsumme von 30 Millionen Dollar ausgezahlt, weil er sich mit konkreten Informationen an die Aufsichtsbehörde wandte und einen großen Betrugsfall offenlegte. Der Fall heizt seitdem die Debatte über den möglichen Beitrag solcher Enthüller interner Praktiken für eine gesetzmäßige und ethische Geschäftsführung an.
Viele Whistleblower nehmen für ihre Enthüllungen bekanntlich keine Schecks entgegen. Im Gegenteil: Sie riskieren Benachteiligungen am Arbeitsplatz, berufliche Rückschläge, manchmal sogar Freiheitsstrafen. In der G20-Runde wird derzeit an einem verbessertem Schutz für Whistleblower gearbeitet.
Generell gilt, dass die bekanntesten Whistleblower in der Vergangenheit jene waren, die aus ihrer Sicht politische Missstände in die Öffentlichkeit trugen. So zum Beispiel der US-Amerikaner Daniel Ellsberg, der 1971 geheime Pentagon-Papiere über politische Täuschungsmanöver im Vietnamkrieg an Zeitungen weitergab, oder sein heute im russischen Asyl lebender Landsmann Edward Snowden, der im Sommer 2013 die Überwachungs- und Spionagepraktiken westlicher Geheimdienste enthüllte.
Weniger bekannt sind hingegen jene Whistleblower aus der Wirtschaft, die das Verhalten ihrer eigenen Unternehmen anprangern. Zu ihnen zählt der Brite Michael Woodford. Er decke nach seiner Berufung zum ersten nicht-japanischen CEO von Olympus im Jahre 2011 verlustreiche Wertpapiergeschäfte auf. Mehr als zwanzig Jahre lang hatte Olympus rund 1,7 Milliarden Dollar Verluste in der Bilanz versteckt. Die Aufdeckung führte zunächst zu Woodfords Rauswurf, endete aber mit Gefängnisstrafen für Chairman Tsuyoshi Kikukawa und Vizepräsident Hisashi Mori. Woodford erhielt später in einem Vergleich von dem Kamera- und Medizingeräte-Hersteller 15,4 Millionen Dollar. Woodford wurde zudem in die britische Whistleblowing Commission berufen.
Deutschland wird in Sachen Whistleblowing – trotz großer Fortschritte bei den Dax-Firmen – von der OECD, der G20 und dem Europarat als noch immer rückständig kritisiert. Die meisten Schlagzeilen zum Thema kommen derzeit aus den USA. Dort belohnte die SEC im Jahre 2013 einen Informanten mit 14 Millionen Dollar, nachdem er umfassenden Betrug an ausländischen Investoren in Chicago offengelegt hatte. Die jüngste Belohnung für einen anonymen Whistleblower Ende September verdoppelte diesen bisherigen Rekord.
Rechtsexperten und Anwälte sind aber nicht nur über die Summe begeistert. Chip Phinney, ein Partner in der Anwaltskanzlei Mintz, Levin, Cohn, Ferris, Glovsky & Popeo in Boston lobt, dass die SEC ihr Whistleblower-Programm über die Grenzen der USA ausdehnt. „Über ein Viertel der Belohnungen ist an Empfänger in Übersee gegangen", sagt Phinney und bestätigt damit die in den USA häufig geübte Kritik, dass andere Länder zu wenig Anreize schaffen, um Whistleblower zu motivieren. „2013 zahlte die SEC viermal Geld aus", sagt der Anwalt John Carney, ein Partner in der New Yorker Kanzlei Baker & Hostetler, „2014 waren es schon neunmal, und es ist das vierte Mal, dass ein Ausländer Geld bekommt."
453 Millionen Dollar für die Belohnung von Hinweisgebern hatte die SEC ihrem Jahresbericht Ende 2013 zufolge in der Kasse. Es steht aber nicht nur viel Geld zur Verfügung. Laut SEC-Direktor Andrew Ceresney zufolge beanstandete die Behörde im laufenden Jahr schon 21 Prozent mehr Firmenbilanzen als im gesamten Vorjahr. Laut einer Umfrage der Kanzlei Norton Rose Fulbright in New York unter 400 Firmenjuristen heuerten in den vergangenen zwölf Monaten 53 Prozent aller Unternehmen von 100 Millionen bis zu einer Milliarde Dollar Umsatz externe Anwälte an, um Hilfe bei laufenden Untersuchungen von Finanzbehörden in Anspruch zu nehmen.
Die SEC, sagen Experten, wird unter ihrer Chefin Mary Jo White, einer früheren New Yorker Bezirks-Staatsanwältin, immer forscher. Und die Politik spielt mit. Der Kongress hat seit der Finanzkrise das Budget der SEC um 42 Prozent auf 1,35 Milliarden Dollar aufgestockt. Das laufende Whistleblower-Programm hatten die Kongress-Abgeordneten schon 2010 durchgewunken. Damals noch unter dem Eindruck, dass die SEC es versäumt hatte, einem Hinweis auf den Serienbetrüger Bernard Madoff nachzugehen. Im Juli 2013 setzte die SEC eine Eingreiftruppe für Bilanzangelegenheiten ein, die mehr Betrugsfälle aufdecken soll. Mit neuer Technologie, aber vor allem mit einer besseren Motivierung von Hinweisgebern, sollte das Ziel erreicht werden. Ende August wurde mit 300.000 Dollar erstmals ein Bilanzprüfer in einem börsennotierten Unternehmen für Hinweise belohnt.
Doch nicht immer zieht das viele Geld. Der Hedgefonds-Manager Bill Ackman lockte mit seinem Angebot an die Herbalife-Beschäftigten, zehn Jahre lang jeweils 250.000 Dollar Belohnung für Hinweise auf einen Betrug des Unternehmens an Mitarbeitern oder Kunden zu zahlen, niemanden hinter dem Ofen hervor. Die Risiken für Beschäftigte, die tatsächlichen oder angeblichen Betrug ihrer Vorgesetzten enthüllen, sind oft groß, der Leidensweg lang.
Der ehemalige Luftsheriff Robert MacLean, der 2006 den US-Medien steckte, wie die Luftfahrtbehörde mit dem Streichen der Sicherheitsleute auf Langstreckenflügen Geld sparen wollte, kämpft bis heute vor Gericht gegen seine Entlassung. Der ehemalige NSA-Manager Thomas Drake, der 2006 der Zeitung Baltimore Sun Details des geplanten Abhörprogramms „Trailblazer" verriet, wurde wegen Spionage angeklagt. Nachdem die Regierung zehn Anklagepunkte fallen ließ und Drake die nicht autorisierte Benutzung eines Regierungsrechners zugab, endete er als Teilzeitverkäufer in einem Apple-Laden.
Das Schutzgesetz von Barack Obama von 2012 hat wenig an den Gefahren für die Hinweisgeber geändert. In den US-Firmen herrscht derweil die Sorge, dass großzügige Belohnungen für „singende" Insider dazu führen, dass interne Hinweisverfahren in den Firmen umgangen und damit geschwächt werden. Und die Harvard-Anwältin Shanti Atkins beim Compliance-Softwareanbieter Navex Global beklagt, dass die SEC zu wenig Informationen über ihre Fälle preisgebe. Firmen, die ihre internen Prozesse gegen Betrug verbessern wollten, könnten daraus nichts lernen. „Die Geschäftswelt fragt sich", so Atkins, „ob die SEC mehr Firmen vor den Kadi ziehen will oder ob es ihr darum geht, die Aktionäre durch eine bessere Integrität in den Firmen zu schützen."
Die G20 wollen bei ihrem nächsten Gipfel über einen besseren Schutz von Whistleblowern beraten. Das Financial Stability Board, das auch für die neuen Basel-Richtlinien zuständig ist, hatte im April Finanzdienstleister rund um den Globus aufgefordert, „angemessene Prozeduren für Whistleblower einzuführen." In Deutschland hat sich in jüngster Zeit einiges getan. „Die meisten Dax-Unternehmen haben bereits Hinweissysteme, teils sehr aufwändig und für Tochterunternehmen weltweit gleich in zwanzig Sprachen", sagt die Rechts-Expertin Kathrin Scheicht.
Doch der Schutz von Geheimnisenthüllern lässt hierzulande immer noch zu wünschen übrig. Das deutsche Whistleblower-Netzwerk und Transparency International haben Ende 2013 eine Studie vorgelegt, wonach „die Situation von Whistleblowern in Deutschland leider noch deutlich schlechter ist, als es in der von Transparency International vorgestellten Zusammenfassung zum Whistleblowerschutz in 27 EU-Staaten zum Ausdruck kommt." Die Nicht-Regierungsorganisation hat kritisiert, dass sich in Deutschland der Begriff des Whistleblowers nur zögerlich durchsetzt. „Nur bei uns hat der Whistleblower das Stigma des Denunzianten." Die OECD hatte 2011 Deutschland aufgefordert, ihre Empfehlungen für Whistleblower in der Privatwirtschaft umzusetzen, was bis heute nicht in vollem Umfang geschehen ist.