Der Eiffelturm. Nachts, nur ein Paar ist noch auf der Aussichtsplattform. Alles wirkt schwarz-weiß, selbst Paris scheint im Dunkeln zu liegen – bis die beiden an das Geländer der Plattform treten. Und der Gentleman des Duos sein Handy herausholt. Ein Klick darauf, dann ist die Dame an seiner Seite tief beeindruckt: Paris erwacht funkelnd zum Leben, im Beat seines Telefons.
Der junge Mann in Hut, offen getragenem, super-modischen Mantel, heißt Justin Timberlake. Das Ganze ist ein Reklame-Clip des Pariser Mode-Labels Givenchy für das Givenchy-Parfum ‚Play for Her‘ aus dem Jahr 2010. Ein Verkaufshit der Franzosen, bis heute: Auch im ausklingenden Jahr 2015 macht Givenchy damit noch hohen Umsatz.
Den Duft haben die französischen Luxusschneider natürlich nicht selbst zusammengerührt. Er stammt aus den Labors von Symrise, eines deutschen Mittelständlers, mittlerweile die Nummer drei der Branche hinter Givaudan und Firmenich. Dazu hat der Duft- und Aromenhersteller aus Holzminden insbesondere den französischen Rivalen Diana gekauft.
Symrise ist derzeit allerdings nicht das einzige deutsche MDax-Unternehmen, das im Ausland zukauft. Und das, obwohl deutsche Mittelständler im globalen Maßstab eher als vorsichtig gelten, wenn es um Übernahmen jenseits der Landesgrenzen geht. Doch die Vorsicht scheint zumindest vorübergehend in den Hintergrund zu treten.
Beispiele sind neben der Übernahme des französischen Rivalen Diana durch Symrise etwa der Swisslog-Kauf durch den Roboter- und Anlagenbauer Kuka. Dazu kommt die starke Aufstockung des Anteils, den Springer im September 2015 bei der Finanzwebseite Business Insider bekanntgab, der Erwerb des US-Unternehmens Centor durch Gerresheimer in Juli 2015 und der Kauf zweier US-Firmen durch Brenntag im Dezember 2015.
Als Motiv scheint dafür der Wunsch nach Diversifizierung in einer zunehmend volatilen Welt die zentrale Rolle zu spielen. Genannt wird aber auch das Investment in langfristig intaktes Wachstum auf dem Heimatkontinent sowie in den großen Schwellenmärkten. Zudem die Investition in neue Marktsegmente wie das ‚Internet der Dinge‘, all das finanziert mit billigem Geld von Notenbanken, oft aber auch gestützt auf viel Eigenkapital.
Bewertet man die Akquisitionen für den kurzen Zeitraum, seitdem sie gemeldet wurden, dann sehen sie vorerst erfolgreich aus.
Symrise zum Beispiel profitiert offensichtlich von der Übernahme des französischen Wettbewerbers Diana. Zwar hatte der deutsche MDax-Konzern für die Akquisition 1,3 Milliarden Euro hingeblättert. Doch Vorstandschef Heinz-Jürgen Bertram bestätigte dem Handelsblatt dadurch Marktanteilsgewinne auf breiter Front. Überhaupt habe Diana die Erwartungen nach der Integration in den Symrise-Konzern in 2015 „mehr als erfüllt“.
Von Januar bis September 2015 stieg der operative Gewinn (Ebitda) von Symrise in der Tat um 30 Prozent. Und während der Markt für Aromen und Duftstoffe in dieser Zeit insgesamt nur um 2 bis 3 Prozent wuchs, konnte Symrise den eigenen Umsatz um 29 Prozent steigern. Seit Jahresbeginn 2015 bis Mitte November 2015 ist der Aktienkurs des MDax-Unternehmens dann auch um 20 Prozent gestiegen.
Der Erfolg hat Symrise selbstbewusst gemacht. Der Chemiekonzern hat Ende Oktober 2015 prompt die nächste Übernahme bekanntgegeben: Für umgerechnet rund 370 Millionen Euro hat Symrise das Spezialchemie-Unternehmen Pinova in den USA gekauft.
Bei der Augsburger Kuka ist es etwa ein Jahr her, seit die Übernahme des Schweizer Spezialisten für Logistikanlagen, Swisslog, bekannt gegeben wurde. Kuka, das bisher stark von den Bestellungen der Autohersteller abhing, will mit der Übernahme unabhängiger von der Autokonjunktur werden. Swisslog ist ein Spezialist für Anlagen, die in Krankenhäusern sowie Lagern und Verteilzentren zum Einsatz kommen.
Weil Kuka zuvor schon den fränkischen Mittelständler Reis Robotics übernommen hatte, erfreuen sich die Augsburger kräftiger Zuwächse bei Umsatz und Gewinn. Logistik und Gesundheit sind zwei Branchen mit Zukunft, sagen Experten, wegen der Vergreisung westlicher Gesellschaften und der Infrastrukturprojekte in großen Schwellenländern und zunehmend auch in Volkswirtschaften wie Deutschland.
Kuka meldete vor allem dank der Swisslog-Übernahme für das Quartal bis September 2015 einen Umsatzzuwachs von 34 Prozent. Die Aktionäre sind offenbar von der Wachstumsstrategie überzeugt: Der Aktienkurs von Kuka legte im Jahr 2015 bis Anfang November um 38 Prozent zu.
Auch der Springer-Konzern treibt mit einer internationalen Übernahme seine Strategie voran. Es geht um die wachsende Digitalisierung, angesichts der Auflagenverluste, die traditionelle Printmedien seit Jahren verbuchen. Springer verkündete im September 2015, dass die Anteile an der Internetseite Business Insider für umgerechnet über 300 Millionen Euro von 9 auf 97 Prozent aufgestockt wurden.
Laut Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner geht es bei der Transaktion zunächst mehr um eine höhere Reichweite und erst danach um die Profitabilität.
Zuvor ließ bereits die Düsseldorfer Gerresheimer aufhorchen. Das Unternehmen hat für 655 Millionen Euro den amerikanischen Verpackungshersteller Centor gekauft. Seit Anfang Oktober 2015 sei die US-Firma in den Gerresheimer-Konzern integriert, berichtete Gerresheimer selbst im Oktober 2015. „Ab 2016 wird Centor dann zu einem deutlichen Gewinnanstieg führen“, zitierte das Handelsblatt den Gerresheimer-Chef Uwe Röhrhoff am 8.10.2015.
Ebenfalls in den USA kaufte zuletzt der Ruhrgebietskonzern Brenntag ein. Gleich zwei Firmen, beides Chemiekalienhändler wie die Brenntag selbst, hat das Unternehmen aus Mühlheim/Ruhr am 5. Dezember 2015 für 440 Millionen Euro übernommen – die J.A.M. Distributing Company in Houston sowie G.H. Berlin-Windward mit Sitz in Manchester, New Hampshire.
Brenntag erwartet, dass beide Unternehmen zusammen im kommenden Geschäftsjahr 2016 einen Umsatz von 780 Millionen Dollar zum gesamten Konzernumsatz beisteuern werden; in 2014 erlöste Brenntag 10,01 Milliarden Euro.
Woher kommt diese auffällige Übernahmeaktivität unter den börsennotierten deutschen Mittelständlern im MDax? Selbst Experten sind teilweise überrascht. So zitierte Juve im Oktober 2015 einen bekannten M&A-Anwalt zu den traditionell eher zögerlichen internationalen Zukäufen deutscher Mittelständler: „Das ist für uns als Deal-Anwälte enttäuschend, spiegelt aber die Stärke des deutschen Mittelstands wider: eine Sache wird nur dann angepackt, wenn sie sicher ist.“
Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hatte allerdings schon zu Beginn dieses Jahrzehnts eine „steigende Zahl der im Ausland engagierten kleinen und mittelgroßen Unternehmen“ zutreffend vorhergesagt. Am 16. September 2015 zitierten die Mittelstand Nachrichten den Industrieberater Frank Goerlitz, der den mittelgroßen Firmen dazu im Ausland ‚Carve-Out-Deals‘ empfiehlt. Dabei übernehmen Mittelständler im Ausland jenen Firmenteil eines Konzerns, der floriert und in ihr Portfolio passt.
Durch entsprechende Direktinvestitionen im Ausland und den Exportboom der vergangenen 15 Jahre hängt laut Bundeswirtschaftsministerium mittlerweile nicht nur jeder zweite hiesige Industriearbeitsplatz vom ab. Die deutsche Exportwirtschaft hat durch verstärkte Lieferungen an Auslandsmärkte auch eine bessere Kenntnis der Verhältnisse vor Ort gewonnen – womöglich ein weiterer Faktor dafür, dass Deutschlands Mittelständler anscheinend einen Teil ihrer traditionellen Zurückhaltung vor Käufen im Ausland aufgeben.
„Heute sind es vielfach auch kleinere Unternehmen zwischen 100 und 500 Mitarbeitern, die nicht nur im Ausland produzieren wollen, sondern auch die zunehmend kaufkräftigen Märkte für sich entdecken“, sagte Axel Schmied schon im Mai 2014 in der Computerwoche; Schmied ist Country Operations Manager des Geschäftsbereichs Mittelstand für den deutschsprachigen Raum beim ERP-Spezialisten Sage.
So gab zum Beispiel Europas führender Tickethändler, die Bremer CTS Eventim, im Frühjahr 2015 bekannt, auch er nehme verstärkt Märkte im Ausland ins Visier. Das zu diesem Zeitpunkt frisch in dem MDax aufgerückte Unternehmen sieht demnach vor allem in Lateinamerika und Russland große Chancen.
Entsprechend dann auch ein Befund aus einer aktuellen Umfrage von EuroChambres unter 750 Mittelständlern auf dem Kontinent: Demnach werden trotz der 2015er Flaute in den großen Schwellenmärkten in den Jahren von 2015 bis 2020 stolze 90 Prozent des globalen Wirtschaftswachstums „außerhalb Europas erwartet.“
Wie gut beraten die MDax-Firmen mit ihrem Engagement dort langfristig sein werden, ist jedoch schwer vorherzusagen. Wie schnell die großen Schwellenmärkte nach den Einbrüchen im Jahr 2015 wieder auf die Beine kommen, ist ungewiss. Ihre wirtschaftliche Entwicklung könnte im schlimmsten Fall über Jahre stagnieren.
Immer wieder haben hiesige Firmen für ihre Übernahmen auch stattliche Summen hingeblättert und mussten anschließend schwer kämpfen, um die Investition zu rechtfertigen.