Kurzes Aufatmen bei den Aktionären von Tom Tailor, denn er ist wieder da: Ein paar Tage war Chinas Milliardär und Tom-Tailor-Großaktionär Guo Guangchang verschwunden. Das chinesische Magazin Caixin hatte am 13. Dezember 2015 sogar berichtet, der Tycoon sei für seine Mitarbeiter nicht mehr erreichbar. Das war er wohl auch nicht – bis zum heutigen 17. November 2015. Dann meldete sich der reichste Mann Chinas zurück von einer „privaten Angelegenheit“. Der Tom-Tailor-Aktienkurs schoss daraufhin in Deutschland um mehr als 6 Prozent in die Höhe.
Es war die einzige positive Nachricht für die Tom-Tailor-Aktionäre seit Monaten.
Die Hamburger Modefirma hatte erst im September 2015 die Gewinnprognose gekürzt und Sparmaßnahmen angekündigt, der Aktienkurs des Schneiders stürzte zwischen Mitte März 2015 und Mitte Dezember 2015 von einst 13,80 Euro auf 3,50 Euro. Das ist drastisch, aber in der Tendenz typisch für die hiesige Branche. Denn es herrscht Dauerkrise bei Deutschlands Modefirmen.
Esprit beispielsweise schockte die Börse schon im Sommer 2015 mit einer Gewinnwarnung; sie folgte auf sieben Jahre mit Umsatzrückgängen. Die Esprit-Börsennotierung rangiert mit 0,92 Euro Mitte Dezember 2015 nur noch auf Pennystock-Niveau.
Die Adler Modemärkte stöhnen kurz vor Weihnachten 2015 über das zu warme Wetter für den Verkauf von Winterkleidung, die Aktionäre des Unternehmens über einen Kursverlust ihres Investments von alleine 30 Prozent im Jahresverlauf 2015. Und die Luxusmarke Strenesse wiederum betreibt seit 2014 gar ein Insolvenzverfahren in eigener Regie und sucht fieberhaft Investoren.
Mehr noch: Selbst eine Topmarke wie Hugo Boss, die eine ehrgeizige globale Wachstumsstrategie verfolgt, spricht Gewinnwarnungen aus. Bei Hugo Boss waren die Gründe dafür enttäuschende Geschäfte in China und den USA, die zuletzt für Gewinnrückgänge sorgten.
Was ist los, in der geplagten Branche?
Eine ganze Menge, wie sich zeigt. Auf breiter Front herrscht in diesem Gewerbe Gegenwind. Der starke Dollar hat für viele Unternehmen der Branche die Beschaffung verteuert. Das zehrt an den Margen und erzwingt Kostensenkungen. Hinzu kommen der Markteinbruch in Russland und das gebremste Wachstum in China, das vor allem im Luxus- und High-End-Segment Bremsspuren hinterlässt.
Brancheninsider berichten, dass wohlhabende Chinesen derzeit weniger europäische Luxusartikel kaufen. Grund ist die Abwertung der chinesischen Landeswährung Yuan zum Hongkong-Dollar; sie verteuert die Waren für Touristen aus der Volksrepublik in der Sonderverwaltungszone. Die Unternehmensberatung Bain prognostiziert nun für 2015 in der Region Asien-Pazifik bestenfalls eine Stagnation der Verkaufserlöse im Luxusmarkt.
Dem Luxusmodehersteller Strenesse ist dann auch nach einer internationalen Expansion das Geld ausgegangen. Anfang 2014 akzeptierten die Gläubiger ein Sanierungskonzept, das dem Unternehmen bis 2017 Zeit gibt, um aus dem schwierigen Fahrwasser zu kommen. Seitdem hat Strenesse seine Kosten nach eigenen Angaben um mehr als 40 Prozent gesenkt, die Kollektion drastisch gestrafft, die Zahl der Beschäftigten um rund ein Viertel verringert. Die Produktion in Europa soll hochgefahren werden, um schneller auf den veränderten Markt reagieren zu können.
Doch ein neuer Investor, den das Unternehmen zum Überleben nach Meinung von Insidern braucht, wurde noch nicht gefunden. Anfang Dezember 2015 räumte Strenesse-Finanzvorstand Gerhard Geuder ein, dass die Planzahlen bei Umsatz und Ergebnis in den ersten sechs Monaten des aktuellen Geschäftsjahres knapp verfehlt wurden.
Im Herbst 2015 sprang ein Investor kurz vor der Unterzeichnung eines Deals ab. Laut Geuder wird mit mehreren Investoren weiter gesprochen. Sie könnten anbeißen, weil das Unternehmen zuletzt wieder schwarze Zahlen schrieb.
Hektische Aufräumarbeiten allerorten.
Gerry Weber muss im Februar 2016 in Osnabrück sogar Filialen schließen, die erst 2012 eröffnet worden waren. Doch der Überschuss des Unternehmens ist im dritten Quartal 2014/2015 auf nur noch 300.000 Euro geschmolzen. Im selben Quartal des Vorjahrs waren noch 10,4 Millionen Euro Überschuss verbucht worden. Jetzt werden eben Filialen geschlossen, Stellen gestrichen und die Expansion gedrosselt.
Längst wird auch bei Esprit hart an einem Turnaround gearbeitet. „Wir hatten nicht immer gute Produkte in den vergangenen Jahren“, zitierte die Welt den Esprit-Vorstandschef José Manuel Martinez. Er will einen zweistelligen Millionenbetrag in neue Geschäfte, in die Modernisierung bestehender Läden und in den Ausbau des Online-Geschäfts investieren.
Dennoch wird die verschärfte Konkurrenz durch Schwedens H&M und die spanische Inditex bleiben, etwa mit ihrer Marke Zara. Esprit ist eines ihrer prominentesten Opfer, bisher scheinbar ohne echte Antwort auf die globalen Giganten aus Schweden und Spanien.
Weder produzieren die deutschen Ketten wie Esprit, Tom Tailor oder Gerry Weber glamouröse Hingucker für das oberste Preissegment, noch Massenware zu ausgesprochenen Billigpreisen. Zudem können viele hiesige Modefirmen nur schwer mit dem Kollektions-Tempo von H&M und Inditex Schritt halten.
Die bringen in immer kürzeren Abständen neue Waren in ihre Läden. Und hängen bleibt dort nur, was schnell gut läuft. Deshalb sind bei den Branchengrößen mittlerweile Kollektions-Wechsel alle zwei Wochen problemlos möglich – das hat seinen Grund.
Ob H&M oder Zara: Die Großen produzieren auch in Europa, Änderungen an der Kollektion können binnen Tagen in die Geschäfte hierzulande kommen. Deutschlands Modeketten von Tom Tailor über Esprit bis zu Adler aber produzieren vielfach tausende Kilometer entfernt, auch der niedrigen Löhne dort halber.
Dafür brauchen die Waren eben ihre Zeit, bis sie aus etwa Thailand in deutschen Einkaufscentern angekommen sind. Manchmal erst, wenn der Trend vorbei ist, weil H&M oder Zara zwischenzeitlich einen neuen gesetzt haben – oder mittlerweile auch die irische Kette Primark. Dort gibt es nichts, was teurer als 50 Euro ist.
„Primark ist ein großer Game-Changer unserer Industrie“, zitiert die Wirtschafswoche den Esprit-Chef José Martinez.
Auch auf den rasanten Vormarsch des Online-Handels waren einige deutsche Modefirmen nicht gut vorbereitet. Das betrifft nicht nur die direkte Konkurrenz durch den Handel im Internet. Sondern auch die schnelle Verfügbarkeit von Informationen, die die Schlagzahl im Modebetrieb deutlich erhöht hat.
Unter dem Strich bleiben für die hiesigen börsennotierten Modeketten gleich mehrere Herausforderungen: Wer verkaufen will, muss neue Mode schneller in die Schaufenster und Regale bringen und gute Online-Shops besitzen. Und wer sein Filialnetz ausbauen will, um die eigenen Verkäufe zu forcieren und die Marke besser zu steuern, kämpft in den benötigten Toplagen der großen Städte gegen hohe Mieten an. Von den Kosten für qualifiziertes Personal ganz zu schweigen.
Deutschlands Modeketten werden wohl nicht auf die Schnelle die große Wende schaffen.