Selten hat es auf Hauptversammlungen in Deutschland solch einen Affront gegeben, wie auf dem Aktionärstreffen des Lichtspezialisten Osram am 16. Februar 2016. Begleitet wurde die Aufführung von hektischen Kursausschlägen der Osram-Aktie.
Osram-Großaktionär Siemens hatte auf der Hauptversammlung angekündigt, Konzernchef Olaf Berlien die Entlastung öffentlich zu verweigern. Seine Unternehmensstrategie, so stark auf das LED-Geschäft zu setzen, sei falsch, die Kommunikation dessen auf dem Kapitalmarkt zudem schlecht, begründete Siemens-Vertreter Christian Bleiweiß auf dem Aktionärstreffen die Entscheidung.
Offenbar sah das nicht nur der Beteiligungsmanager des Siemens-Konzerns so, zu dem Osram noch vor wenigen Jahren gehörte. Kurz nach der Siemens-Ankündigung, Olaf Berlien die Entlastung zu verweigern, schoss der Osram-Aktienkurs um etwa 8 Prozent in die Höhe. Und schon im Vorfeld der Hauptversammlung hatte die Fondsgesellschaft Union Investment ihre Anteile an Osram kräftig reduziert.
Union Investment gehörte ebenfalls zum Kreis der schärfsten Kritiker des neuen Osram-Kurses.
Allein, es hat nicht funktioniert: Siemens ist mit seinem Putschversuch gescheitert, und die Osram-Aktionäre sind mit einem Schauspiel in die deutsche Aktionärs-Geschichte eingegangen. Denn auf der Hauptversammlung sorgten 70,68 Prozent der abgegebenen Stimmen für die Entlastung von Osram-Chef Olaf Berlien, der seit rund einem Jahr bei dem Leuchtenspezialisten im Amt ist.
Dieses Abstimmungsergebnis mag auch dafür gesorgt haben, dass der Osram-Aktienkurs seine zwischenzeitlichen Intraday-Kursgewinne bis zum Handelsschluss am 16. Februar 2016 mehr oder weniger wieder abgegeben hat.
Siemens hält nach eigenen Angaben noch 17,5 Prozent an Osram, die Mehrheit ging im Jahr 2013 an die damaligen Siemens-Aktionäre. Und auf der Hauptversammlung am 16. Februar 2016 hatten dann auch die Unterstützer von Osram-Chef Berlien die Mehrheit.
„Heute befindet sich Osram in einer blendenden Verfassung“, sagte beispielsweise Deutsche-Bank-Fondsmanager Tim Albrecht. Auch Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) unterstützte den Strategieschwenk von Berlien. „Wir brauchen LED, wir brauchen diesen Bereich. Aus meiner Sicht war das eine richtige Entscheidung“, sagte Bergdolt.
Nach der Hauptversammlung hat der Osram-Aufsichtsrat schnell eine eigene Pressemitteilung verschickt. „Die Umsetzung der Strategie ist im Sinne des Unternehmens, seiner Mitarbeiter und seiner Kunden. Sie ist aus Sicht des Aufsichtsrats alternativlos für eine nachhaltige Zukunft des Unternehmens“, lässt sich Osram-Aufsichtsratschef Peter Bauer darin zitieren.
Damit hat Osram-Chef Olaf Berlien erst einmal freie Fahrt, wobei der Konzernchef in seiner bisher erst einjährigen Amtszeit gleich zweimal geradezu spektakuläre Entscheidungen getroffen hat.
Die erste im April 2015, als Berlien die beschleunigte Neuausrichtung von Osram verkündete. Die wichtigste Botschaft: Das Geschäft mit klassischen Leuchtstoffröhren, Glüh- und Energiesparlampen soll abgespalten, verkauft oder in ein Joint-Venture überführt werden.
Vor allem Industriekonzerne aus Asien, die inzwischen den Markt für elektrische Massenartikeln wie Schalter, Steckdosen und Glühbirnen dominieren, könnten am einstigen Kerngeschäft Osrams Interesse haben. Zumal sie so auch Zugang zum Osram-Vertrieb bekämen, also zum Beispiel Baumarktketten und großen Geschäftskunden.
Den Fokus richtete Berlien damals auf das Halbleitergeschäft, den lukrativen Bau von Leuchten für die Autoindustrie, die Herstellung von Displays und auf Großprojekte – so gilt zum Beispiel die Ausleuchtung der Sixtinischen Kapelle als Vorzeigeprojekt des Konzerns.
Im November 2015 folgte dann die zweite spektakuläre Entscheidung: Berlien verkündete, die nach der Abspaltung und dem Verkauf des klassischen Lampengeschäfts bis 2020 frei werdende Mittel von rund drei Milliarden Euro in Forschung, Entwicklung und den Bau einer LED-Chipfabrik in Malaysia für rund eine Milliarde Euro zu investieren.
Gepaart mit einem verhaltenen Geschäftsausblick, leicht sinkenden Umsätze und „beträchtlich“ niedrigerem Betriebsgewinn als vorgesehen, reagierten Anleger, Händler und Analysten zunächst mit drastischen Kursabschlägen, wodurch die Osram-Aktie innerhalb von zwei Tagen von 54,67 Euro auf 37 Euro abstürzte.
Allein der 17,5-Prozent-Anteil, den Siemens an der ehemaligen Tochter hält, verlor so innerhalb kurzer Zeit rund 260 Millionen Euro an Wert.
Das von Siemens kritisierte Risiko des Neubaus einer Fabrik in Malaysia könnte in der Tat nicht unbegründet sein. Zumal Osram sich in diesem Geschäftsfeld nicht mehr mit den klassischen Wettbewerbern wie General Electric oder Philips messen muss. Im rasant wachsenden Geschäft mit Leuchtdioden, den LEDs, wo auch die Halbleitertechnik eine immer bedeutsamere Rolle spielt, haben längst asiatische Hersteller wie Nichia aus Japan, Samsung oder LG Innotek aus Korea die Nase vorn.
Vor allem die Koreaner haben den Vorteil, dass sie selbst ihre besten Kunden sind. Samsung und LG verbauen Zukunftstechnologien millionenfach in ihren eigenen Smartphones, Tablets und Smart-TVs, beispielsweise die organischen Leuchtdioden (OLED). Ob Osram diese strukturellen Größenvorteile der Wettbewerber durch den Bau einer Fabrik in Malaysia ausgleichen kann, ist zumindest fraglich.
Der letzte deutsche Konzern, der eine Fabrik in Malaysia bauen wollte, war Bosch. Die Stuttgarter wollten gut eine halbe Milliarde Euro in eine neue Solarfabrik in dem ostasiatischen Schwellenland investieren. Doch die Mitte 2011 verkündeten Pläne wurden ein halbes Jahr später wieder auf Eis gelegt. Der Grund: Überkapazitäten, sinkende Modulpreise und die aggressive asiatische Konkurrenz.
Osram-Chef Olaf Berlien wird den Aktionären nun zeigen müssen, dass diese Episode kein schlechtes Omen für das geplante Osram-Engagement in Malaysia ist.
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