Für die Aktionäre des Wiesbadener Technologiekonzerns SGL Carbon verliefen die vergangenen Börsentage stürmisch. Denn seit Freitag, 27. Mai, wird kräftig über eine Übernahme durch den chinesischen Chemiekonzern ChemChina spekuliert. Letzterer hatte zuletzt vor allem durch die geplante Übernahme des Agrarchemiekonzerns Syngenta auf sich aufmerksam gemacht hat.
Anlass der Spekulation um SGL Carbon ist eine Titelgeschichte im aktuellen „manager magazin“. Darin berichtet das Wirtschaftsmagazin über verschiedene Gespräche, die ChemChina-Chairman Ren Jianxin mit SGL-Carbon-CEO Jürgen Köhler und Großaktionärin Susanne Klatten geführt habe.
Zwar haben sich weder SGL noch ChemChina konkret zu den Spekulationen geäußert. Dennoch sprang die Aktie am Freitag von 11,60 Euro auf einen Xetra-Schlusskurs von 13,41 Euro, womit das SDax-Unternehmen an der Börse mit knapp 1,24 Milliarden Euro bewertet wurde. Am Montag ging es jedoch wieder steil bergab, der Kurs fiel bis zum Mittag auf 11,60 Euro.
Zu unklar scheint vielen Anlegern die Aussicht auf eine realistische Offerte der Chinesen zu sein, zu unrealistisch die schnelle Lösung jener Probleme, die SGL Carbon seit drei Jahren hohe Verluste bescheren. 2014 lag der Konzernumsatz bei 1,335 Milliarden Euro, 2015 bei 1,322 Milliarden Euro. 2014 lag das Konzernergebnis bei minus 247 Millionen Euro, 2015 bei 295 Millionen Euro.
In diesem Jahr rechnet der Konzern mit weiter fallenden Umsätzen und erneut hohen Verlusten. Wesentliche Ursache dafür ist der Preisdruck im Geschäft mit Graphitelektroden, die vor allem bei der Stahlherstellung gebraucht werden. Hier zählt SGL zu den Marktführern. Der Markt jedoch leidet unter einem ruinösen Preiskampf.
Weshalb seit langem über eine Abspaltung des Geschäfts spekuliert wird, um sich so auf Carbon und Verbundmaterialien konzentrieren zu können, die vor allem bei der Herstellung von Solarzellen, in Windkraftanlagen, Flugzeugen oder Automobilen eingesetzt werden. Ein Geschäft, dem langfristig Potenzial eingeräumt wird, was strategische Großaktionäre wie BMW-Erbin Susanne Klatten (27,46 Prozent), BMW (18,44 Prozent) und VW (9,88 Prozent) dokumentieren.
Die im manager magazin beschriebenen Pläne, das Hauptgeschäft mit Grafitelektroden per Carve-out quasi aus dem Konzern herauszuschneiden und dann Wettbewerbern oder Finanzinvestoren anzudienen, würde vor diesem Hintergrund Sinn ergeben. ChemChina würde dem Wirtschaftsmagazin zufolge als Investor bereit stehen, zumal der Konzern bereits 2011 den norwegischen Graphitelektroden-Hersteller Elkem übernommen hat und so Synergien heben könnte.
Dass es tatsächlich zu einem weiteren Deal chinesischer Investoren in Deutschland kommt, daran herrscht aber zumindest mehr Zweifel als bei anderen jüngeren Offerten dieser Art, namentlich bei Aixtron und Kuka. Die beiden Maschinenbauer sind Ziel konkreter chinesischer Übernahme-Avancen. Doch selbst hier herrscht auf Seiten der Aktionäre die Skepsis.
So plant der chinesischen Investmentfonds Fujian Grand Chip Investment (FGC) beispielsweise die Übernahme des seit 2011 defizitären deutschen Chipanlagenbauers Aixtron. FGC bietet bis zu 676 Millionen Euro für den Hersteller von Chipanlagen zur Fertigung von Leuchtdioden (LED). Aixtron-Chef Martin Goetzeler steht hinter dem Angebot, das offiziell im Juli vorgelegt werden soll. Kleinaktionäre zeigten sich auf der Hauptversammlung am 25. Mai in Aachen indes wenig erfreut über die Offerte, da die meisten von ihnen in besseren Tagen zu weit höheren Kursen gekauft hatten.
Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Robotikkonzern Kuka. Auf der Hauptversammlung des Maschinenbauers am Freitag, 27. Mai 2016, in Augsburg warnten Redner vor den Folgen einer Kontrolle und Ausverkaufs durch den Haushaltsgerätehersteller Midea, der den Kuka-Aktionären ein Übernahmeangebot gemacht hat. Auch in diesem Fall steht die Konzernführung um Vorstandschef Till Reuter hinter dem Angebot der Chinesen, die den deutschen Konzern mit rund 4,5 Milliarden Euro bewerten.
Dennoch ist dieser Fall komplizierter. Denn auch Großaktionäre müssen erst überzeugt werden. Größter Kuka-Anteilseigner ist der deutsche Konzern Voith mit 25,1 Prozent. 10 Prozent hält zudem die Swoctem GmbH des Unternehmers Friedhelm Loh. Im jüngsten Fall, der SGL Carbon SE, wäre die Macht der Großaktionäre noch geballter. 55,78 Prozent vereinen allein die Großaktionäre SKion (Susanne Klatten), BMW und Volkswagen auf sich.
Am Ende könnte jedoch auch noch eine weitere Instanz über Wohl und Wehe der diversen chinesischen Übernahmeofferten entscheiden: Die deutsche Bundesregierung. Im Fall Kuka äußerte sich beispielsweise ein Regierungssprecher vor dem Hintergrund der Digitalisierungsinitiative „Industrie 4.0“ zum Thema. „Wir unterstützen Investitionen in Deutschland, aber wir müssen darauf achten, dass kein Technologie-Abfluss stattfindet“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. „Die Aktivitäten chinesischer Unternehmen haben zugenommen. Wir beobachten diese Entwicklungen intensiv.“