Der Essener Traditionskonzern kann offenbar Hackerangriffe abwehren. Aber kann er endlich auch nachhaltig Value für seine mehr als 200.000 Shareholder schaffen? Zweifel sind angebracht.
Eines muss man der Investor-Relations-Mannschaft von ThyssenKrupp schon lassen: In der Disziplin Trommeln für ihre Aktie machen die Essener Investorenbetreuer einen ausgesprochen guten Job. Rechtzeitig zur Einstimmung auf die Hauptversammlung am 27. Januar im Bochumer Ruhr-Congress-Center überbieten sich die Analysten der Finanzhäuser mit optimistischen Einschätzungen für die Traditionsaktie. Die Experten von Norddeutscher Landesbank, Societe Generale und Credit Suisse sprachen im November allesamt Kaufempfehlungen aus und sehen das Papier, das kurz vor Weihnachten knapp unter 23 Euro notierte, bald bei 26 Euro, ja sogar 30 Euro (Credit Suisse). Im Dezember zogen die Privatbank Berenberg (26 Euro) und das Analystenhaus Jefferies & Company (30 Euro) nach.
Schön wär’s ja. Und in 2016 war der Trend ja auch durchaus freundlich zu ThyssenKrupp. Um knapp 30 Prozent hat die Aktie zugelegt. Zum Vergleich: Der Dax schaffte in dieser Zeit „nur“ knapp zehn Prozent. Hat ThyssenKrupp seine jahrelange Schwäche jetzt also endlich überwunden und über den Berg? Werden die mehr als 200.000 Aktionäre jetzt endlich für ihre Geduld belohnt?
Wir haben da unsere Zweifel. Führung und Strategie des Essener Konzerns waren auch in der jüngeren Vergangenheit nicht immer so aufgestellt, dass man ein gewisses Rückschlagpotential für die Aktie vernachlässigen könnte. Gewiss, für Freunde deutscher Börsenwerte war die Berufung des früheren Siemens-Managers Heinrich Hiesinger an die Spitze vor fünf Jahren fast so schön wie eine Weihnachtsbescherung. Als zwei Jahre später auch noch Gerhard Cromme, in dessen Ära der Konzern sich von Krise zu Krise hangelte, seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender räumen musste, schienen die Weichen für eine Erfolgsgeschichte gestellt. Wobei die Formulierung „Weichen“ hier vielleicht nicht ganz passend ist. Schließlich handelt es sich um einen Konzern, der in die krummen Geschäfte des sogenannten Schienenkartells verwickelt war.
Mit Hiesinger, obwohl er von Siemens kam, kehrte die Hoffnung ein, dass bei ThyssenKrupp fortan solide, sauber und konsequent gewirtschaftet würde. Immerhin, die roten Zahlen, die Hiesinger von seinen Vorgängern übernommen hatte, sind inzwischen Vergangenheit. Im Geschäftsjahr 2015/2016 – der Ruhrkonzern bilanziert zum Stichtag 30. September – erwirtschaftete ThyssenKrupp einen operativen Gewinn von rund 1,5 Milliarden Euro. Diese Zahl sollte freilich niemand als Erfolg verbuchen. Im vorhergehenden Geschäftsjahr lag der operative Gewinn rund 200 Millionen Euro höher. Eher Stagnation als Fortschritt zeigt sich auch beim Blick auf die Verschuldungslage. Die Netto-Finanzschulden beliefen sich auf 3,5 Milliarden Euro, etwa 100 Millionen Euro mehr als Ende September 2016. Das Eigenkapital schrumpfte um 700 Millionen Euro auf 2,6 Milliarden Euro.
Die Hoffnung, Hiesinger könne in seiner ersten Amtsperiode – immerhin fünf Jahre – den Ruhrkonzern von der Misswirtschaft früherer Jahre kurieren, wird auch enttäuscht, wenn man sich die einzelnen Geschäfte genauer anschaut. Lediglich die Hälfte aller ThyssenKrupp-Sparten schafft es, die eigenen Kapitalkosten zu verdienen. “Die Transformation ist noch nicht vorbei“, sagte Hiesinger vor knapp einem Jahr dem „Handelsblatt“. Das heißt nichts anderes als: Liebe Aktionäre, ihr müsst mir noch mehr Zeit für den Umbau geben, nach dem Managementmotto „in der Ruhe liegt die Kraft“.
Solange die Börse Hiesinger Kredit für diese Art des Transformationsmanagement gab und der Börsenwert von ThyssenKrupp ordentlich zulegte, ja sogar den Dax schlagen konnte, hatte man als Aktionär wenig zu meckern. Doch diese Ära könnte bald zu Ende gehen. Seit Anfang Dezember schwächelt die Aktie. Optimisten deuten das als kleine Verschnaufpause, bevor die Aufwärtsbewegung weitergeht. Doch bei etlichen ThyssenKrupp-Watchern, mit denen wir in den vergangenen Wochen zu Lage und Perspektive von ThyssenKrupp sprachen, überwiegt Skepsis – in allen Disziplinen, die für einen erfolgreichen Umbau des Konzerns wichtig sind, Kultur, Strategie und Tempo.
Die Frühindikatoren der Skeptiker im einzelnen:
Wenn Hiesinger in seiner nächsten Amtsperiode nicht deutlich schneller und radikaler operiert, bleibt den Aktionären nur eine Wahl: Sie müssen ernsthaft erwägen, sich von der ThyssenKrupp-Aktie zu trennen.