Wer das Aktionärstreffen der Deutsche Börse AG besuchen will, sollte genug Zeit mitbringen. Um 10 Uhr startet die Hauptversammlung am Mittwoch, dem 17. Mai, in der Frankfurter Jahrhunderthalle. Und Vorstandschef Carsten Kengeter hat kürzlich indirekt durchblicken lassen, dass es wohl keine kurze Versammlung geben wird.
Wie er denn ein Scheitern der Fusion von Deutsche Börse und London Stock Exchange erklären würde, lautete eine Frage nach einem Vortrag Kengeters am Center for Financial Studies an der Frankfurter Goethe-Universität. Das war am 24. März. Den meisten Insidern war da schon klar, dass die Fusion praktisch tot ist, doch Kengeter glaubte seinerzeit noch an den Deal und kämpfte dafür, zumindest tat er so. Also wich er dem Fragesteller aus und antwortete mit leicht verlegenem Lächeln: „Es würde eine lange Erklärung“.
Ein paar Tage später kam dann das amtliche Aus für die Fusion. Bei der Hauptversammlung wird Carsten Kengeter sich die Zeit nehmen müssen. Seine Aktionäre und Arbeitgeber erwarten eine schlüssige Erklärung für die bisherigen Darbietungen des Managers, die auch von eher zurückhaltenden Medien wie der „FAZ“ vernichtend beurteilt werden: „Die vergangenen Jahre waren für die Deutsche Börse verlorene Jahre. Ein vom Aufsichtsratsvorsitzenden Joachim Faber eigens für den großen Wurf mit viel Geld geholter Investmentbanker für die Spitze der Börse ist gescheitert.“
Wohl wahr. Nach fast zwei Jahren gemeinsamen Wirkens haben Kengeter und sein Chefkontrolleur Faber mit ihrem großen Wurf einen Scherbenhaufen angerichtet. Die Aktionäre haben allen Grund, kritische Fragen an das Börsenduo zu stellen, daran vermag kann auch die auf 3,28 Euro angehobene Dividende und das Kursplus der Aktie von gut 15 Prozent in den vergangenen 12 Monaten nichts zu ändern. Zumal: Hätten Kengeter und Faber nicht so operiert, wie sie operiert haben, hätte die Dividende locker um hundert Millionen aufgestockt werden können.
Soviel Geld, vielleicht auch noch mehr, hat das Duo nämlich für die Vorbereitungen der Fusion mit der London Stock Exchange ausgegeben, manche meinen: zum Fenster rausgeschmissen. Gewiss, kein Deal ist ein Selbstgänger, eine geplante Unternehmenstransaktion kann scheitern – aber nicht so! Das beginnt mit der Überheblichkeit, mit der Kengeter das Bündnis verkaufte. Als „gottgewollt“ bezeichnete er die Fusion, gerade so, als sei Kritik an seinem Masterplan Teufelszeug. Ein Scheitern war in seiner Planung nicht vorgesehen. Lieber operierte er mit düsteren Prophezeiungen („Ich will keinen Schrecken verbreiten, aber es ist der Lauf der Dinge, dass unsere Konkurrenten sich andere Schritte überlegen“).
Wenn Kengeter tatsächlich so sehr von seinem Prestigeprojekt überzeugt war, dann hätte er es besser vorbereiten müssen. Genug Geld dafür hatte er ja zur Verfügung. Und teuer war der Rat auch. Aber offenbar nicht gut. Wie konnte es zum Beispiel passieren, dass die Anwälte der Börse keine Exit-Klausel in das Vertragswerk für den Fall des Brexit einbauten? Und welcher hochbezahlte Politberater, um Himmels Willen, hat dem Börsenchef und seinem Oberaufseher Faber eingeflüstert, man müsse bei der Bundesregierung in Berlin den Deal nur geschickt einfädeln, dann werde die Landesregierung in Wiesbaden schon alles abnicken? Eine anständige Portion gesunder Menschenverstand hätte gereicht, um taktische Fehler, etwa die viel zu späte Einbindung der eigentlich zuständigen hessischen Landesregierung, zu vermeiden.
Das ganze Ausmaß an Ungeschicklichkeiten und Überheblichkeiten wird komplettiert durch die Abgehobenheit mit der Kengeter als Börsenchef installiert wurde. Aufsichtsratschef Faber verkaufte Kengeter am Finanzplatz Frankfurt als Master of the Universe, als Global Player, der die Deutsche Börse schon in eine grandiose Zukunft führe. Und, klar, ein Top-Mann kostet auch etwas mehr. Beachtliche 7,3 Millionen Euro waren das im Fall Kengeter im vergangenen Jahr, was ihm Rang fünf in der Hitliste der Dax-Großverdiener beschert. Und es wird in Zukunft wohl noch mehr. Im Vergleich zu Kengeter verdiente Vorgänger Reto Francioni jedenfalls nur Mitleid.
Mehr als nur peinlich daran war die Art des Vergütungspakets, das der Aufsichtsrat um Chef Faber seinem Börsenstar schnürte: Es genehmigte ihm ein großzügiges Zusatzeinkommen in Form von virtuellen Aktien. Kengeter musste dafür lediglich Börsenaktien im Volumen von 4,5 Millionen Euro kaufen – und das zu einem Zeitpunkt, als nach Einschätzung des Bundesamtes für Finanzdienstleistungen und der Frankfurter Staatsanwaltschaft die Gespräche mit der London Stock Exchange über einen Zusammenschluss der Börsen längst liefen. Wie die Causa juristisch zu werden ist, ob es sich rechtlich um einen Insiderskandal handelt, entscheiden jetzt die Juristen. Ökonomisch hat Kengeter damit aber auf jeden Fall viel Kredit verspielt, womöglich zu viel.
Von einem Finanzprofi, der in der angelsächsischen Welt mehr zu Hause ist als in Frankfurt, dessen Familiensitz an der Themse liegt und der an der London School of Economics lehrt, einem Mann, der ein Unternehmen leitet – die Börse – das sich in ganz besonderem Maße der Kapitalmarkt-Hygiene verpflichtet sieht, darf man erwarten, dass er alles dafür tut, gar nicht erst den Anschein von Kungelei, gar von krummen Geschäften zu erwecken. Dafür braucht es keine Heerscharen von Beratern und Compliance-Mitarbeitern, dafür reicht gesunder Menschenverstand.
Der Verwaltungsratsvorsitzende der London Stock Exchange, Donald Brydon, sieht das offenbar ähnlich. Noch bevor der Deal gekippt wurde schrieb er in einer Mail an Faber, die Briten hätten das Vertrauen in Kengeter verloren, sie hielten ihn jetzt nicht mehr für den geeigneten Kandidaten für die Führung der gemeinsamen Börse.
Auf dem Spitzenposten der Deutschen Börse darf er aber bleiben? Sein Förderer Faber und die Mehrheit der Anteilseigner-Aufsichtsräte sehen das offenbar so. Immerhin haben sie die zeitlich eigentlich fällige Entscheidung über Kengeters Vertragsverlängerung verschoben, bis die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abgeschlossen hat.
Doch selbst, wenn die Ermittlungen „gut“ für Kengeter ausgehen: Die Aktionäre müssen sich die Frage stellen, ob Kengeter und auch sein Oberaufseher Faber bei der Börse wirklich noch richtig aufgehoben sind. Die Zweifel daran sind in den vergangenen Monaten eher gewachsen.
Wie sagte Kengeter bei seinem Vortrag an der Frankfurter Uni auch: „Bescheidenheit ist eine vitale Komponente der Unternehmensführung.“ So ist es.