Die US-Notenbank Fed steht in ihrer Zinspolitik vergleichsweise komfortabel da. Das US-Bruttoinlandsprodukt wuchs im dritten Quartal um 5 Prozent und der amerikanische Arbeitsmarkt verzeichnete mehr Jobs als im Rest des Jahres. Die meisten Analysten und Fondsmanager erwarten daher bis spätestens zur Mitte 2015 eine Zinswende in Amerika. Andere Weltregionen können von diesen makroökonomischen Zahlen nur träumen.
Denn das Gewerbe in Europa und Asien schwächelt. Anders als in den USA, erhöht dies den Druck auf die großen Notenbanken, die Zinsen niedrig zu halten. Gleichzeitig wächst jedoch auch der Druck auf Notenbanker in Europa, Japan und selbst China, die Zügel zu lockern. Angefeuert werden solche Spekulationen auch durch Äußerungen der Verantwortlichen.
So löste vor einigen Wochen ein Interview mit EZB-Präsident Mario Draghi Wirbel aus, als er Deflation in der Euro-Zone nicht mehr ausschließen wollte und ankündigte, „wir müssen gegen ein solches Risiko vorgehen“. Der EZB-Rat tagt das nächste Mal am 22. Januar 2015. Doch die Kapitalmärkte setzen schon jetzt darauf, dass die Europäische Notenbank irgendwann im ersten Quartal mit dem Kauf von Staatsanleihen beginnen wird.
Der Euro sackte aus diesem Grund zuletzt gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit mehr als vier Jahren.
Weitere Hinweise auf die künftige EZB-Politik könnte auch ein Termin am 7. Januar 2015 geben. Dann werden die Verbraucherpreise für die Euro-Zone im Dezember berichtet. Experten rechnen mit leicht sinkenden Preisen. „Die Inflation wird weiter zurückgehen, vor allem wegen der implodierenden Ölpreise, die Sorgen, die Draghi signalisiert hat, legen nahe, dass wir auch in Europa Quantitative Easing bekommen“, sagt James Knightley, Ökonom bei der niederländischen Großbank ING.
Der Druck auf die Notenbanken nimmt außerhalb der USA vor allem wegen der schwächeren Industriezahlen zu. Chinas offizieller Einkaufsmanager-Index für den gewerblichen Sektor sank im Dezember auf 50,1 Zähler, dem niedrigsten Wert in 2014. Die Grenze von 50 Zählern trennt Wachstum von schrumpfender Industrieleistung.
In der Euro-Zone sahen die Zahlen für Industrieproduktion, Aufträge und Beschäftigung zum Ende des Jahres ebenfalls schwach aus. „Das Wachstum scheint auf Basis dieser Zahlen zu stagnieren, der Druck nimmt zu", sagt Knightley.
Schon Mitte November hatte die japanische Notenbank den Hahn weiter aufgedreht. Ein Schritt, den sich Premier Shinzo Abe in der Zwischenzeit mit einem Sieg bei der vorgezogenen Parlamentswahl absegnen ließ.
Ende November überraschte auch die chinesische Notenbank, die zum ersten Mal seit 2012 ihren Leitzins senkte. Seit Monaten hatten sich die Geldhüter in Peking trotz des Schwächeanfalls am Immobilienmarkt mit einer Lockerung der Geldpolitik zurückgehalten. So versucht die People’s Bank in Peking, Banken straffere Zügel anzulegen, damit die Immobilienpreise nicht davongaloppieren und im Staatsbankensystem nicht noch mehr faule Kredite hinterlassen.
Dass die Führung in Peking mit der Zinssenkung ihre eigene Politik durchkreuzt, wird von vielen Beobachtern damit erklärt, dass es dem Staatsrat wegen der Korrektur am Immobilienmarkt und wegen des schwächeren Wirtschaftswachstums mulmig geworden ist.
Die Führung um Staatspräsident Xi Jinping soll nervös geworden sein, weil interne Prognosen nahelegen, dass die Wachstumsrate der Wirtschaft im Schlussquartal des nun vergangenen Jahres unter 7 Prozent gefallen sein könnte. Das wäre der schwächste Wert seit der Finanzkrise vor sechs Jahren. Das Bremsmanöver der Regierung am Immobilienmarkt hat zugleich Spuren hinterlassen.
Der Immobilienentwickler Kaisa aus Hongkong gab zum Jahresauftakt 2015 bekannt, einen Kredit der HSBC-Bank in Höhe von 52 Millionen Dollar nicht zurückzahlen zu können.
Weitere Ausfälle drohen. Die Kreditpleite wurde vom Rücktritt des Kaisa-Vorsitzenden Kwok Ying Shing am Jahresende ausgelöst. Die Rückzahlung wäre spätestens am 31. Dezember fällig gewesen. Von der Bank gibt es dazu bislang keine Stellungnahme. Der Immobilienkonzern prüft nach eigenen Angaben derzeit, ob weitere Ausfälle auf bestehende Kredite drohen.
Jetzt droht selbst in China Deflation. Seit fast drei Jahren fallen die Fabrikpreise der Hersteller. Denn in vielen wichtigen Industrien wurden horrende Überkapazitäten aufgebaut – vor allem in der aufgeblähten Exportwirtschaft. Die westlichen Märkte bestellen nicht mehr genügend in der „Fabrik der Welt“, um die unzähligen Fließbänder auf Touren zu halten.
Zweifel an der Konjunktur und den bisherigen Maßnahmen der Notenbank wachsen jedoch nicht nur in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Schon im November hatte Mario Draghi seinen weithin bekannten Schwur von 2012, „alles Nötige zu tun“, erneuert. Er versprach, „alles zu tun, was wir müssen“, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Offenbar will er jetzt damit Ernst machen, auch gegen den Widerstand der Bundesbank und der Regierung in Berlin. Nachdem die EZB bereits Pfandbriefe aufgekauft und im Sommer 2014 Negativzinsen eingeführt hatte, sammelt sie seit November zusätzlich Wertpapiere ein. Diese sind mit Forderungen aus Krediten belegt.
Auch die Bank of Japan hat Ende Oktober überraschend bekannt gegeben, dass sie die monatlichen Käufe von Wertpapieren um ein Viertel ausdehnen will, nachdem sie 2013 bereits eine Verdoppelung der Geldmenge binnen zwei Jahren angekündigt hatte.
Die Geldmenge in Japan wächst jetzt bei zunehmender politischer Verunsicherung schon so schnell, dass die Geldpolitik beginnt, sich auf den Wahlzyklus des Landes auszuwirken. Der Grund liegt auf der Hand: Die Notenbank hat die Schleusen inzwischen so weit geöffnet, dass die Regierung sich per Votum davon überzeugen muss, ob die Wähler, Sparer und Steuerzahler noch im Boot sitzen.
Währenddessen wachsen die Zweifel am Erfolg der Notenbanker. Denn das Bruttoinlandsprodukt in Europa ist nicht höher, als es Ende 2006 war. In den USA können Millionen Amerikaner auch sechs Jahre nach dem Finanzdesaster nicht behaupten, dass sie jetzt besser dastünden. Und in Japan erodieren die Exporte, der Yen fällt ins Bodenlose und die Wirtschaft hat den Rückwärtsgang eingelegt.
Einer der schärfsten Kritiker der jüngsten Notenbank-Entscheidungen ist der damalige Budgetdirektor des früheren Präsidenten Ronald Reagan, David Stockman. In seinem Blog „Contra Corner“ sagt Stockman vorher, dass die geldpolitischen Lockerungen in Tokyo und Peking zu einem „neuen Währungskrieg“ führen, der auch die USA in Mitleidenschaft ziehen wird.
Stockman sieht eine verheerende deflationäre Spirale vorher, weil aufgeblähte Preise von Wertpapieren bis hin zu Immobilien korrigieren müssen. „Eine zwei Jahrzehnte währende Flut von Finanzrepressionen durch die Notenbanken hat viele schlechte Investitionen vom Bergbau über den gewerblichen Sektor bis hin zum Transportwesen angefacht“, sagt Stockman, „und das wird in einer Abwärtsspirale bei den Währungen enden.“