Wer sich einen Eindruck davon verschaffen will, wie die Niedrigzinspolitik der Notenbanken das Investment-Universum durcheinander wirbelt, sollte sich im US-Bundesstaat Delaware umschauen. Dort firmieren zwei Drittel der der im S&P 500 gelisteten Konzerne. Was deren Manager erzählen, wirft ein Licht darauf, wie verwegen und verzweifelt die Jagd auf Renditen geworden ist. Drei Mal so oft wie im Zeitraum von 2004 bis 2010 kaufen Hedgefonds derzeit Aktienpakete von Delaware-Firmen, wenn diese zum Beteiligungs- oder Übernahmeziel werden.
Oft kaufen die aktivistischen Investoren die Aktien der umworbenen Firma erst kurz bevor die Aktionäre über das Angebot des Angreifers abstimmen. Dann reichen sie bei lokalen Gerichten eine Klage ein, um ein „Appraisal" zu bekommen, eine richterliche Schätzung des wahren Wertes der Firma, die Adressatin eines Kaufangebots geworden ist. In der Klageschrift argumentieren die Hedgefondsmanager stets, dass der an der Börse genannte Übernahmepreis zu niedrig angesetzt und damit unfair sei. In Deutschland werden solche Klagen in sogenannten "Spruchverfahren" vor Gericht verhandelt – mit ähnlichem Verlauf und nicht selten unter Beteiligung großer Hedgefonds.
Es kann Jahre dauern, bis der erwünschte Richterspruch kommt. Doch das ist den „Appraisal"-Jägern gerade recht. Denn für die Zeit des Gerichtsverfahrens stehen ihnen in den USA 5,75 Prozent Zinsen auf die vom Richter später geschätzte Summe zu. Das bedeutet: Die juristischen Schatzjäger können sich über satte Renditen freuen, selbst wenn der Richter am Ende befindet, dass der Kaufpreis ausreichend gewesen ist. Die Rendite steigt am Ende sogar stets über die 5,75 Prozent, weil die Zinsen quartalsweise gutgeschrieben werden und der Zinseszins-Effekt kräftig nachhilft.
Der in Delaware ansässigen Anwaltskanzlei Fried Frank zufolge stürzen sich Hedgefonds derzeit auf solche Fälle. Der Third Point-Fonds von Daniel Loeb hat vor wenigen Tagen zusammen mit anderen Fonds wie Farallon Capital und Muirfield Capital eine Appraisal-Klage wegen der Übernahme des Haustierproduktherstellers PetSmart eingereicht. Es soll von einem Konsortium des europäischen Kapitalinvestors BC Partners übernommen werden.
Der Firmenrechtsspezialist Minor Myers, Professor an der Brooklyn Law School, hält diese Appraisal-Klage für die bislang größte. Die 19,5 Millionen PetSmart-Aktien, die die Aktivisten halten, summieren sich auf einen Wert von rund 870 Millionen Dollar.
Die Klagewelle der Appraisal-Piraten hat solche Ausmaße angenommen, dass sich die Topanwälte der führenden Firmen in Delaware jetzt kollektiv an das Regionalparlament gewendet haben, um das Gesetz zu ändern. Das Ziel: Es sollen zumindest keine Zinsen mehr gezahlt werden, wenn ein Kläger seinen Fall verliert.
Hedgefonds indes sehen die Klagen hingegen als Mittel, ihre Performance aufzubessern. Kein Wunder: Denn im vergangenen Jahr haben sie im Schnitt nur 3,78 Prozent verdient – die Gebühren nicht eingerechnet. Das maue Jahr 2014 haben viele Hedgefonds allerdings nach einem Fehlstart im Januar 2015 abgehakt. Im Februar haben sie dem Branchenspezialisten eVestment zufolge, bereinigt um Gebühren, 1,93 Prozent zugelegt. Im laufenden Jahr ergibt sich so ein addiertes Plus von knapp 1,6 Prozent – mehr als ein Drittel dessen, was im gesamten Vorjahr eingefahren wurden.
Die Aktivisten unter den Hedgefonds haben mit einem Zuwachs von 5,37 Prozent im Februar sogar noch deutlich besser abgeschnitten. Bill Ackmans Pershing Square brachte es auf ein Monatsplus von 6,2 Prozent. Viele reiben sich nun doch wieder die Hände. Denn die Erwartungen an das laufende Jahr waren gering. Bei einer Umfrage des Datenaufbereiters Preqin Ende 2014 hatten die meisten Hedgefondsmanager die Performance als größte Sorge mit Blick auf 2015 bezeichnet. In 2014 hatte der Barclay Hedge Fund Index magere 2,89 Prozent zugelegt, während der Standard & Poor’s 500-Aktienindex mehr als 13 Prozent stieg.
Immerhin, Ackmann macht seinen Anlegern mit nicht ganz bescheidenen Worten Mut: „Ich will eine der großartigsten Investment-Erfolgsgeschichten aller Zeiten", sagte Ackman Ende Januar 2015. Bis dahin hatten seine Fonds in den vorangegangenen elf Jahren sein 2004 die riesige Summe von 11,6 Milliarden Dollar für seine Anleger verdient.
Seit Sommer 2014 drohen nun allerdings Negativzinsen. Dies erschwert die Suche nach Rendite weiter. Und so erhielten Hedgefonds in den vergangenen Monaten trotz ihrer vergleichsweise geringen Performance immer stärkeren Zulauf. Die britische Branchen-Webseite „Marketoracle" kürzlich einen Artikel mit der Überschrift „Wir sind jetzt alle Hedgefonds" versah. Das Argument war simpel und einleuchtend: Wenn Pensionäre 6 Prozent auf ihr Erspartes erzielen müssen, Pensionsfonds 8 Prozent versprochen haben und Staatsanleihen fast nichts mehr bringen, dann gebe es sowohl für Pensionäre als auch für die Pensionsfonds nur noch zwei Möglichkeiten: „Hedgefonds werden, oder aufhören."
Doch nicht alle tun sich mit dieser Entscheidung leicht. Vor allem bei den großen US-Pensionsfonds, wo man – wie in der Versicherungswirtschaft – besondere Vorsicht walten lassen muss. Calpers, der größte Pensionsfonds in Kalifornien, zog bekanntlich im vergangenen Jahr seine Anlagen aus den Hedgefonds ab. Doch mit dem Vormarsch der Negativzinsen und der anhaltenden Rally an den Bondmärkten wächst der Renditedruck.
Manche beweisen ein gutes Händchen. So konnte das Texas County and District Retirement System im vergangenen Jahr dank seiner Hedgefonds-Aktivität 9,1 Prozent Rendite erzielen. Doch viele fürchten eine erneute Finanzkrise. Als der Vorstand des San Francisco Employees‘ Retirement System vor wenigen Tagen, Anfang März 2015, entschied, eine Milliarde Dollar seines Anlagevermögens von zwanzig Milliarden Dollar in Hedgefonds zu platzieren, hatten lediglich 2 von 36 Teilnehmern in der vorangegangenen Diskussion für diesen Schritt gestimmt. Einer von ihnen bezeichnete es als „ekelhaft", dass über einen solchen Schritt überhaupt diskutiert wurde. Der Vorstand votierte dann aber mit 6:1 Stimmen doch dafür.
Die offizielle Begründung war, dass Hedgefonds die Volatilität im Portfolio verringern. Die höhere Rendite wurde erst an zweiter Stelle genannt. Im laufenden Jahr gilt dieser Hinweis jedoch schon einmal nicht, wie der Januar und Februar gezeigt haben.