Niedrigere Ölpreise, ein stark verbilligter Euro sowie rekordniedrige Zinsen sorgen für zusätzliches Tempo, wie es Piloten gerne nutzen, wenn sie sich beim Fliegen in den Jetstream einklinken können.
Im Einzelnen: Die Ölnotierungen haben in acht Monaten seit April 2014 um gut die Hälfte nachgegeben; das drosselt die Kosten der hiesigen Konzerne insbesondere, sofern sie ölintensiv produzieren. Der Euro verbilligt die Exporte nach außerhalb der Euro-Zone; das kann den Verkauf dort ankurbeln. Und die Niedrigzinsen verbilligen schon seit Längerem die Kapitalaufnahme; das kann je nach Unternehmen auch Investitionen tragfähiger machen.
Den Gesamteffekt aus all diesem für Deutschlands Konjunktur auszurechnen, oder auch nur zu schätzen, ist schwer. Versucht wird es dennoch.
Falls der Ölpreis auf dem aktuellen Niveau im Januar 2015 von rund 50 Dollar für die Sorte Brent bleibt, sagt beispielsweise DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben eine Entlastung für Unternehmen und Verbraucher von rund zwanzig Milliarden Euro in diesem Jahr vorher. Der Chef des Sachverständigenrats dagegen, Christoph Schmidt, sieht „die deutsche Wirtschaft nun allein wegen des deutlich gesunkenen Ölpreises um bis zu 0,4 Prozentpunkte stärker.“
Schmidt rechnet also mit einem Plus des deutschen Bruttoinlandsprodukts in 2015, das um diesen Punktwert höher als ohne den Öleffekt gedacht zulegen könnte.
Auch der Konsum der privaten Haushalte dürfte das hiesige Wirtschaftswachstum anschieben. Denn dank der Einsparungen bei Öl, Gas und an den Tankstellen für Benzin haben Deutschlands Haushalte tendenziell mehr Geld für andere Einkäufe zur Verfügung, sofern sie es nicht auf die hohe Kante legen.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft schätzt deshalb, dass der private Konsum im laufenden Jahr um 2,8 Prozent kräftig zulegt.
„Billiges Öl befeuert die Konjunktur“, schreibt dann auch die Apobank in ihrem jüngsten Finanzmarktkommentar. Das Geldhaus rechnet vor, dass sich die „deutsche Ölrechnung" bereits 2014 um neun Milliarden Euro reduziert hat. Im laufenden Jahr 2015 sollen die Einfuhrkosten für Energie noch einmal um „gut zehn Milliarden Euro niedriger ausfallen.“
Hinzu kommt jetzt der Euro, der seine Talfahrt gegenüber der US-Währung in den vergangenen Tagen beschleunigt hat und bis auf einen Wechselkurs von 1,15 Dollar abgerutscht ist. „Im laufenden Jahr 2015 dürfte der günstige Euro einen halben Prozent Zusatzwachstum bringen“, sagt der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. Und schon Mitte Dezember hatte sich Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn gefreut, „fallende Ölpreise und ein sinkender Euro-Kurs bescheren die deutsche Wirtschaft zur Weihnachtszeit.“
Viele deutsche Firmen, die in die USA liefern, sind jetzt schon rund 10 Prozent günstiger und wettbewerbsfähiger als im vergangenen Sommer – ein Segen zu Zeiten, in denen die Stückkosten in der deutschen Produktion zuletzt deutlich gestiegen und sich die Wettbewerbsfähigkeit der Konzerne hierzulande belastet hatte.
In einzelnen Firmen fallen die Effekte von fallendem Euro und sinkenden Ölpreisen allerdings ganz unterschiedlich aus.
Der Deutschen Telekom beispielsweise hilft der niedrige Euro-Kurs in den USA. Denn die US-Mobilfunktochter T-Mobile wird dann von ihren in Dollar abgerechneten Erlösen eine höhere Euro-Summe nach Deutschland überweisen – und die US-Tochter steuert knapp 30 Prozent zum Gesamtumsatz der Telekom bei. Dagegen muss Infineon mehr für Vorprodukte und Komponenten aus Lieferländern wie Malaysia bezahlen.
Deutsche Autohersteller wie BMW, Daimler und VW haben schon vor Jahren im großen Stil in die lokale Produktion in Nordamerika investiert. Auch deshalb, weil sie sich so besser gegen Währungseffekte absichern und zugleich den riesigen lokalen Markt besser zu erschließen zu können. Die US-Töchter bekommen jetzt mehr Euro, wenn sie ihre Dollar-Überschüsse an die Zentralen in München, Stuttgart und Wolfsburg überweisen.
Über niedrigere Ölpreise dagegen freuen sich vor allem die Airlines. Die Ausgaben für Kerosin tragen etwa ein Drittel zu den Gesamtkosten bei. Die Lufthansa spart 2015 möglicherweise annähernd eine Milliarde Euro. Der hohe Dollar-Kurs ist wiederum ein Nachteil für die Airline. Doch Verträge zur Kursabsicherung dämpfen diesen Preiseffekt.
Unternehmen wie der Baustoffkonzern Heidelberger Zement profitieren ebenfalls von ermäßigten Ölpreisen. Der Dax-Konzern gibt 1,6 Milliarden Euro für Energie aus, knapp ein Drittel davon für Öl. Warburg-Analysten veranschlagen diese Einsparungen auf rund 100 Millionen Euro.
Und die Deutsche Post freut sich unterdessen über geringere Kosten beim Expressdienst und niedrigere Kosten für den Betrieb, teils dank der niedrigeren Spritpreise für ihre Paketfahrzeuge.
Bei der BASF als größtem Chemiekonzern der Welt wiederum ist die Wirkung aus niedrigem Ölpreis und sinkendem Euro gemischt. Beispiel Öl: „Bei einem hohen Ölpreis machen wir Geld im Ölgeschäft, bei einem niedrigen im Chemiegeschäft“, sagte kürzlich BASF-Chef Kurt Bock.
Ebenfalls gemischt ist das Bild bei Eon: Bei dem Düsseldorfer Versorger verursachen niedrige Ölpreise weniger Einsparungen, weil ein großer Teil des Geschäfts vom Gaspreis abhängt, und der ist nicht so ins Flattern gekommen, wie die Ölnotierungen.
Doch der Ölpreisverfall und der schwache Euro haben auch negative Effekte. Russland als wichtiger Ölexporteur und Handelspartner Europas leidet unter den fallenden Ölnotierungen, weil ein Großteil der Exporte und die Hälfte des Staatshaushaltes mit den Erlösen aus dem Ölgeschäft finanziert werden.
Unter der beginnenden Rezession in Russland leiden auch deutsche Lieferanten. Die Ölpreiskrise vermindert die Bestellungen aus Russland, was den Effekt der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen des Westens noch verstärkt.
Schon von Januar bis Oktober sind die deutschen Ausfuhren nach Russland im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr um 22 Prozent eingebrochen. Weil der Wechselkurs des Rubels seit Jahresbeginn wieder schwächelt und die Ölpreise weiter sinken, dürften die Bremsspuren noch länger werden.
Gerade die deutsche Wirtschaft ist von diesem Effekt betroffen. Kaum eine andere Nation treibt so viel Handel mit Russland, wie die Unternehmen in der Bundesrepublik.
Der Verfall der Ölpreise verstärkt auch das Deflationsrisiko in der Euro-Zone. Die Gefahr einer Abwärtsspirale bei den Preisen, mit möglicherweise bremsender Wirkung für Konsum, Investitionen und den Arbeitsmarkt nimmt derzeit zu. Das hat auch EZB-Präsident Mario Draghi veranlasst, laut über umfangreiche Anleihekäufe nachzudenken. Viele erwarten, dass noch in dieser Woche damit begonnen wird.
Und schließlich sehen nicht nur Börsianer in den kollabierenden Ölpreisen ein Signal für eine stark nachlassende globale Konjunktur. Manche Firmenlenker und Unternehmensberater warnen sogar ausdrücklich: „Die Abwertung des Euro gehört für mich zu den drei größten Risiken, denen sich die Welt gegenüber sieht“, sagte jüngst Accenture-Deutschland-Chef Frank Riemensperger.
Zwar gehen nach jüngsten Zahlen rund 60 Prozent aller deutschen Ausfuhren in EU-Staaten, doch davon landen nur noch ein gutes Drittel der hiesigen Exporte gehen in die Euro-Zone. Und die aktuell vergleichsweise schwache Gemeinschaftswährung sorgt nur bei diesem Teil des Ausfuhrgeschäfts für einen Wettbewerbsvorteil.
Hinzu kommt: Die schwächelnde Euro-Währung kann nur kurzfristig helfen. Eine dauerhaft erfolgreiche Wirtschaft braucht dagegen eine solidere und verlässlichere Grundlage als Wechselkurse.
„Ein schwacher Euro kann nicht ersetzen, dass wir weiter auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft achten“, stellte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jüngst fest.