Beim Chemiekonzern Evonik herrscht Aufbruchstimmung. Nach einem Jahr, das von Preisverfall bei wichtigen Produkten gekennzeichnet war, hat sich die Aussicht seit dem Schlussquartal 2014 aufgehellt. Drei große Effizienzprogramme laufen nach Plan. Und seit Wochen gibt es Gerüchte, wonach Evonik den Schweizer Konkurrenten Clariant oder die niederländische DSM übernehmen will.
Dass die Essener bereits seit Monaten auf der Suche nach einem Zukauf sind, ist kein Geheimnis. Konzernchef Klaus Engel hat betont, er wolle die Konsolidierung der Branche nicht vom Spielfeldrand aus beobachten. Sollte sich Evonik für Clariant entscheiden, dürfte der Umsatz von knapp 13 Milliarden auf rund 18 Milliarden Euro in die Höhe schnellen. Damit wäre Evonik größer als der Kölner Konkurrent Lanxess.
Eine Erweiterung des Segments Endverbraucher, Gesundheit und Ernährung (Consumer, Health & Nutrition), in dem Clariant Stärken hat und Evonik 2014 rund 32 Prozent seiner Erlöse erzielte, würde Analysten zufolge Sinn machen. Doch die Schweizer mit einem deutschen Chef an der Spitze haben bereits zu Protokoll gegeben, dass sie nicht übernommen werden wollen. „Wir sind nach wie vor der Meinung, dass wir uns alleine am besten entwickeln können", sagte Clariant-Finanzchef Patrick Jany noch am gestrigen 29. April 2015.
Sollte es hingegen zu einem Deal mit der niederländischen DSM kommen, würde das eine kräftige Erweiterung bei Nahrungsergänzungsmitteln mit sich bringen.
Evonik produziert eine breite Palette an Spezialprodukten: Superabsorber für Windeln, Aminosäuren für Tierfutter oder Kosmetikrohstoffe zählen ebenso dazu wie Materialien für Rotorblätter in Windkraftanlagen und Kieselsäure für Autoreifen, Lacke, Farben und Kühlschränke.
Bis zur diesjährigen Hauptversammlung am 19. Mai könnte es bereits Nachrichten zu einer möglichen Übernahme geben. Die Zahlen für die Geschäftsentwicklung im ersten Quartal sollen am 6. Mai präsentiert werden. Fest steht bereits, dass die Dividende wie im Vorjahr bei einem Euro je Aktie bleiben soll, was beim aktuellen Aktienkurs einer Dividendenrendite von knapp 3 Prozent entspricht.
Konzernchef Klaus Engel hat jüngst von einem „starken Jahresauftakt“ 2015 gesprochen und für das gesamte Jahr ein leichtes Umsatzplus gegenüber den für 2014 ausgewiesenen 12,9 Milliarden Euro angekündigt. Auch der operative Gewinn soll leicht zulegen. Angesichts der schwächeren Entwicklung in den großen Schwellenländern, den schwankenden Rohstoffpreisen und Wechselkursausschlägen ist das eine Prognose, die von Zuversicht kündet. Darin eingepreist dürfte der positive Effekt des schwächeren Euro sein. Seit dem Jahresende 2014, so heißt es im Unternehmen zudem, sei „eine deutlich positive Preisentwicklung erkennbar“.
Hinzu kommt, dass drei Programme, die das Unternehmen auf mehr Effizienz trimmen sollen, dem Konzern zufolge im Plan sind. Das vor drei Jahren gestartete Programm „On Track 2.0“ etwa kommt dem Jahresbericht 2014 zufolge „gut voran.“ Es dient dazu, Beschaffung, Produktion und produktionsnahe Abläufe zu optimieren. Die jährlichen Kosten sollen bis 2016 um 500 Millionen Euro sinken. Maßnahmen, die 80 Prozent des Ziels sichern, waren bei der Vorlage des Geschäftsberichts für 2014 bereits umgesetzt.
Ein zweites, im Herbst 2013 gestartetes Programm optimiert die Verwaltung des Konzerns und liegt nach Angaben des Unternehmens ebenfalls im Plan. Es soll bis Ende 2016 jährlich 230 Millionen Euro einsparen bringen.
Im laufenden Jahr wird darüber hinaus die Führungs- und Portfoliostruktur des Unternehmens neu geordnet. In der Evonik Industries AG wird die strategische Steuerung unter einer Managementholding konzentriert. Die drei großen operativen Segmente werden künftig als „Nutrition & Care“ (Ernährung und Pflege), „Resource Efficiency“ (Ressourceneffizienz) und „Performance Materials“ (Leistungswerkstoffe) mit größeren unternehmerischen Freiheiten als jeweils eigenständige Gesellschaften agieren.
Das übergeordnete Ziel dieser drei Programme ist die schärfere Fokussierung auf die rasant wachsende Mittelschicht in den großen Wachstumsmärkten. Hierfür wird auch die Forschung und Entwicklung stärker an Wachstumsländern ausgerichtet. Für Forschung gab der Konzern im vergangenen Jahr 413 Millionen Euro aus, 5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Als vielversprechende Innovationsfelder gelten für Evonik unter anderem Inhaltsstoffe für Kosmetika, Membranen, Materialien für die Medizintechnik und Verbundmaterialien.
Teil des umfassenden Gesamtprogramms sind zum Beispiel der Ausbau der Kieselsäureproduktion in Chester (USA) und Rheinfelden, eine neue Fertigung für Inhaltsstoffe der Kosmetik- und Reinigungsmittel-Industrie in Brasilien sowie die neue Anlage zur Produktion der Futtermittel-Aminosäure Methionin in Singapur.
Regional ist Evonik breit aufgestellt. Im Jahr 2014 wurden 22 Prozent der Erlöse in Deutschland erzielt, 33 Prozent im übrigen Europa. Dazu 18 Prozent in Nordamerika und 19 Prozent in der Region Asien-Pazifik. Dort will Evonik Forschung und Entwicklung künftig stärker auf die lokalen Konsumgewohnheiten und Geschmäcker zuschneiden. Sichtbare Zeichen sind ein Forschungs- und Entwicklungszentrum für Lackadditive mit Standorten in Shanghai und Singapur, das Produkte für Farben- und Lackhersteller entwickelt. Aber auch ein Technologiezentrum auf Taiwan, das Kunden in der Display-Industrie Asiens berät.