Seit Dienstag hat die Börsenwelt ihre eigene Version von Reality-Shows. Der Hedgefonds-Milliardär Bill Ackman eskalierte seine 18 Monate alte Short-Kampagne gegen die kalifornische Firma Herbalife – gegen die er eine Milliarde Dollar gewettet hat – zu einem Fernsehfanal. Herbalife ist ein Hersteller von Nahrungszusätzen und Diätdrinks, der unter anderem mit Cristiano Ronaldo und der belgischen Fußballnationalmannschaft wirbt.
Ackman zufolge soll der börsennotierte Konzern ein groß angelegtes Betrugssystem betreiben. Eine 337 Seiten lange Präsentation, die dies belegen würde, hatte der Investor in den vergangenen Tagen lauthals angekündigt. In einem CNBC-Interview sprach er am Montag von einem bevorstehenden „Todesstoß“ gegen Herbalife. Ackman verglich die Firma mit dem gescheiterten Unternehmen Enron, das als Teil seiner Betrugskampagne sogar falsche Handelsräume vortäuschte. Resultat dieser Vorwürfe am Montag: Die Herbalife-Aktie ging 11 Prozent in die Knie. Am Dienstag, vor Beginn der viel beachteten – und zu einem Fernsehgericht umfunktionierten Präsentation – fiel die Aktie noch einmal um 2 Prozent.
Doch was folgte, war eine der größten Blamagen, die sich Hedgefonds-Aktivisten bislang geleistet haben: Ackman blieb fast sämtliche Erklärungen und Beweise für seine schwerwiegenden Vorwürfe gegen Herbalife schuldig. Der gravierendste Vorwurf, der am Ende hängenblieb, waren angebliche Verstöße der Firma gegen amerikanische Arbeitsgesetze. Das Unternehmen soll in seinen Ernährungs-„Clubs“ Freunde und Verwandte von Mitgliedern zum Verkauf zusätzlicher Produkte motivieren. Experten nennen so etwas Direct Marketing. Ackman nennt es Arbeiten ohne Bezahlung und daher Ausbeutung und Betrug.
Der prominente Aktivist hatte seine Rede als die bedeutendste seiner Karriere bezeichnet. Doch nach dreieinhalb Stunden Vortrag im AXA Equitable Building in Midtown Manhattan schauten sich am Dienstagnachmittag viele Zuhörer verwundert an. Wo waren die versprochenen Beweise geblieben? Nicht gefragt, sondern gehandelt, wurde derweil an der Börse. Während Ackman sprach, schoss die Herbalife-Aktie 16 Prozent nach oben. Bis Dienstagabend legte sie an der New York Stock Exchange sogar 25 Prozent zu. Nicht nur die Anleger glaubten dem Fernsehankläger Bill Ackman kein Wort. Dabei hatte der sogar seinen Vater mitgebracht und fing am Ende seines Vortrages, der überall im Internet zu sehen war, zu schluchzen an. Ackman erzählte – den Tränen nahe – wie seine arme Familie in die USA einwanderte und warf dann Herbalife vor, mit einem ausgeklügelten Betrugssystem vielen Menschen den „amerikanischen Traum“ zu zerstören.
Ackman hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Vertraute in verschiedene Clubs von Herbalife eingeschmuggelt, um vermuteten Betrug aufzudecken. Er hat nach eigenen Angaben insgesamt 50 Millionen Dollar in die Short-Kampagne gegen Herbalife gesteckt und zuletzt die ehemalige Bloomberg-Reporterin Christine Richard mit Recherchen beauftragt. Das Ergebnis, so Ackman: Herbalife wolle die „Ärmsten der Armen in den USA ausnehmen.“ Das beschuldigte Unternehmen, gegen das wegen der Vorwürfe Ackmans von verschiedenen US-Bundesbehörden und Staatsanwälten ermittelt wird, wehrte sich am Dienstag. „Er bellt immer lauter als er beißt“, schoss Herbalife-Finanzchef John DeSimone scharf in der Sendung „Squawk on the Street“ auf CNBC zurück. Die 5000 als „nutrition clubs“ bezeichneten Nahrungstreffs des Unternehmens seien „gutartige soziale Veranstaltungen“, um die Produkte zu promoten.
Die Untersuchungen gegen Herbalife bezeichnete DeSimone als eine Chance, um die Vorwürfe von Ackman als haltlos zu entlarven. Nicht nur Anleger und Investoren haben Zweifel an den Vorwürfen Ackmans. Auch Bankanalysten sind skeptisch. Aktienexperten bei den Investmentbanken Cannacord Genuity (Vancouver) und B. Riley & Co. (Los Angeles) verglichen Bill Ackman zum Auftakt von dessen Herbalife-Kampagne mit dem verurteilten Aktivisten Barry Minkow. Dieser hatte Mitte des vergangenen Jahrzehnts Herbalife attackiert und wurde später wegen der Streuung falscher Informationen im Zusammenhang mit einer Short-Wette gegen das Bauunternehmen Lennar fünf Jahre ins Gefängnis gesteckt. Und Timothy Ramey, ein Analyst beim Investmentberater D. A. Davidson & Co. in Montana, wirft Ackman schlicht vor, er habe als reicher New Yorker aus dem edlen Vorort Chappaqua nicht verstanden, dass Herbalife-Produkte unter einfachen Leuten mit Gesundheitsbewusstsein populär seien.
Zweifel an Ackmans Short-Wette gegen Herbalife hat offenbar auch ein anderer Aktivist, Carl Icahn. Icahn hatte sich – kurz nachdem Ackman im Dezember 2012 seine Short-Position gegen Herbalife bekanntgab – 17 Millionen Aktien des Unternehmens gekauft. Beide Aktivisten waren vor 18 Monaten in einem spektakulären Rededuell auf CNBC aneinander geraten. Icahn verglich in dem denkwürdigen Schlagabtausch Ackman mit einer Heulsuse auf dem Schulhof. Ackman schlug zurück und bezichtigte Icahn, er sei kein ehrlicher Mensch. Die emotionale Debatte wurde monatelang zum Genuss von Millionen Zuschauern wiederholt ausgestrahlt. Der Wirtschaftssender CNBC glich in der öffentlich und bitter ausgetragenen Fehde zwischen den beiden Gladiatoren bisweilen dem Colosseum in Rom. Der Streit wurde erst kürzlich beigelegt.
Ackman hat trotz seiner Kampagne noch keine Freude an dem Short-Investment. Der Kurs der Aktie hat seit dem 12. Dezember 2012, dem Beginn des öffentlichen Kreuzzugs gegen das Unternehmen, 48 Prozent zugelegt. Doch Ackman hat gelobt, seine Wette „bis ans Ende der Welt“ durchzuhalten.