Dieser Trend lässt ins Grübeln kommen: Die Bundesbürger zeigen hiesigen Konzernen eisern die kalte Schulter, der Anteil ausländischer Investoren an den Dax-Firmen dagegen steigt unentwegt. Von 44 Prozent vor zehn Jahren auf jetzt 58 Prozent. Bereits 18 der 30 Dax-Titel gehören mehrheitlich Investoren von außerhalb Deutschlands. So liegen 84 Prozent der Aktien der der Deutsche Börse AG, 80 Prozent der Linde-Aktien und 74 Prozent der Anteilsscheine der Adidas AG in Händen ausländischer Investoren.
Deutsche Sparer legen andere Schwerpunkte.
Sie parken dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) zufolge mehr als 39 Prozent ihres Geldes bei Banken, weitere 38 Prozent bei Versicherungen. Der Bundesbank zufolge stecken sie lediglich 4,5 Prozent ihres Gesamtvermögens in Dividendenpapiere.
Was ihnen dadurch verloren geht, hat das Deutsche Aktieninstitut (DAI) Ende Mai 2015 ermittelt: „Hätten die Deutschen seit dem Jahr 2001 nur jeden vierten Euro, den sie Jahr für Jahr bei Banken und Sparkassen neu als Tagesgeld, Termingeld oder andere Einlagen sparen, in Aktien angelegt, wäre das Geldvermögen der Bundesbürger heute grob geschätzt 106 Milliarden Euro höher.“ Das entspricht immerhin dem Bruttoinlandsprodukt von Marokko.
Der Trend ist auch noch nicht beendet. Der jüngste Jahresbericht des DAI für 2014 trägt deshalb den Titel: „Weiter rückläufiges Aktieninteresse in 2014: Zahl der Aktienbesitzer sinkt um eine halbe Million.“ Demnach hat sich im vergangenen Jahr der langfristige Negativtrend sogar verschärft.
Die Folge: Kursgewinne und Ausschüttungen deutscher Publikumsfirmen landen überwiegend in ausländischer Hand. Einheimische Interessen können in den hiesigen, börsennotierten Aktiengesellschaften nicht stärker zur Geltung gebracht werden.
Deutsche Sparer schätzen also zwar die Produkte und Dienstleistungen ihrer Unternehmen, bringen deren Aktien aber weniger Vertrauen entgegen als internationale Investoren.
Auf ähnliche Befunde stoßen auch andere Experten. Den Beratern von EY (ehemals Ernst & Young) beispielsweise zufolge ist der Aktienanteil deutscher Anleger an den 30 Dax-Firmen von 49 Prozent im Jahr 2005 auf aktuell 34 Prozent gefallen. Die Deutschen sind Zaungäste beim Wachstum der eigenen Wirtschaft. Sie ziehen sich vom Erfolg zurück, zu dem sie oft als Arbeitnehmer selbst beigetragen haben.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Sie wurden ausgiebig analysiert: Zu viele Sparer haben sich im vergangenen Jahrzehnt nach dem jähen Ende der Dotcom-Euphorie die Finger an der Telekom verbrannt. Nachdem der Schauspieler Manfred Krug werbewirksam Millionen von Deutschen in die Aktie gelockt hatte – und die Telekom im März 2000 ihren Höhepunkt bei 104 Euro markierte, verlor die Volksaktie 90 Prozent ihres Werts.
Wer in der zweiten und dritten Tranche zugriff, hat Narben davongetragen. Auch der Einbruch des Neuen Marktes hinterließ tiefe Spuren und zehrt bis heute am Vertrauen vieler Sparer in Aktien. Bestätigt wurden die Pessimisten nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008, als es erneut auf Talfahrt ging und Sparvermögen zerstört wurden.
Die anschließende Rally, die den Dax auf mehr als 12.000 Punkte trieb, hat wenige von jenen zurück an die Börse gelockt, die sich damals die Finger verbrannten. „Trotz steigender Kurse an den Börsen sinkt die Zahl der Aktienanleger das zweite Jahr in Folge“, schreibt das Deutsche Aktieninstitut in seinem aktuellen Jahresbericht.
Demnach haben sich seit dem Jahr 2001, das den bisherigen Höhepunkt der Aktionärskultur in Deutschland markierte, „4,4 Millionen Menschen von Aktien und Aktienfonds getrennt.“ Resultat: Jetzt sind noch rund 8,4 Millionen Anleger, also etwa 13 Prozent der Bevölkerung, am Aktienmarkt engagiert.
Ein weiterer Trend hat die vergangenen Jahre geprägt: vor allem jüngere Anleger haben sich aus Aktien verabschiedet. Gerade sie sind es jedoch, die angesichts angespannter Rentenkassen mehr selbst für ihre Altersvorsorge tun müssten.
Hinzu kommt: Die älteren Anleger, vor allem die jetzt in Rente gehenden Babyboomer, werden in den kommenden Jahren "entsparen". Sie werden sich tendenziell von Aktien trennen, um ihren Lebensabend zu bestreiten.
Diese Abwärtsbewegung umzudrehen, wird daher nicht leicht werden. Dass es geht, beweisen jedoch die US-Amerikaner. Dort sind rund 35 Prozent des Privatvermögens in Aktien investiert, sieben Mal mehr als in Deutschland.
Das Resultat: Obwohl die Deutschen zwei bis drei Mal so viel von ihrem verfügbaren Nettoeinkommen auf die hohe Kante legen wie die Amerikaner, schneiden sie beim Vermögenszuwachs international eher bescheiden ab. So haben US-Sparer bei vergleichbaren Anlagebedingungen einen Renditevorteil von rund einem Prozent.
Profis sind überzeugt, dass es kein Kunststück sei, die Aktienkultur hierzulande gezielt zu fördern. Doch die Voraussetzung sei, dass Politiker besser den Wert des Aktiensparens für die Altersvorsorge und für die Wirtschaft insgesamt erkennen müssten.
Kritik entzündet sich vor allem an fehlenden Anreizen zum Investieren in Aktien. Steuerliche Vorteile für Aktiensparer sind Fehlanzeige. Die Einführung der Abgeltungssteuer hat Anteilsscheine sogar schlechter gestellt als andere Anlageformen.
Auch das DAI lässt keinen Zweifel daran, wo es die größten Hürden für eine ausgeprägte Aktienkultur in Deutschland sieht: Es sind eine mangelhafte ökonomische Bildung, exzessive Anforderungen an die Beratung sowie „die steuerliche Diskriminierung der Aktienanlage".