Deutschlands zweitgrößter Versorger RWE ist das Enfant Terrible im Dax. Der Aktienkurs des Konzerns ist in den zwölf Monaten bis Ende September 2015 um mehr als zwei Drittel eingebrochen, allein im Dreimonatsvergleich haben die Anteilscheine 48 Prozent ihres Werts eingebüßt.
„Niemand sollte sich einreden, dass der Aktienkurs von etwa RWE bereits den Tiefpunkt erreicht hat“, warnte Dirk Becker vom Analysehaus Kepler Cheuvreux am 21.September 2015 sogar noch.
Womöglich könnte die Kursschmelze der Rheinisch-Westfälischen Energiewerke bald auch noch von der Börse selbst angefeuert werden: Löst sich der Börsenwert der RWE noch weiter auf, droht dem Unternehmen gar der Rausschmiss aus dem Dax. Indexorientiert anlegende Fonds würden ihre RWE-Titel dann abgeben müssen – und das brächte neuen Druck auf den RWE-Kurs.
Schon jetzt steht RWE nach Angaben der Landesbank Baden-Württemberg nur noch knapp im Dax-Spielfeld: Gemessen an der streubesitzgewichteten Marktkapitalisierung rangiere der Essener Konzern mittlerweile nur noch auf der 40. Position. Ab Platz 45 droht der Zwangsabstieg aus der ersten deutschen Börsenliga, wenn zugleich auch der Börsenumsatz mit RWE-Aktien unter die Top-45-Marke rauschen sollte.
„Der Abstieg von RWE aus dem Dax ist noch nicht akut, aber es darf auch nicht mehr viel passieren“, sagte dann auch Uwe Streich, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg, gegenüber Börse Online. „Geht die Talfahrt der Aktien weiter, wäre ein außerordentlicher Abstieg Ende November 2015 durchaus möglich.“
Die Deutsche Börse selbst schweigt zu RWE, nichts zum Unternehme möchte man jetzt sagen, nur Allgemeines. Doch selbst das klingt nicht gut für RWE.
„Wir überprüfen regelmäßig die Zusammensetzung des Dax. Wenn ein Dax-Mitglied kontinuierlich an Wert verliert, kann es passieren, dass er irgendwann absteigt“, stellte die Deutsche Börse Ende September 2015 klar.
Die gewaltigen Kursverluste der RWE-Titel sind aber längst nicht mehr das einzige Problem der RWE-Anteilseigner. Parallel schmilzt auch die Dividende des Unternehmens zusammen: Seit 2009 ist die Zahlung an die Aktionäre um nahezu 80 Prozent kollabiert, auf zuletzt einen Euro. Tief genug, um manch wichtigen RWE-Aktionär selbst in Schwierigkeiten zu bringen – ganze Städte etwa.
Viele Ruhrgebiets-Kommunen beispielsweise sind an dem Versorger beteiligt, ihnen brachten die Dividenden der RWE viele Jahrzehnte dringend nötige Einnahmen. Kaum eine Gemeinde kann darauf verzichten, bis heute. Entsprechend wenig kompromissbereit sind diese Anteilseigner, ihre Ausschüttung noch weiter zusammenstreichen zu lassen.
„Wir gehen davon aus, dass RWE die Dividende für 2015 unverändert bei einem Euro pro Aktie lässt“, wiegelte Ernst Gerlach, Geschäftsführer des Verbandes kommunaler RWE-Aktionäre (VKA), dann auch am 2.September 2015 gegenüber der Rheinischen Post ab.
Selbst wenn die betroffenen NRW-Kommunen wie etwa Bochum, Dortmund oder Essen damit durchkommen sollten, fürchten deren Kassenwarte Schlimmes. Dreht der RWE-Aktienkurs nicht bald ins Plus, müssen manche Kämmerer die Vermögenswerte ihrer RWE-Aktien neu bestimmen und im städtischen Haushalt entsprechend abwerten.
Essen etwa müsste „eine Wertkorrektur um rund 250 Millionen Euro in der städtischen Bilanz“ vornehmen, wenn jetzt schon der 31.12.2015 wäre, sagte Essens Kämmerer Lars Martin Klieve der Rheinischen Post im Spätsommer 2015. Fataler Nebeneffekt: Entsprechend würde beispielsweise der Verschuldungsspielraum der Stadt Essen sinken, wenn das Minus nicht anderweitig ausgeglichen wird.
Laut der Fachzeitschrift Der Neue Kämmerer „erwägen mehrere kommunale Anteilseigner derzeit“ dann auch, ihre Aktien abzustoßen. Sie könnten auch als große Kunden Einfluss auf den Konzern nehmen, nicht nur als Aktionäre, spekulieren städtische Experten.
Analysteneinschätzungen, wonach der Boden für die ausgezehrte Versorger-Aktie nahezu gefunden sein könnte, würden sich bei einer größeren Verkaufswelle aber als Makulatur erweisen. Dabei ist der Börsenwert des Unternehmens schon jetzt unter seinen Buchwert gefallen.
Das ist eher ein Signal dafür, dass die Mehrzahl der Anleger dem einstigen Dividendenriesen nicht mal mehr zutraut, sich anständig zu erholen. Sie halten offenbar selbst die Pleite des Konzerns für möglich, und der Berg der Probleme des Unternehmens ist in der Tat groß.
Im Vorstand sind vier Stellen für die Bereiche Kraftwerke, Netze, Vertrieb und Erneuerbare Energien neu zu besetzen. Und auch der Aufsichtsrat kommt nicht zur Ruhe:
Dem 76-jährigen Vorsitzenden des Gremiums wollte es in vielen Monaten bis zum September 2015 nicht gelingen, einen Nachfolger für sich selbst zu bestimmen. Im Gegenteil, Manfred Schneider brachte mit seinem Vorschlag auch noch Anteilseigner gegen sich auf.
Sein Wunsch-Nachfolger ist der Ex-Finanzchef von SAP, Werner Brandt, der schon jetzt einen wichtigen Ausschuss des RWE-Aufsichtsrats leitet. Doch die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die mit 24 Prozent knapp ein Viertel der Anteile von RWE halten, wollen ihn nicht.
„Im RWE-Aufsichtsrat sehe ich niemanden, der für den Vorsitz geeignet ist“, sagte Guntram Pehlke, Vorstandschef des Dortmunder Kommunalversorger DSW21, gerade heraus im Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg noch am 18.September 2015.
Das war vor der Sitzung des RWE-Aufsichtsrats an jenem heutigen Freitag, den 18. September.
Nachher ließ RWE verbreiten, „der jetzige Aufsichtsrat ist der klaren Meinung, dass in seiner Mitte ein sehr geeigneter Kandidat in Herrn Dr. Werner Brandt für die Kontinuität im Aufsichtsrat auch in einer möglichen Wahl als zukünftiger Aufsichtsratsvorsitzender vorhanden ist.“
Welch ein Zerwürfnis, und das mitten in der Krise. Schließlich ist DSW21 mit einem Anteil von 3,6 Prozent der größte Einzelaktionär von RWE. Kaum erwähnenswert da noch, dass neben Manfred Schneider auch Daimler-Chef Dieter Zetsche und Ex-Thyssen-Krupp-Chef Ekkehard Schulz den RWE-Aufsichtsrat verlassen werden. Im Dezember 2015 soll der Nominierungsausschuss dem Aufsichtsrat dann Vorschläge für diese beiden Posten machen.
Spätestens dann wird wohl auch über die Zukunft von RWE-Chef Peter Terium selbst gesprochen werden. Die Kommunen werfen ihm vor, keinen großen Wurf zu präsentieren, um RWE aus der Krise zu führen. Dafür hat sich der Wert der RWE-Aktie halbiert seit Teriums Amtsantritt.
Insider spekulieren, dass Teriums Kritikern das neuerliche Milliardenrisiko aus dem Handelsstreit mit dem arabischen Gaskonzern Dana Gas in die Karten spielen könnte. Die angebliche Panne im Rahmen des schon im Jahr 2013 gescheiterten Pipeline-Geschäfts Nabuco ist ausgerechnet im Bereich Supply & Trading entstanden, den RWE-Chef Peter Terium selbst verantwortet. Und dabei geht es nicht um Kleinigkeiten.
Zwar hat RWE für diesen Rechtsstreit schon erhebliche Rückstellungen gebildet. Doch die könnten nach RWE-Angaben gar nicht reichen. „Die uns gegenüber geltend gemachten Ansprüche übersteigen die Rückstellungsbeträge deutlich“, teilte RWE seinen Aktionären in der Halbjahresbilanz 2015 ohne Umschweife mit. Die kritischen kommunalen Aktionäre könnten das als Vorlage gegen Terium nutzen.
Sie wie andere Anteilseigner fürchten vor allem, dass die ätzende Ironie des Fondsmanager Christoph Bruns aus dem Jahr 2013 doch noch bittere Realität werden könnte. Er textete in einem Kommentar für das Handelsblatt den RWE-Werbespruch kurzerhand um. „voRWEggehen in die Insolvenz“.