Der zweitgrößte Energiekonzern Deutschlands will sich in zwei Unternehmen aufspalten – was für eine Nachricht eigentlich. Eine Topmeldung: Der traditionsreiche Milliardenkonzern RWE mit Zehntausenden angestellten Frauen und Männern möchte neu anfangen. Dennoch kommt bei Beobachtern kein Erstaunen auf.
Was RWE im Dezember 2015 als eigenen und neuen Fahrplan in die Energiezukunft präsentiert hat, beurteilen manche schlicht als Kopie des Wegs, den der RWE-Konkurrent Eon schon im Jahr 2014 eingeschlagen hat. Andere sehen die einst stolze RWE gar als „Bad Bank“ in der geplanten Zwei-Firmen-Lösung enden, wie die Rheinische Post es in einer Schlagzeile am 2. Dezember 2015 formulierte.
Wie auch immer. Nach langem Zögern hat sich der Essener Stromkonzern RWE entschieden, in der bestehenden Aktiengesellschaft sein konventionelles Stromgeschäft mit Atomkraft, Braunkohle und den Stromhandel zu bündeln. In einer zweiten, der neuen Gesellschaft, will der angeschlagene Versorger die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, den Betrieb seines 550.000 Kilometer langen Stromnetzes sowie den Vertrieb mit 23 Millionen Kunden in Europa zusammenfassen.
Im Unterschied zu dem Modell, nach dem sich Eon im Jahr 2014 neu ordnete, will RWE langfristig die Mehrheit an der neuen Gesellschaft behalten. Allerdings soll der Börsengang eines kleinen Teils der neuen RWE-Gesellschaft frisches Kapital in die RWE-Kassen spülen; Ende 2016 sollen 10 Prozent dieser neuen Gesellschaft an die Börse gebracht werden. Rund die Hälfte des Erlöses aus diesem Teilbörsengang ist dann für den Ausbau der Erzeugungssparte vorgesehen, die auf erneuerbare Energien setzt.
Hier zeigt sich, dass RWE nicht nur infolge der abrupten deutschen Energiewende zu Beginn des Jahrzehnts in schwieriges Fahrwasser geraten ist, sondern auch durch eigenes Zutun. Das räumte Peter Terium offen ein, als er den Umbau des Konzerns am 1. Dezember 2015 ankündigte.
Sein Vorgänger Jürgen Großmann hatte lange auf Kohle und Atom gesetzt. Noch 2014 produzierte RWE deshalb etwa 50 Prozent seines Stroms mit Kohle. Erneuerbare Energien hatten daran nur einen Anteil von unter 5 Prozent. „Viele haben den Kopf in den Sand gesteckt und auf bessere Zeiten gehofft“, gibt Terium anlässlich der Ankündigung laut Süddeutscher Zeitung zu.
So erklären Insider auch, warum RWE selbst in der jüngeren Vergangenheit vergleichsweise wenig Geld in die erneuerbaren Energien gesteckt hat. Bei 33 Milliarden Euro Schulden und Rückstellungen für Atom-Altlasten sowie die anstehende Renaturierung stillgelegter Braunkohlefördergebiete, blieb wenig Luft für größere Investitionen.
Allerdings brachte das Warten auf bessere Zeiten für die nötigen Investitionen in erneuerbare Energien keinen Erfolg: Jetzt wird auch noch der Spielraum dafür aus dem Ertrag des Kohlegeschäfts kleiner. „RWE ist in seiner Existenz bedroht“, zitiert die Zeit am 1. Dezember 2015 dann auch den Berater Ben Schlemmermeier von der Beratungsgesellschaft LBD in Berlin.
Aus der Politik in Berlin kommen Signale, den Ausstieg aus der Kohle um einige Jahre vorzuziehen. Selbst die nordrhein-westfälische Landesregierung hat RWE im Sommer 2015 mitgeteilt, dass die einst ausgewiesenen Abbaugebiete im rheinischen RWE-Braunkohlerevier nun verkleinert werden sollen. Mehrere hunderttausend Tonnen Braunkohle wird RWE dort im Tagebau weniger als bisher geplant fördern können, die Betriebszeit dieses RWE-Braunkohlereviers sinkt entsprechend. Und auch der mögliche Erlös daraus.
Zudem wollen nun institutionelle Investoren wie etwa die Allianz oder die Axa kein frisches Kapital in Versorger mit konventionellen Energiequellen mehr stecken. Auch Norwegens Staatsfonds, einer der weltweit größten Investoren, hatte im Juni 2015 entschieden, aus der Kohlefinanzierung auszusteigen.
Damit wird es künftig tendenziell schwieriger für RWE, an frisches Geld zu kommen. Das dürfte einer der Gründe sein, warum RWE-Chef Terium den Kapitalmarkt mit der neuen Gesellschaft in Anspruch nehmen will – sofern er die Aufspaltung des jetzigen RWE-Konzerns im Aufsichtsrat durch bekommen wird.
Den Segen der Mitarbeitervertreter scheint er zumindest dafür zu haben. „Mit der Neuaufstellung der innovativen Geschäftsbereiche verbinden wir die Erwartung, dass jetzt ausreichend Investitionsmittel zur Verfügung gestellt werden können, damit RWE die Energiewende aktiv mitgestalten kann“, sagte Verdi-Bundesvorstand Andreas Scheidt am 3.12.2015. Für die Zustimmung der Gewerkschaft sei es aber notwendig, dass die Mitbestimmungsrechte und die Tarifbindung auch in der neuen RWE-Welt gewahrt blieben.
Die Gewerkschaften sind derzeit nicht die einzigen, die sich um ihre bisherigen Rechte in der künftigen RWE-Welt sorgen.
Die Kommunen, vor allem im Ruhrgebiet, bangen ebenfalls um ihre Macht, und sie sind im Aufsichtsrat des jetzigen Essener Unternehmens gut vertreten: Sie halten knapp ein Viertel der Aktien des bisherigen Dax-Konzerns, gebündelt in der Zweckgesellschaft RWEB GmbH. Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau beispielsweise ist RWE-Aufsichtsrat. Und noch haben sich die Ruhrgebiets-Kommunen nicht auf die Seite von Terium geschlagen.
So sagte etwa die Vereinigung der kommunalen RWE-Aktionäre (VKA) am 2.Dezember 2015, der Plan des RWE-Chefs sei „derzeit nicht grundlegend zu bewerten“. Eine Strukturreform sei zwar dringend nötig, so der VKA, aber: „Mit einer Zweiteilung lassen sich selbstverständlich nicht alle Probleme lösen.“
Deutlicher formulieren ihre Ablehnung andere Städte-Vertreter. „Ich werde mir das neue Gesellschaftsmodell mit meinen Kollegen aus den Kommunen genau ansehen. Einem einseitigen Deal zu Lasten der Städte und Gemeinden erteile ich schon jetzt eine Absage“, sagt der Süddeutschen Zeitung dazu Burkhard Mast-Weisz, Oberbürgermeister von Remscheid.
Die Bürgermeister und Stadtkämmerer in den klammen Städten wollen vor allem zweierlei wissen: Wie das frische Geld aus dem geplanten Börsengang verwendet werden soll und welchen Einfluss sie in der neuen RWE-Gesellschaft denn haben werden. Denn diese neue Gesellschaft soll offenbar als europäische Aktiengesellschaft firmieren, in der durch ihren Teilbörsengang auch noch weitere Investoren aufgenommen werden. Und in einer Aktiengesellschaft dieser Art hätten die Ruhrgebiets-Kommunen nicht mehr so viel zu sagen, wir in der jetzigen RWE. An der halten sie schließlich knapp ein Viertel der Stimmrechte.
In den Kassen der Ruhrgebiets-Metropole Essen beispielsweise finden sich 18 Millionen RWE-Aktien, Dortmund besitzt sogar 24 Millionen RWE-Titel. Die Dividende daraus wird zum Bezahlen aller möglichen städtischen Aufgaben genutzt.
Womöglich ist das dann auch der Hebel für RWE-Chef Terium, die geplante Aufspaltung des RWE-Konzerns doch durch den Aufsichtsrat zu boxen: Er braucht wahrscheinlich eine Lösung für das RWE-Dividenden-Problem der betroffenen Kommunen.
Denn auch die RWE-Ausschüttung an die kommunalen Anteilseigner des Konzerns sinkt seit Jahren infolge der hiesigen Energiewende und des Atomausstiegs. Noch im Jahr 2008 beispielsweise zahlte RWE seinen Anteilseignern stolze 4,50 Euro Dividende, im laufenden Jahr 2015 ist es nur noch ein Euro. Und längst fürchten die betroffenen städtischen Kämmerer wie auch viele andere RWE-Aktionäre, in 2016 nur noch 50 Cent Dividende je RWE-Aktie zu erhalten. Die Löcher in den betroffenen Stadtkassen würden dadurch vielfach tiefer.
Macht Terium aber die Stabilisierung der RWE-Ausschüttung infolge der geplanten Aufspaltung glaubhaft, bewegt das vielleicht die mächtigen Kommunalfürsten zum Einlenken.
Nicht zuletzt, weil den Kommunen auch der riesige Wertverfall der Aktien des RWE-Konzerns in seiner jetzigen Form auf das städtische Portemonnaie drückt. Im Jahr 2007 beispielsweise hatte das Papier noch bei knapp 100 Euro notiert. Mittlerweile ist davon gerade mal gut ein Zehntel übrig. Allein im Kalenderjahr 2015 büßte der Kurs der RWE-Aktie bis Anfang Dezember rund 60 Prozent ein. Städte wie Essen mussten deshalb schon mehrfach den Wert ihrer RWE-Aktienbestände in ihren kommunalen Bilanzen nach unten anpassen.
Anleger und Investoren können dem skizzierten Umbau des RWE-Konzerns offenbar schneller als die Kommunen etwas Gutes abgewinnen. Der Kurs der RWE-Aktie machte direkt nach der Bekanntgabe der Aufspaltungspläne einen Sprung in die Höhe von 14 Prozent: Nicht zuletzt deshalb hat er von etwas über neun Euro Ende September 2015 auf mehr als 12,50 Euro am 2. Dezember zugelegt.
Die Städte treibt allerdings neben ihrer Machtposition bei RWE und den Dividendenzahlungen auch noch ein weiterer Punkt um: Sie bleiben bei der geplanten Art der Aufspaltung des RWE-Konzerns mit ihrem bestehenden RWE-Anteil auf der Co2-Sparte des Energieversorgers sitzen. Zugleich produzieren die Stadtwerke der kommunalen Anteilseigner ihren eigenen Strom zumeist aber selbst auch noch mit fossilen Energieträgern, beispielsweise mit Kohle- oder Gaskraftwerken – kein gutes Omen für die Zukunft.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte beim Klimagipfel in Paris im Dezember 2015 die komplette Decarbonisierung der Wirtschaft in diesem Jahrhundert.
Anleger jedenfalls haben registriert, dass bei RWE jetzt alles sehr schnell gehen soll. Die neue RWE-Gesellschaft mit Fokus auf erneuerbare Energien und Netze sowie Vertrieb werde bereits 2016 gegründet. Die Eile macht wohl auch Sinn, denn bei RWE setzt sich der Gewinneinbruch auch während der Debatte über die Aufspaltung des Konzerns fort.
Wurde im Jahr 2009 noch 9,1 Milliarden Euro operatives Ergebnis (Ebitda) erzielt, so waren es 2014 nur noch 7,1 Milliarden. Im Jahr 2015 sollen es laut den Prognosen noch 6,1 Milliarden bis 6,4 Milliarden Euro sein. Nach massiven Abschreibungen auf die Kraftwerke wurde 2013 sogar ein Nettoverlust von 2,8 Milliarden Euro ausgewiesen.