Jetzt ist es amtlich. Die kanadische Potash zieht ihre 7,9 Milliarden Euro umfassende Offerte für den deutschen Düngemittelhersteller K+S zurück.
Damit endet ein Übernahmeversuch, der es nicht mal bis zu einem Angebot an die K+S-Aktionäre geschafft hatte: Mehr als die Ankündigung, den K+S-Anteilseignern 41 Euro je Aktie bieten zu wollen, kam von den Kanadiern nicht. Die machten für ihre unvollendete Ankündigung nun die schwächelnde Börsenlage verantwortlich. Und den Widerstand von K+S.
„Angesichts der Marktbedingungen und der fehlenden Unterstützung seitens des K+S-Managements sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es nicht länger im Interesse unserer Aktionäre liegt, den Zusammenschluss weiterzuverfolgen“, ließ Potash-Chef Jochen Tilk mitteilen; Tilk ist in Deutschland geboren und aufgewachsen.
Es schimmert durch, dass Potash kein Mandat seiner eigenen Aktionäre hatte, das in Aussicht gestellte Angebot an K+S noch zu erhöhen. Das mag damit zu tun haben, dass es bei den Kanadiern alles andere als rund läuft im Spätsommer 2015.
Der Dax-Konzern indes verteidigt seine Abwehr nach der Bekanntgabe des Abbruchs des Übernahmegesuches. „Dieser Schritt schafft Klarheit. Wir sind überzeugt davon, dass wir unser Unternehmen mit der konsequenten Umsetzung unserer Zwei-Säulen-Strategie langfristig erfolgreich weiterentwickeln können“, ließ sich K+S-Chef Norbert Steiner in einer Konzernmitteilung zitieren.
Der Kurs der K+S-Aktie brach daraufhin am 5. Oktober 2015 um bis zu 26,2 Prozent auf 22,87 Euro ein. Das war der zweitgrößte Kurssturz in der K+S-Firmengeschichte. Bis zum Börsenschluss erholten sich die Titel minimal auf 23,15 Euro. Aber auch damit waren die K+S-Aktien so billig wie zuletzt zu Jahresbeginn 2015, sie kosteten sogar noch 20 Prozent weniger als unmittelbar vor Bekanntwerden der Potash-Übernahmepläne Ende Juni 2015.
Gescheitert ist Potash in Kassel wohl vor allem an einer ungewöhnlich großen politischen Koalition der Übernahmeverweigerer. Alle hiesigen Ministerpräsidenten, die in ihren Bundesländern K+S-Standorte verzeichnen, wollten das Unternehmen als deutschen Marktakteur erhalten: vom hessischen CDU-Chef Volker Bouffier bis zum Linken-Regierungschef Bodo Ramelow in Thüringen. Offenbar auch die Gewerkschaften um IG-Chemie-Chef Michael Vassiliadis konnten sich nicht mit Potash anfreunden.
Insider berichten, dass Potash-Chef Jochen Tilk vier Briefe an das K+S-Management geschickt habe, die allesamt unbeantwortet geblieben seien.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagte dann auch nach Angaben von Focus Online, er sei froh, dass durch den Rückzug von Potash „Tausende von Arbeitsplätzen im hessischen Kali- und Salzabbau und die Wirtschaftskraft der Region nicht gefährdet werden“. Und Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel ergänzte dort, es sei „ein riesiger industriepolitischer Verlust abgewendet worden“.
Potash prallte mit seinem Übernahmeversuch somit auf eine politische Mauer. Für die Kanadier ist das ein schmerzhafter Rollentausch: Denn das Unternehmen wurde im Jahr 2010 selbst das Ziel eines rekordverdächtigen Übernahmeangebots, wehrte den Versuch aber mit Hilfe der kanadischen Politik ab.
Der Hintergrund: In den Jahren 2007 und 2008 hatte Chinas Rohstoffhunger dafür gesorgt, dass der Preis für Kali um 400 Prozent stieg. Potash war dadurch zum wertvollsten Unternehmen auf der kanadischen Kurstafel geworden. Mit einer Kapitalisierung von umgerechnet 47 Milliarden Euro hängte der Bergbaukonzern damals traditionsreiche kanadische Börsen-Ikonen wie die Royal Bank, Research in Motion und den Gasproduzenten EnCana ab.
„Düngemittel sind das neue Gold“, schrieb im November 2010 das Fachmagazin Mining. Das entging den großen Minenkonkurrenten von Potash nicht.
Der australische Rohstoffgigant BHP Billiton legte Mitte August 2010 ein Angebot vor, um für damals umgerechnet 27 Milliarden Euro den kanadischen Konzern Potash zu erwerben. Damit wurde eine emotionale Debatte über die Kontrolle in Kanadas Rohstoffindustrie losgetreten. Sie wurde bis ins Kabinett des konservativen Premiers Stephen Harper geführt. Und die hatte eine ebenso emotionale Vorgeschichte.
Ab der Mitte des vergangenen Jahrzehnts hatte die Regierung in Ottawa grünes Licht für zahlreiche milliardenschwere Übernahmen kanadischer Minenfirmen gegeben, darunter Inco durch die brasilianische Vale und Falconbridge durch die Anglo-Schweizerische Xstrata.
Diese und einige weitere Übernahmen kanadischer Firmen wurden im Gegenzug für die Zusage genehmigt, dass die neuen Eigentümer die Arbeitsplätze im Ahornland erhalten.
Doch dann kam die Finanzkrise, und entgegen den Zusicherungen wurden viele Tausend Jobs in Kanada gestrichen. Vor allem in der Minenbranche, deren Produktpreise erheblich einbrachen, als die Börsen in die Knie gingen.
Doch Chinas Energie- und Rohstoffhunger war ein halbes Jahrzehnt nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation so stark geworden, dass weitere Übernahmen folgten, zumal die Minenunternehmen nun für Schnäppchenpreise zu haben waren.
Chinas Staatsfonds CIC investierte 2009 etwas mehr als eine Milliarde Euro, um 17,2 Prozent an Teck Resources zu erwerben, Kanadas größtem gemischten Rohstoffkonzern. Die Aluminium Corp. of China schnappte sich die kanadische Peru Copper mit Minen in Südamerika für rund 560 Millionen Euro.
Um die Wende zum neuen Jahrzehnt investierten chinesische Firmen allein mehr als acht Milliarden Euro in kanadische Firmen. Plötzlich begann eine Diskussion über das nationale Tafelsilber im Rohstoffsektor.
Die Debatte wurde nun immer härter geführt, kanadische Interessen standen im Mittelpunkt. Auch Potash tauchte in der Diskussion immer wieder auf, als eines der prominenten kanadischen Rohstoffunternehmen. Längst war die Stimmung gegen den Freihandel gekippt.
Selbst eine Studie des Wirtschaftsprofessors Theodore Moran an der Georgetown University, der zufolge die große Mehrzahl der Übernahmen kanadischer Rohstofffirmen keine negativen Folgen für die nationale Sicherheit des Landes habe, änderte nichts.
Im Gegenteil: Die Gegner des BHP-Deals mit Potash wetzten die Messer. Der Premier von Saskatchewan, der Heimatprovinz von Potash, forderte Kanadas Industrieminister auf, sich „für die nationalen Interessen des Landes stark zu machen“ und die Übernahme abzulehnen. Er drohte der übernehmenden BHP Billiton eine Transfersteuer an, sollte die kanadische Bundesregierung den Deal genehmigen.
Zeitungen, die voreilig – und falsch – über die angebliche Genehmigung des Deals berichteten, empfahl er, ihre „Leitungen zu kühlen“. Die regionale Regierung wurde sogar in Ottawa vorstellig. Schließlich wurde die Übernahme von Potash durch BHP Billiton auf Basis des Invest Canada Act mit der Begründung abgelehnt, eine solche Übernahme biete Kanada „unter dem Strich keine Vorteile“.
Das entspricht manchen Argumenten, die jetzt von deutschen Politikern gegen die Übernahme von K+S durch Potash ins Feld geführt wurden.
Dass da ausgerechnet der politisch gewiefte Potash-Konzern in Deutschland an einer politischen Koalition aus Parteien, Behörden und Gewerkschaften gescheitert ist, empfinden Beobachter durchaus als Ironie der Wirtschaftsgeschichte. Betroffen sind von dieser schwachen Management-Leistung von Potash auch die Aktionäre des kanadischen Unternehmens.
Potash wollte mit der Übernahme des deutschen Düngemittelwettbewerbers K+S eigentlich seine langjährige globale Führungsposition auf dem Kalimarkt stärken.
Bisher hatten Potash, Mosaic und Agrium sich dort gegen Konkurrenz wehren können, nicht zuletzt weil sie über das gemeinsame Vertriebs-Vehikel Canpotex die Preise beeinflussen konnten. Doch die Canpotex-Dominanz sinkt seit geraumer Zeit – und K+S wird nun nicht in diese Phalanx eingereiht werden können, um diesen Marktmachtverlust zu stoppen.
Der spiegelt sich auch im Kurssturz der Potash-Aktien. Offenbar infolge der im Jahresverlauf 2015 deutlich gesunkenen Kalipreise verloren die Potash-Anteilsscheine zwischen dem 19. Februar 2015 und dem 2. Oktober 2015 immense 46 Prozent auf 17,78 Euro an Wert. Sehr ähnlich übrigens, wie die Mosaic-Aktien, die in einem nahezu identischen Zeitraum um 41 Prozent auf 28,35 Euro absackten.
Dass K+S jetzt die Übernahme durch Potash abwehren konnte, hinterlässt bei Analysten zwiespältige Gefühle. Sie sind sich nicht ganz einig, ob der geplatzte Deal positiv oder eher negativ für das Unternehmen und seine Aktionäre zu werten ist.
Rajesh Singla von der französischen Bank Société Générale fürchtet für den Kasseler Salz- und Düngemittelproduzenten eine verpasste Chance. Er kann sich einen Rückgang des K+S-Aktienkurses um mehr als 10 Prozent selbst unter das Kursrutsch-Niveau vom 5. Oktober 2015 vorstellen.
Doch Analysten der Baader Bank sehen auch die Möglichkeit, dass sich K+S jetzt mehr auf seine internationale Expansion konzentriert. Die Rohstoffpreise würden nicht ewig im Keller bleiben. Erst recht nicht die Notierungen für Düngemittel, die bei schwindender landwirtschaftlicher Fläche und einer wachsenden Weltbevölkerung helfen sollen, die Menschheit zu ernähren.