Baustellen, Bauwagen, Bauzäune: An vielen Ecken und Enden wird in den wachsenden deutschen Städten gebaut, glaubt man derzeit zu beobachten. Und der Eindruck ist auch nicht so falsch. Allein im Jahr 2014 wurden hierzulande beispielsweise 14,2 Prozent mehr Wohnungen fertiggestellt als im Jahr zuvor, hat das Statistische Bundesamt Mitte Juni 2015 mitgeteilt.
Selbst europaweit geht es offenbar teils aufwärts: Nach Angaben des Münchener ifo-Forschungsinstituts zieht etwa das Wohnungsbauvolumen im August 2015 in 16 von 19 beobachteten europäischen Staaten an.
Das hat die Baubranche offenbar aufgescheucht, die sich schon an zähe Minusnachrichten gewöhnt hatte.
In der Zementindustrie bahnt sich eine Milliardenübernahme an, schon die zweite binnen weniger Monate. Und dieses Mal versucht offenbar mit HeidelbergCement die Nummer zwei der Branche die Vorlage des Branchenprimus nachzuzeichnen:
Erst Mitte Juli 2015 hatte sich Frankreichs Lafarge mit der Schweizer Holcim zum größten Betonmischer der Welt zusammengetan. Jetzt versucht HeidelbergCement einen kleinen Konter.
Die Nummer zwei der Branche hat Ende Juli 45 Prozent des italienischen Wettbewerbers Italcementi von deren Mutterkonzern Italmobiliare erworben. Zusammen soll der neu geschmiedete Konzern nach der Übernahme bis zum Jahr 2019 auf einen jährlichen Umsatz von 20 Milliarden Euro kommen; bislang hatte HeidelbergCement allein 17 Milliarden Euro prognostiziert.
Das operative Ebitda werde dann überdies bei fünf Milliarden statt bislang vier Milliarden Euro liegen. Und das Management des deutschen Unternehmens wirbt mit weiteren positiven Prognosen für den Deal.
HeidelbergCement werde nicht nur zur Nummer zwei im Bereich Zement aufsteigen, sondern bei Baustoffen wie Sand, Kies und Schotter LafargeHolcim überholen und an die Spitzenposition aufrücken – und das selbst dann, wenn HeidelbergCement nach dem Zukauf ein Werk in Belgien und zwei US-Fabriken in Virginia und Indiana auf Druck der Kartellwächter wohl werde abgeben müssen.
Dennoch: Der Abstand zum frisch fusionierten Branchenstar LafargeHolcim bleibt auch nach dem kleinen Konter der Deutschen gewaltig, selbst wenn durch Italcementi auch wachstumsstarke Märkte in Nordafrika, Indien, Kasachstan und Thailand erschlossen werden. Denn Lafarge und Holcim kommen zusammen schon im laufenden Jahr 2015 auf rund 30 Milliarden Euro Umsatz.
Zudem kann HeidelbergCement nicht einmal schnellen Vollzug der Übernahme melden. Schließlich müssen die Deutschen erst das Votum der Kartellbehörden in Europa und den USA abwarten; HeidelbergCement wird dabei nach Angaben von Juve von der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz beraten.
Die Juristen hätten schon Mitte August 2007 an dem milliardenschweren Verkauf der Maxit Group von HeidelbergCement an den französischen Konkurrenten Saint-Gobain mitgewirkt.
Erst nach der Kartellentscheidung kann HeidelbergCement, voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2016, den restlichen Italcementi-Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreiten. Sollte dies erfolgreich sein, wird die Integration des mit rund 3,7 Milliarden Euro bewerteten italienischen Unternehmens in den neuen Gesamtkonzern richtig beginnen.
Zum Vorteil von HeidelbergCement scheint sich zumindest kein Wettbieten um den Übernahmekandidaten abzuzeichnen. Nach Angaben von finanzen.net interessierte sich zwar auch Nigerias Dangote Cement für Italcementi, hat aber dann wohl doch kalte Füße vor solch einem großen Zukauf bekommen.
Immerhin gilt Italcementi mit einer Jahreskapazität von 71 Millionen Tonnen und insgesamt 46 Werken als die Nummer fünf der globalen Zementbranche. Heidelberg ist mit einem Umsatz von 12,6 Milliarden Euro im Jahr 2014 dreimal so groß.
„Wir sind überzeugt, dass wir einen angemessenen Kaufpreis für die qualitativ hochwertigen Werke von Italcementi zahlen“, sagte HeidelbergCement-Chef Bernd Scheifele bei der Verkündung des Deals.
Und HeidebergCement-Finanzchef Lorenz Näger sekundierte: „Nach Abschluss der Transaktion wollen wir bis 2018 jährliche Synergien von mindestens 175 Millionen Euro realisieren.“ Die mittelfristigen Finanzziele hätte der Konzern angesichts der positiven Effekte der Transaktion bereits angepasst.
Die Sicht Scheifeles trifft allerdings nicht ganz die Lageschätzung anderer Branchenbeobachter. Zement wird ihren Angaben nach insgesamt noch immer vergleichsweise wenig gebraucht, auch wenn die Nachfrage von mickrigem Niveau ausgehend wieder anziehe, etwa mancherorts in Europa.
Doch noch lasse nicht zuletzt die Flaute in den großen Wachstumsmärkten der BRICS-Staaten wie zum Beispiel Russland und China nur eines zu: viele Werke im Bummelbetrieb laufenzulassen. Lafarge und Holcim beispielsweise sollen ihre Produktionskapazitäten weltweit unter 70 Prozent auslasten, in Europa immerhin zu etwa 50 Prozent.
In diesem Umfeld scheint es schwierig, das eingesetzte Kapital gut zu verzinsen. Doch einschließlich Schulden, so heißt es zur Übernahme des 45-Prozent-Anteils an der Italcementi, muss HeidelbergCement 6,7 Milliarden Euro aufbringen.
Das wäre bis Anfang August 2015 die größte Übernahme eines deutschen Unternehmens im laufenden Jahr 2015.
Die Heidelberger wetten somit mit dem angegangenen Zukauf auf eine Belebung der Baukonjunktur beispielsweise im Süden Europas, wie sie sich etwa in den ifo-Daten zu den Wohnungsbauvolumina in den 19 sogenannten Euroconstruct-Staaten andeutet. Denn der Deal mit Italcementi bringt HeidelbergCement nicht zuletzt in eine bessere Position in Italien, Spanien und Frankreich.
Die Gelegenheit zur Übernahme bezeichnet die HeidelbergCement-Führung deshalb als ideal. „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um mit dieser Transaktion unser Wachstum zu beschleunigen, nachdem die Märkte in Südeuropa und den Vereinigten Staaten erkennbar Fahrt aufnehmen“, sagte Konzernchef Scheifele, als er den Zukauf vor Analysten begründete.
Ob diese Wette aufgeht, werden die HeidelbergCement-Aktionäre bald sehen. Zwar ist Italcementi tatsächlich gut in den Vereinigten Staaten und Ostkanada vertreten. Doch auch in den USA lässt eine wirkliche Erholung, die ohne den Schub billigen Geldes auskommt, noch auf sich warten.
Kanada wiederum droht wegen der schwachen Energiepreise sogar eine Rezession, die vor allem die Bauwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen würde. Und in seinen starken Märkten im Süden Europas hat Italcementi jahrelang Verluste eingefahren und musste ein Sanierungsprogramm hinter sich bringen.
Erst im laufenden Jahr sollen bei Umsätzen von gut vier Milliarden Euro wieder Gewinne nach Steuern eingefahren werden.
Unter dem Strich bleiben Kritiker der Übernahme bei ihrer warnenden Haltung. „Der Deal dürfte nicht sonderlich wertsteigernd sein“, sagt etwa Robert Muir, Analyst des Bankhauses Berenberg.
Für HeidelbergCement bedeutet die eingeleitete Übernahme so oder so eine Zeitenwende. Seit rund sieben Jahren hat das Dax-Unternehmen daran gearbeitet, durch den Verkauf von Anteilen einen stattlichen Schuldenberg abzubauen. Dieser war nach der Übernahme von Hanson in Großbritannien am 23. August 2007 auf insgesamt 14 Milliarden Euro angewachsen.
Jetzt aber scheint es wieder so zu sein, dass Wachsen in der Prioritätenliste vor Sparen geführt wird. „Das Vorhaben, über Zukäufe weiter zu wachsen, ist früher als erwartet gekommen“, kommentiert Marc Gabriel, Analyst des Düsseldorfer Bankhauses Lampe.
HeidelbergCement betont dann auch vorsichtshalber selbst, dass der Zukauf nichts an der finanziellen Konsolidierung ändere.
Selbst mit Italcementi werde der Schuldenberg des Unternehmens von 5,7 Milliarden Euro zu Beginn des August 2015 auf höchstens 8,0 Milliarden Euro zum Ende des Jahres 2016 steigen, versucht HeidelbergCement zu beruhigen. „Das finanzielle Risiko ist sehr niedrig“, zitiert dann auch das Handelsblatt den Unternehmenschef Scheifele.
Das sehen allerdings nicht alle Beobachter so. Der Erwerb von Italcementi könne durchaus die Wiederaufnahme in die Investment-Grade-Liga verzögern, also den Club der von Ratingagenturen als kreditwürdig eingestufter Schuldner. Dies zöge einen teureren Schuldendienst nach sich, sollten im Herbst die Zinsen anziehen, warnen Kritiker des Deals.
Dem setzte HeidelbergCement zuletzt indes solide Zahlen entgegen. Im zweiten Quartal 2015 erfüllte HeidelbergCement die Analystenerwartungen zwar nicht ganz, steigerte Umsatz und Gewinn aber deutlich. So stiegen die Verkaufserlöse um ein Zehntel auf 3,6 Milliarden Euro, der Nettogewinn legte 11 Prozent auf 322 Millionen Euro zu.
Bernd Scheifele, seit 2005 Vorstandschef des Baustoffkonzerns, sieht dann auch ein „sehr gutes Quartal“ hinter sich.
Das allerdings haben die Aktionäre von HeidelbergCement nicht. Ab Februar 2015 rangierte der Kurs des Unternehmens fünf Monate seitwärts, bevor er im Juli 2015 von 73 auf 66 Euro korrigierte.
Viel besser aber ist die längerfristige Blick auf den Kurszettel: Von Anfang 2015 bis Ende Juli 2015 ist der Preis der HeidelbergCement-Aktie um 12 Prozent gestiegen, in den zwölf Monaten bis Ende Juli 2015 gar um dicke 28 Prozent.