Das war ein Schlag. Der Atom-Stresstest des Düsseldorfer Wirtschaftsprüfers Warth & Klein Grant Thornton über die vier großen Energieversorger in Deutschland hat die Aktien von RWE, Eon, Vattenfall und EnBW schwer getroffen. Die Anleger verkaufen ihre Anteilsscheine en masse.
Allein der Dax-Wert Eon hat in den fünf Handelstagen bis zum heutigen 16. September 2015 mehr als 18 Prozent an Börsenwert verloren. Binnen sechs Monaten beträgt der Eon-Aktienkursverlust gar 41 Prozent.
Der Milliardenschaden ist atemberaubend.
Eon, das Ende 2014 mit der Abspaltung seiner konventionellen und atomaren Energieproduktion eine der größten Zäsuren der deutschen Industriegeschichte angekündigt hatte, ist an der Börse jetzt noch knapp 15 Milliarden Euro wert. Das sind 13 Milliarden Euro weniger als zum Zeitpunkt der Ankündigung der Aufspaltung.
„Die deutsche Energiepolitik ist mittlerweile so unberechenbar, dass der Markt stets das Schlimmste annimmt“, kommentierte ein Stromkonzern den Aderlass seines Aktienkurses. Tatsächlich nahm der jüngste Kursverlust seinen Ausgang in der Bundeshauptstadt.
Die Rheinische Post und der Spiegel hatten am 15. September 2015 unter Bezugnahme auf „Berliner Kreise“ von Zwischenergebnissen der Düsseldorfer Wirtschaftsprüfer berichtet, wonach den vier Versorgern für den Abriss und die Entsorgung ihrer Atomkraftwerke zusammen bis zu 30 Milliarden Euro Rückstellungen fehlen sollen.
Allein bei Eon soll die Unterdeckung der Risiken neun Milliarden bis zwölf Milliarden Euro ausmachen. Zusätzliche Summen also über jene 16,6 Milliarden Euro hinaus, die Eon bisher dafür zurückgelegt hat. Die Antwort des Düsseldorfer Energieunternehmens fiel entsprechend aus:
„Das Ergebnis des Stresstests gibt es noch nicht, lediglich einen Entwurf. Unsere Rückstellungen sind sachgerecht, richtig und angemessen bilanziert“, zitiert das Handelsblatt das Unternehmen.
Tatsächlich hat auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die kursierenden Zahlen schnell zurückgewiesen. „Es finden in diesen Stunden unverantwortliche Spekulationen zum Stresstest für Kernenergie statt“, sagte Gabriel am 15. September 2015. „Die aktuellen Zahlenspiele sind keine Grundlage für unser konkretes politisches Handeln.“
Gabriel hatte im Juni 2015 die Wirtschaftsprüfer gebeten zu prüfen, ob die bisher erfolgten Rückstellungen der Versorger für den Atomausstieg ausreichend sind.
Genau darüber gibt es jetzt Streit. Laut den Gutachtern sollen die Versorger mit zu hohen Zinssätzen für die Rückstellungen gerechnet haben, angeblich mit bis zu 4,7 Prozent. Im aktuellen Niedrigzins-Umfeld klingt das ziemlich optimistisch. Die Gutachter scheinen das auch so zu sehen. Sie rechneten sogar einen Extremfall mit negativem Realzins aus.
Dieses extreme Szenario der Wirtschaftsprüfer wird jedoch von den Versorgern kritisiert. Bei Eon verweist man darauf, dass in anderen europäischen Ländern für die Verzinsung der Rückstellungen Realzinsen von mehr als 2 Prozent zugrunde gelegt würden.
„Für die negativen Marktreaktionen gibt es aus Sicht des Ministeriums keinen Anlass“, hieß es dazu dann schließlich auch aus Deutschlands Wirtschaftsministerium.
Das wirtschaftliche Risiko aus den Bewertungen ist für Eon und die Eon-Aktionäre auf alle Fälle enorm. Denn bei den Rückstellungen der Stromkonzerne handelt es sich nicht um Bares auf der hohen Kante. Das Kapital wird vielmehr in Anlagen wie Kohle- und Gaskraftwerken vorgehalten, und die verlieren im Moment an Wert:
Seit der produzierte Strom nur noch zu immer niedrigeren Preisen an der Börse verkauft werden kann, sinkt auch der Wert der Anlagen, die diesen Strom erzeugen. Dessen ist sich die Expertenkommission bewusst, die sich ab Herbst 2015 mit den Details des deutschen Atomausstiegs und der Energiewende befassen wird.
Die Kommission will dem Vernehmen nach deshalb darauf dringen, die Rückstellungen der Energieunternehmen schnell in einen Fonds zu überführen. Solange diese Kraftwerke der Energiefirmen noch ein bisschen was wert sind. Und bevor die Konzerne diese Unternehmenszweige einfach abspalten, wie es Eon Ende 2014 angekündigt hatte.
Im November 2014 hatte es in der Pressemitteilung von Eon zu der schroffen Zäsur geheißen, Eon selbst konzentriere sich künftig „auf erneuerbare Energien, Energienetze und Kundenlösungen" und spalte die Mehrheit an einer neuen börsennotierten Gesellschaft (später Uniper getauft) für konventionelle Erzeugung, globalen Energiehandel und Exploration & Produktion ab – sowie seine Atomsparte.
Eon hat nun jedoch entschieden, seine Atomkraftwerke gar nicht wie vor zehn Monaten angekündigt in Uniper auszugliedern. Bleiben die AKWs aber im Eon-Mutterkonzern, macht die Aufspaltung in Eon SE und Uniper für viele Beobachter weniger Sinn als im November 2014 gedacht. Schließlich hatte Eon-Chef Johannes Teyssen damals selbst erklärt:
„Wir sind überzeugt, dass es notwendig ist, auf dramatisch veränderte weltweite Energiemärkte, technische Innovationen und weiter gefächerte Kunden-Erwartungen mit einem mutigen Neuanfang zu reagieren.“
An dieser Einschätzung hat sich seither wohl nichts grundlegend geändert. Insider deuten an, dass es dann womöglich einen anderen Grund für das Nicht-Abblasen der Eon-Aufspaltung gäbe.
Es wird spekuliert, dass Eon-Chef Teyssen womöglich auf baldige Gründung einer staatlichen Atomstiftung hofft, die sich in Zukunft um Rückbau und Entsorgung der Hinterlassenschaften der Meiler-Wirtschaft kümmern soll. Und in die Teyssen die Eon-AKW-Sparte gegen einige Konzessionen abschieben kann.
Vorbereitet wäre der Unternehmenschef darauf. Die Atom-Anlagen werden innerhalb des Eon-Konzerns künftig isoliert aus Hannover geführt – unter dem früheren Unternehmensnamen Preußen Elektra. Gut geeignet also für eine künftige schnelle Trennung von Eon.
Immerhin: Das US-Analysehaus Bernstein Research lässt sich auch von dem Verbleib der Atom-Sparte bei Eon nicht beunruhigen. „Wir halten unsere Einschätzung mit einem Kursziel von 16,40 Euro aufrecht“, sagte Bernstein-Analystin Deepa Venkateswaran. „Wir bewerten die Eon-Aktie als Kauf“, ergänzte am 17. September 2015 die Goldman-Sachs-Analystin Deborah Wilkens.