Kann eine gemeinsame Börsengesellschaft aus Deutscher Börse und London Stock Exchange (LSE) ihren Hauptsitz in London haben? Ja, das kann sie, urteilten die Manager der beiden Börsenfirmen bei Vorlage des Fusionsplans im Februar 2016. Doch jetzt, wenige Tage nach dem Votum der Briten für den EU-Ausstieg, ist die Situation plötzlich anders. Der Deal könnte neu aufgerollt werden müssen.
Als erste öffentliche Institution hat sich nun die deutsche Finanzaufsicht Bafin gegen London als Sitz einer möglichen deutsch-britischen Börse festgelegt. „Es ist schwer vorstellbar, dass der wichtigste Börsenplatz im Euro-Raum von einem Standort außerhalb der EU gesteuert wird. Da muss man sicher nachjustieren”, sagte Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), am 28. Juni in Frankfurt auf einer Konferenz.
Der Warnruf der Bafin hat durchaus Bedeutung. Denn die Fusion aus Deutscher Börse und LSE muss noch von Europas Wettbewerbshütern genehmigt werden, und auch vom hessischen Wirtschaftsministerium. Dort aber hat die Bafin den Status eines Beraters. „Es gibt eine Reihe von Themen, wo wir beteiligt sind”, sagte Hufeld dann auch heute vielsagend.
Zuvor hatte bereits Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir zu den Börsenfusionsplänen Stellung bezogen. Das Votum der Briten werde bei den Prüfungen des Ministeriums eine Rolle spielen, vor allem bei Fragen der Börsenaufsicht, sagte der Minister nach Angaben des Handelsblatts. „Und natürlich werden wir auch abwarten, ob die Pläne in dieser Form bestehen bleiben“, ergänzte Al-Wazir.
Deutsche Investorenvertreter wie die Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz fordern bereits das Ende des Fusionsplans. „Nach der Brexit-Entscheidung darf eine Börsenfusion unter den bisherigen Vorzeichen gar nicht mehr in Frage kommen“, sagte DSW-Vizepräsident Klaus Nieding am 27. Juni 2016 – und plädiert damit dafür, die Fusion komplett abzusagen.
„Die Erleichterungen durch den sogenannten Europäischen Pass, also der Entfall einer Doppelaufsicht bzw. -genehmigungspflicht gelten eben nur für Unternehmen mit Sitz innerhalb der Mitgliedstaaten der EU“, begründete Nieding seine Meinung. „Die Führung der Deutschen Börse sollte daher ihre bisherigen Fusionspläne nochmals kritisch hinterfragen und massiv anpassen oder ganz begraben. Die Börsenaufsicht kann nach dem Brexit einem Sitz der fusionierten Börse in London jedenfalls nicht zustimmen“, sagte der DSW-Vize.
Die LSE-Eigner sollen am 4. Juli auf einer außerordentlichen Hauptversammlung grünes Licht für die Börsen-Hochzeit geben. Die Deutsche-Börse-Aktionäre haben Zeit bis zum 12. Juli, um das Fusionsangebot anzunehmen. Nach Ansicht von Neil Smith vom Bankhaus Lampe ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Fusion zustande kommt, allerdings wegen des Brexit auf 20 Prozent gesunken.
Die beiden Börsengesellschaften halten bisher aber an ihrem Plan fest. Das Referendum habe „keinen Einfluss auf die strategische Grundidee des Zusammenschlusses“, erklärten beide Börsenbetreiber am Tag nach dem Volksentscheid der Briten, die Europäische Union zu verlassen. Im Gegenteil. Die Austrittsentscheidung der Briten mache es „noch wichtiger, die guten Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Europa zu fördern“, erklärten die beiden Börsenbetreiber.