Nichts konnte Amerikas Internetgigant Google bisher aufhalten. Jetzt aber droht dem Überflieger erstmals ein strategischer Dämpfer. Und der kommt ausgerechnet aus Europa, der Diaspora der Internetfirmen.
Google reitet auf einer Erfolgswelle. Könnte man meinen: Der Umsatz des weltweit größten Suchmaschinenunternehmens im Internet stieg im Auftaktquartal 2014 um 19 Prozent. Mit 372 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung wird Google in der Weltrangliste der wertvollsten Unternehmen nur von Apple von Exxon Mobil übertroffen. Und weiter:
Google ist längst die größte Suchmaschine der Welt, mit Youtube zudem die führende Video-Plattform, mit Gmail der dominierende Email-Dienst, und dank Android der 100-Pfund-Gorilla im Mobilfunk-Biotop. Jetzt hat Google auch noch die traditionsreiche PS-Branche mit einem kleinen Auto geschockt, das aussieht wie eine Computer-Maus, und weder ein Lenkrad hat, noch Gas- oder Bremspedale – »eine Revolution«, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.
Dennoch. Trotz aller Erfolge haben Google-Manager derzeit Schweißperlen auf der Stirn. Denn jenseits der aktuellen Schlagzeilen läuft bei weitem nicht alles so rund, wie es scheint. Das bisher explosionsartige Wachstum des Internets dürfte sich bald abflachen, und damit auch das Wachstum von Googles Internetdiensten; schließlich ist mittlerweile mehr oder minder jedermann und jedes Unternehmen der etablierten Wirtschaftsmächte in die Internetwirtschaft integriert. Auch in anderen Google-Geschäftszweigen dürfte die stürmischste Wachstumszeit vorbei sein, und zwar nicht nur in den Industrieländern.
Zwischen Rio, Mumbai, Moskau und Shanghai gibt es beispielsweise schon mehr Smartphones als Menschen. Wie viele Geräte mehr können also noch verkauft werden, auf denen das Smartphone-Betriebssysthem Android aus dem Hauise Google noch laufen soll? Aber das ist nicht alles. In den USA wie in Europa ziehen dunkle Gerichtswolken für den Internetriesen auf.
In Europa beispielsweise läuft eine Kartellklage gegen das Unternehmen. Verlage, am prominentesten der deutsche Springer-Konzern, laufen Sturm, weil sie Google Marktverzerrung vorwerfen. Der Konzern, so ihre Kritik, nutze seine Monopolstellung als Suchmaschine, um auf seinen Ergebnislisten eigene Angebote gegenüber denen der Konkurrenz besser darzustellen. Auch das Schweizer Werbevermittlungsunternehmen Contaxe hat in der gleichen Angelegenheit nun zum zweiten Mal eine Klage bei der EU eingereicht. Mittlerweile haben sich gar rund 400 Mitglieder des Open Internet Project, darunter eben auch Springer, bei der EU-Kommission gegen »Wettbewerbsmissbrauch« durch Google beschwert. Und am 13. Mai errangen die Google-Gegner einen ersten Sieg.
Das oberste EU-Gericht hat den Internetkonzern gezwungen, das Recht auf Vergessen anzuerkennen. Unter bestimmten Bedingungen können EU-Bürger nun Sucheinträge in Google-Listen über sich selbst löschen lassen. Google hat bereits reagiert: Entsprechende Formulare mit Löschaufträgen sind im Internet abrufbar – und binnen Stunden machten davon 12.000 Menschen Gebrauch. Aber selbst das könnte nur der Anfang sein.
Das Meinungsforschungsinstitut Emnid hat mit einer Befragung im Auftrag des »Focus« ermittelt, dass nun 51 Prozent der befragten Bundesbürger unliebsame Daten bei Suchmaschinen wie Google löschen lassen wollen. Jetzt hat Google einen PR-Albtraum zu managen. »Ich wünschte mir, wir hätten uns in der Debatte über dieses Thema in Europa mehr engagiert«, musste Google-Chef Larry Page dann auch eingestehen. »Die Stimmung gegen Google war lange ein Randphänomen, aber jetzt breitet sich die Ablehnung in den Mainstream aus«, sagt Hans de Zwart von »Bits of Freedom«, einer niederländischen Gruppe, die für digitale Rechte kämpft. Das haben auch Deutschlands Politiker bemerkt, und positionieren sich entsprechend.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat Google in einem Gastbeitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« dem US-Unternehmen bereits strikte Regulierungen angedroht. Gabriel dachte laut über eine Zerschlagung des Konzerns nach. Denn Google übt mit 90 Prozent Marktanteil im deutschen Suchmaschinenmarkt hierzulande praktisch ein Monopol aus.
Fast noch bitterer als der Datenlöschbefehl der EU könnte sich für Google bald eine andere Welle in Europa bemerkbar machen. Noch baut sie sich erst auf, aber sollte sie sich weiter auftürmen, könnte die Wirkung einem Tsunami für das US-Unternehmen gleichen. Denn nach dem Löschurteil macht sich nun die deutsche Internetbranche für einen einheitlichen Datenschutz in Europa stark.
»Wer hierzulande Geld verdient muss sich auch an die hiesigen Datenschutzbestimmungen halten«, sagte kürzlich erst Michael Rotert im Deutschlandfunk; er ist der Verbandschef der deutschen Internetwirtschaft (Eco). Längst hat sich auch Telekom-Chef Timotheus Höttges in die Debatte eingeschaltet. Google »nutzt und verknüpft die Daten von Kunden auf eine Art, wie wir Europäer es gar nicht dürfen, Stichwort Fernmeldegeheimnis, Datenschutz und so weiter", sagte Höttges auf der Hauptversammlung der Deutschen Telekom vor ein paar Tagen. Die Daten würden an Internetkonzerne übermittelt, die außerhalb des europäischen Rechtsraums lägen. »Damit entsteht ein extrem großer Profitpool für Konzerne wie Google, der am Ende dazu genutzt wird, andere Telekommunikationsdienste zu subventionieren", warnte Höttges. Und mitten in dem anschwellenden Sturm in Europa droht Google auch in den USA wachsendes Ungemach – wenn auch bisher nur in Imagefragen.
Der erste »Diversity Report«, den Google in den USA wie alle großen Arbeitgeber an die Equal Employment Opportunity Commission schicken muss, entlarvte eine auch im Rest von Silicon Valley verbreitete ethnische Apartheid. 61 Prozent der Beschäftigten in dem Konzern haben eine weiße Hautfarbe. 30 Prozent sind ethnische Asiaten. Aber nur 2 Prozent sind Schwarze. Die Daten beziehen sich auf 26.000 Angestellte in den USA, die etwa 60 Prozent aller weltweit Beschäftigten des Unternehmens ausmachen.
Außerdem machen seit Tagen Berichte die Runde, wonach Google im Zentrum einer Restaurant-Kontroverse steht. Das in New York sehr geschätzte Restaurant ‚Feast‘ (Festmahl) bat im April einen Kunden, seine Google Glass-Brille abzulegen, weil andere Gäste ihre Privatsphäre verletzt sahen. Eine Kundin, die sich über den Google-Glass-Träger beschwert hatte, verließ dennoch das Restaurant und schrieb ihre Erfahrung im Internet auf. Daraufhin hagelte es negative Kritik – und zwar sowohl zu Lasten des Restaurants, das Google-Glass-Träger Einlass gewährt hatte; ein Verfall der Sternebewertung von ‚Feast‘ war die Folge. Aber auch Google bekam sein Fett weg: In emotionalen Kommentaren wurden Google-Glass-Träger als »Glassholes« (Glass-Löcher) beschimpft.
Dagegen ist die Unterbrechung der Google-Dienste in China in dieser Woche fast eine Lappalie. Chinas Führung will vor dem Jahrestags der Niederschlagung des Aufstandes auf dem Platz des Himmlischen Friedens keine unliebsamen Meldungen und Kommentare sehen. Doch dieser Eingriff könnte auch in China nur die kleinere Version eines größeren Problems sein: Die Späh-Kampagne der NSA hat in ganz Asien die Vorbehalte und Bedenken gegen Produkte amerikanischer High-Tech-Schmieden verschärft. In Chinas Internet kursieren Gerüchte über einen geplanten Bann gegen Produkte der High-Tech-Firmen aus dem Silicon Valley. Spitzt dieser sich zu, dann wäre es nur eine Frage der Zeit, dass auch Google in diesen Konflikt gerät.
Damit wäre Google – nach der drohenden Revolte in Europa – eine Krisenreise um die Welt in deutlich weniger als 80 Tagen geglückt.
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