Deutschlands Wirtschaftsminister hat schnell reagiert. Nur sechs Tage nachdem sich die UN-Vetomächte und Deutschland mit dem Iran auf eine Beschränkung des dortigen Atomprogramms geeinigt hatten, ist Sigmar Gabriel (SPD) samt Entourage in das nahöstliche Land geflogen: Landung in Teheran am 19. Juli 2015.
Gabriel ist der erste wichtige Westpolitiker, der sofort nach dem Atomdeal neue Chancen für Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran erkundet hat, und zwar vor Ort.
Die deutsche Regierungsdelegation ist deshalb gleich von prominenten Wirtschaftsvertretern begleitet worden. Unter ihnen Reinhold Festge, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK).
Die Schnelligkeit der deutschen Politiker und Wirtschaftsvertreter hat ihren Grund. Kaum ein anderer Staat in Europa pflegte vor den Sanktionen einen so regen Handelsaustausch mit dem Iran wie Deutschland. Und entsprechend wurden nur wenige Unternehmen so stark von den Sanktionen gegen den Iran getroffen, wie die deutschen.
„Die Sanktionen haben der deutschen Wirtschaft im Vergleich mit den übrigen europäischen Staaten den schwersten Schlag versetzt. Sie verlor allein in den Jahren zwischen 2010 und 2012 zwischen 23,1 Milliarden und 73,0 Milliarden Dollar“, hat Jonathan Leslie mit seinen Kollegen des National Iranian and American Council (Niac) errechnet – ungefähr so viel, wie auch die US-Ökonomie in dieser Zeit verloren habe.
Sollten hierzulande auch die Arbeitsplatzverluste ähnlich hoch wie in den USA aufgrund der Iran-Sanktionen ausgefallen sein, dann wären in Deutschland alleine deshalb nach Niac-Berechnungen zwischen 2010 und 2012 rund 250.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.
Für 2015 meldet die Deutsch-Iranische Handelskammer dann gerade noch 80 deutsche Firmen, die eigene Werke oder Vertriebsstätten im Iran betreiben. Darunter auch Siemens.
Fast trotzig hat Siemens offenbar seine Dependance in Teherans City offengehalten, Sanktionen hin oder her. Wer den deutschen Konzern in diesen Jahren dort besucht hat, wird in dem Büro aber wohl dennoch kein wuseliges Geschäftsleben mehr erlebt haben: Seit dem Jahr 2010, dem verschärften Sanktionsjahr, ist dort nach Angaben aus Unternehmenskreisen praktisch kein Deal mehr abgeschlossen worden.
„Sie treten dort durch die Türen, und dann wird man Ihnen sagen: Wir halten das Büro offen, bis die Sanktionen aufgehoben sind“, hat Michael Tockuss seinen Eindruck der Büro-Szenerie gegenüber der US-Zeitschrift Newsweek im Frühjahr 2015 beschrieben. „Die Leute vergessen, dass viele Unternehmen, wie beispielsweise Siemens, eine mehr als hundertjährige Handelstradition mit dem Iran haben.“ Da halte man Kontakt, wenngleich Sanktionsregeln beachtet würden.
Jetzt aber will nicht nur Siemens die alten Kontakte wieder beleben.
„Europäische Firmen und Konzerne aus Asien, dem Nahen Osten und andere nicht-amerikanische Firmen werden die ersten sein, die sich auf den Iran zubewegen“, sagte Elizabeth Rosenberg im Juni 2015, Senior Fellow und Direktor beim Center for a New American Security (Cnas) in Washington.
Ihre Erwartung scheint zu stimmen. „In den vergangenen Monaten sind doppelt so viele Reisen von Europa und den USA in den Iran angetreten worden, wie zuvor“, schilderte Sina Makki ihre Beobachtungen Anfang Juni 2015 der US-Zeitschrift Newsweek. Makki leitet in Teheran das Büro von HRG Worldwide, einem Geschäftsreise-Unternehmen.
„Wir hatten viele Chef-Delegationen, insbesondere von Frankfurt kommend, von wo es noch Direktverbindungen in den Iran gibt“, berichtete Makki der Zeitschrift. Die dürften voller Erwartung angereist sein.
Nach Angaben von Analysten der Deutschen Bank könnten für Deutschlands Unternehmen im Iran bald Zusatzgeschäfte in Höhe von 4,5 Milliarden Euro möglich sein. Jedenfalls dann, wenn es der deutschen Industrie zügig gelingen sollte, an das Niveau der Handelsbeziehungen vor Beginn der Sanktionen anzuknüpfen.
Noch optimistischer ist im Juli 2015 der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHT). Binnen zweier Jahre könne sich der Handel mit dem Iran gar auf den Wert von sechs Milliarden Euro mehr als verdoppeln, schätzt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Und bis zum Ende des Jahrzehnts sei sogar ein Ausbau auf zehn Milliarden Euro möglich für den traditionell starken .
Zum Vergleich: Infolge der Sanktionen war im Jahr 2014 von dem einst viele Milliarden Euro schweren Handel mit dem Iran gerade noch ein Export deutscher Waren in Höhe von 2,39 Milliarden Euro übrig geblieben. Die Einfuhren aus dem Iran waren gar auf mickrige 300 Millionen Euro zusammengesackt, berichtet das Statistische Bundesamt. Für diese Negativentwicklung stehen zwei Unternehmen beispielhaft.
Jetzt aber besteht womöglich eine Nachholchance. Cenas-Expertin Elizabeth Rosenberg hat ermittelt, dass neben dem Energiegeschäft insbesondere der Iran-Handel mit Maschinen, landwirtschaftlichen Geräten, Kommunikationstechnik und Autos zunehmen könnte.
Für Massenhersteller wie Volkswagen kann der Iran tatsächlich eine besondere Bedeutung erlangen. Wegen stagnierender Geschäfte in etablierten Märkten wie Europa und Nordamerika und bisweilen gar Rückschlägen in China, Russland und Brasilien, suchen die Wolfsburger neue Wachstumsregionen. So hat Volkswagen erst im Juli 2015 wieder eine kleine Fertigung in Nigeria aufgenommen.
Der Iran allerdings entspricht mit rund 78 Millionen Menschen in etwa der Marktgröße der Türkei. Deshalb könnte der alte Handelspartner ein Katalysator für Volkswagens Wachstum werden: Die Spezialisten bei IHS Automotive etwa haben nach dem Abkommen mit dem Iran ihre Prognose für das Wachstum des iranischen Automarktes im Jahr 2015 um 12,5 Prozent auf 1,3 Millionen Fahrzeuge angehoben.
Davon will VW natürlich profitieren und damit an eine Tradition anknüpfen. Im Juni 2004, also vor den Sanktionen gegen den Iran, hatte Volkswagen eine Lizenzfertigung in der Region Bam betrieben. Dort wurden jährlich mehr als 20.000 Fahrzeuge hergestellt.
In der Zwischenzeit aber hat sich die Lage verändert. Volkswagen muss sich im Iran mit dem französischen Rivalen Peugeot herumschlagen. 2014 verkaufte dieser 29 Prozent aller iranischen Neufahrzeuge.
Auch Siemens darf jetzt wohl wieder mit Aufträgen etwa für die Energiewirtschaft rechnen. Turbinen zur Stromerzeugung beispielsweise sind eine Spezialität der Münchener. Das Geld dafür hat der Iran jedenfalls. Der Ölstaat sitzt auf Währungsreserven von rund 100 Milliarden Dollar, an die er während der Sanktionszeit nicht herangekommen ist.
Zudem kann der Iran nach Ende der westlichen Sanktionen seinen Ölexport stark ausbauen, was bei der Finanzierung großer Infrastrukturprojekte helfen dürfte.
Irans Regierung beziffert allein den Investitionsaufwand für die vorhandenen Rohstoffvorkommen auf mehr als 180 Milliarden Euro.
Trotz solch gewaltiger Summen geht niemand in den Chefetagen deutscher Konzerne davon aus, dass der erhoffte Wirtschaftsaufschwung mit dem Iran über Nacht kommen wird.
„Wir sehen bei Aufhebung der Einschränkungen durchaus weiteres Geschäftspotenzial“, wird zwar ein vorsichtiger Bayer-Sprecher zitiert. Doch die Sanktionen würden erst vom ersten Quartal 2016 an schrittweise gestrichen, gibt man in Leverkusen zu bedenken. Auch bei der BASF heißt es etwas schmallippig, die Entwicklung werde „analysiert“.
Voraussetzung für die Handels-Renaissance mit dem Iran ist nach Meinung von Außenhandelsexperten tatsächlich nicht nur ein zügiger Abbau der Sanktionen, sondern auch eine Kehrtwende bei den Banken. Denn die sind mit der Finanzierung von Iran-Geschäften in den vergangenen Sanktionsjahren äußerst vorsichtig geworden, nachdem sich damit manche Bank deftige Strafen eingehandelt hatte.
Noch im Juni 2014 beispielsweise musste Frankreichs größte Bank, die BNP Paribas, den US-Behörden knapp neun Milliarden Dollar Strafgeld überweisen, weil das Geldhaus nach US-Meinung gegen Iran-Sanktionen verstoßen hatte. Das waren damals umgerechnet rund 6,6 Milliarden Euro.
Deutschlands Unternehmen bräuchten nach dem Atomabkommen mit dem Iran aber verlässliche Finanzierungsbedingungen, um tatsächlich an alte Handelshöhen mit dem Iran anknüpfen zu können, klagte Linde-Chef Wolfgang Büchele Mitte Juli 2015 in der Zeitschrift Der Spiegel.
Büchele, zugleich Vorsitzender der Nordafrika Mittelost Initiative der Deutschen Wirtschaft (NMI), forderte daher, dass sich „westliche Banken wieder verstärkt in der Exportfinanzierung engagieren“.
Immerhin: Schon nach der Teilsuspendierung der Sanktionen gegen den Iran Anfang 2014 haben die deutschen Exporte in den Iran zugelegt, nach Schätzung der DIHK im Verlauf dieses Jahres um 30 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro. Und für das zweite Halbjahr 2015 wird sogar eine deutlich erhöhte Dynamik erwartet.
Grund dafür ist neben der traditionell guten Position der deutschen Firmen im Iran wohl auch die Aufbruchsstimmung, die sich nun offenbar in dem Land breit macht. „Wir haben uns zehn Jahren lang auf diesen Moment vorbereitet”, sagte etwa der iranische Investmentbanker Ramin Rabii Anfang April 2015 der US-Zeitschrift Forbes.
Rabii, Managing Director bei Turquoise Partners, berichtete, dass er schon in den Monaten, in denen sich der Atomdeal mit dem Iran abzeichnete, mit „Hunderten potenziellen ausländischen Investoren“ in Kontakt gestanden habe; seine Investmentfirma mit Sitz in Teheran verwaltet Investments im Wert von rund 200 Millionen Dollar. Gut möglich, dass hiesige Konzerne dabei waren.
„Da ist ein extremes Vertrauen in deutsche Technologie, deutsche Zuverlässigkeit, deutsche Glaubwürdigkeit“, bilanzierte DIHK-Chef Eric Schweitzer den Aufenthalt der deutschen Delegation im Iran, berichtet T-online.
Eine Woche nach Deutschlands Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wird jetzt der französische Außenminister Laurent Fabius in Teheran erwartet. Er sagte dem Sender France Inter, er reise ohne Wirtschaftsdelegation.