Es wäre eine Zeitenwende: Deutschlands Autoindustrie, gewöhnt daran, selbst den Takt der technischen Erneuerung mitzubestimmen, könnte plötzlich Druck von außen bekommen. Und zwar nicht von einem übermächtigen ausländischen Autokonkurrenten, sondern infolge der Findigkeit in anderen Branchen.
„Smartphone, Tablet, schnelles Internet: Die Quantensprünge in der Technik der Kommunikations- und IT-Branche, in der Digitalisierung, strahlen mehr und mehr auch auf die Autobranche ab“, sagt etwa Massimo Cenci, Analyst der italienischen Bank Monte Paschi Mercato. Und das mit gravierenden Folgen – vielleicht sogar dafür, wer künftig unter den Autoherstellern international weiter mit vorne dabei sein kann.
Ein Grund für den Zeitenwandel sind offenbar die immer umfassenderen Kommunikationsgewohnheiten der Verbraucher; hierzulande, aber auch weltweit. Kaum jemand will künftig den gewohnten Standard an schneller Information über alles und jederzeit in seinem teuren Auto missen, glauben die Autohersteller mittlerweile selbst.
Daimler beispielsweise ist wohl auch deshalb gerade eine Partnerschaften mit Apple eingegangen; Technik des Handy-Riesen wird künftig den Bordcomputer in den Autos mit dem Stern mitsteuern. Und die Oberklassekonkurrenz aus dem Volkswagen-Reich, Audi, hatte ihrerseits zu Jahresbeginn eine Partnerschaft mit dem Internetgiganten Google für dessen Android-Mobilfunktechnologie bekanntgegeben.
„Unsere Branche steht in den nächsten Jahren vor einem der größten Umbrüche seit Bestehen des Automobils“, sagte dann auch VW-Konzernchef Martin Winterkorn vor wenigen Wochen vor Beginn des diesjährigen Autosalons in Genf, und dazu trage gerade auch die fortschreitende Digitalisierung einen Gutteil bei. Für die Industrie bedeute dies, sich noch schneller auf die Kunden einstellen zu müssen.
„Ich bin sicher: Das zwingt uns dazu, darüber nachzudenken, ob die üblichen Modellzyklen von sieben bis acht Jahren nicht deutlich kürzer werden müssen“, sagte Winterkorn.
Genau diese Einschätzung könnte es sein, die einen Riss zwischen den bedeutendsten hiesigen und auch weltweit mit führenden Autoherstellern Volkswagen und Daimler offenbart. Zwar dürften die Manager beider Konzerne kein Problem mit der Basiseinschätzung der Lage unabhängiger Branchenexperten haben.
„Wir beobachten seit einigen Jahren, dass die Modell- und Entwicklungszyklen in der Autoindustrie immer kürzer werden. Die Taktfrequenz steigt kontinuierlich“, sagt etwa Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Doch durchaus nicht beide Managementteams scheinen offenbar gleich engagiert dabei zu sein, diesen Trend weiter mitgehen oder beschleunigen zu wollen.
„Ich weiß nicht, ob das im Interesse des Kunden ist“, hat jetzt Daimler-Lenker Dieter Zetsche zu Protokoll gegeben. „Denn bei einem Auto als Investitionsgut ist die Werthaltigkeit wichtig. Und in unserem Interesse als Hersteller ist es angesichts der hohen Investitionen natürlich auch nicht“, sagte Daimler-Chef Zetsche dem Handelsblatt.
Tatsächlich mag das Argument ziehen. Bei einer Umfrage der Zeitschrift Auto, Motor und Sport und der Deutschen Automobil Treuhand gaben kürzlich 40 Prozent der Befragten an, dass sie noch schnellere Modellwechsel ablehnen würden – aus Sorge vor dem Wertverlust ihres gerade erst erstandenen Fahrzeugs. Nur 20 Prozent der rund 2000 Befragten sahen mehr Chancen als Risiken in noch kürzeren Modellzyklen.
Ob Daimler sich dennoch einen Gefallen täte, das Tempo aus dem Rennen um immer neue Modelle rauszunehmen oder zumindest die Bereitschaft der Wettbewerber zur weiteren Tempoverschärfung nicht mitzugehen?
Manche Experten glauben, dass es für die langsameren Hersteller beispielsweise schwerer werden dürfte, ihre Fahrzeuge in großer Stückzahl an die Autovermietungsfirmen zu verkaufen.
„In einem erlahmten Privatkundenmarkt müssen die Firmen möglichst viele Autos an Leasing- und Mietwagenflotten verkaufen. Und in denen werden spätestens nach drei Jahren die Fahrzeuge ausgetauscht, dann sollte pünktlich eine Neuheit parat sein“, sagte kürzlich etwa Dieter Fess von der Automobilleasing-Beratungsfirma B&F Forecasts zu Spiegel Online. Und auch der Bergisch Gladbacher Professor Bratzel sieht ein Problem.
„Eine hohe Innovationskraft ist in Zeiten paradigmatischen Technologiewandels der Branche eine wichtige Erfolgs- und Überlebensbedingung“, erläutert Stefan Bratzel die Bedeutung von Innovationsstärke; Bratzel kürt regelmäßig mit der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) die innovativsten Autohersteller der Welt.
Daimler hatte im Vorjahr den zweiten Platz dieser Hitliste belegt – vor Toyota, aber hinter Volkswagen. Und Modellwechel können auch ein Ausdruck dieser technologischen Unterscheidung gegenüber der Konkurrenz sein.
Daimler-Chef Zetsche hat dafür noch ein weiteres Feld ausgemacht, in dem der Stuttgarter Premiumhersteller demnächst im Wettstreit um die Gunst der Kunden punkten will. „Service, Kundenkomfort und die Markenstärke sind die entscheidenden Hebel im Premiumsegment“, sagte Zetsche im »Handelsblatt«. Im Sommer startet Daimler ein neues Serviceportal unter dem Namen ‚Mercedes Me‘.