Saal 1 des Landgerichts Stuttgart, 9 Uhr am 22. Oktober 2015: Start des bedeutendsten Wirtschaftsverfahrens des Jahrens. Und die rund einhundert Prozessbeobachter bemerkten gleich beim Eintritt das Kräfteverhältnis im Saal.
Auf der Linken blickte das Publikum auf zwei junge Staatsanwälte. Auf der Rechten hatten sich die Angeklagten, Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und sein ehemaliger Finanzvorstand Holger Härter, mit Promi-Verteidigern nebst einem Dutzend Mitarbeitern umgeben, die auf die Verteidigung von Stars und Wirtschaftskapitäne spezialisiert sind: Hanns W. Feigen, Sven Thomas, Eberhard Kempf.
Manche von ihnen waren schon in den Jahren 2004 bis 2006 im Mannesmann-Verfahren gegen Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser in Düsseldorf beteiligt. Entsprechend routiniert trat Wiedeking-Verteidiger Hanns W. Feigen den Anklägern entgegen.
Seinen Mandanten und Ex-Porsche-Chef Wiedeking ließ er am ersten Prozesstag eine mehr als einstündige persönliche Erklärung verlesen, in der er zur Anklage aus seiner Sicht Stellung bezog. Die beiden Staatsanwälte dagegen brauchten zum Verlesen ihrer gleich zwei Anklagen weniger lange.
Die Staatsanwälte hatten Wiedeking zuvor im Wesentlichen zwei Dinge vorgeworfen: Die Verschleierung der Pläne Porsches, Volkswagen ab dem Jahr 2008 übernehmen zu wollen sowie damals die Manipulation des Börsenkurses der Volkswagen-Aktie.
Porsche, so die Staatsanwälte, habe lange vor der offiziellen Porsche-Verkündung des Übernahmevorhabens am 26. Oktober 2008 geplant, sich eine qualifizierte Mehrheit an VW zu sichern, also 75 Prozent der Anteile an der Volkswagen AG. Und um das zu schaffen, habe die Porsche-Konzernführung viele Investoren mit einer Reihe von Pressemeldungen und Kapitalmarktinformationen bewusst in die Irre geführt.
Die Ankläger warfen Wiedeking und Härter deshalb am ersten Prozesstag vor, in „mindestens fünf Fällen“ unrichtige Angaben über den angeblich einst gefassten Plan zur Volkswagen-Übernahme gemacht zu haben.
Ihren zweiten Vorwurf der Marktmanipulation stützten die beiden Staatsanwälte insbesondere auf die umstrittenste Porsche-Meldung im Laufe der Porsche/Volkswagen-Übernahme. In dieser Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008 hatte Porsche offiziell gemacht, faktisch 74,1 Prozent der Volkswagen-Aktien zu kontrollieren, was den Handel mit VW-Aktien so gut wie unmöglich machte.
Porsche hatte sich seinerzeit auch durch teils komplizierte Optionsgeschäfte indirekt Zugriff auf Volkswagen-Aktien gesichert. Abgewickelt worden seien die Optionsgeschäfte mit der kanadischen Maple Bank, einem im internationalen Vergleich eher kleineren Geldhaus.
Das Institut hatte, so die Erkenntnisse der Ankläger, dabei aber eine für sich selbst günstige Absicherung in die Geschäfte eingebaut, die Porsche je nach Kursverlauf der Volkswagen-Titel in Schwierigkeiten hätte bringen können. Und genau das sei eingetreten, sagten die Staatsanwälte am ersten Verhandlungstag des Prozesses.
Als der Kurs der VW-Aktie im Herbst 2008 innerhalb weniger Tage so zum Nachteil von Porsche eingebrochen war, hätte Porsche aufgrund der verabredeten Optionen Milliarden Euro an die Maple-Bank an Sicherheiten nachschießen müssen. Daher hätten Wiedeking und Härter „auf den Börsenkurs der Volkswagen-Stammaktien eingewirkt“, sagten die Staatsanwälte.
Mit anderen Worten: Um den Preis der Wertpapiere wieder nach oben zu treiben und Porsche so zu schützen, habe Porsche in die verbotene Trickkiste gegriffen. An jenem habe Porsche dazu Anleger informiert, inklusive Optionen 74,1 Prozent der VW-Stammaktien zu halten. Mehr noch, im Jahr 2009 erwäge der Sportwagenhersteller, seinen Anteil auf 75 Prozent aufzustocken, so die damalige Mitteilung.
Allerdings, so die Ankläger, habe Porsche mit jener Mitteilung nur Teile der Porsche-Positionen in VW-Aktien wirklich aufgedeckt. Vor allem Leerverkäufer hatten offenbar daraufhin ihre Aktien zwangsverkaufen müssen, ohne die Struktur der Porsche-Positionen vollständig zu kennen. Tatsächlich erreichte der VW-Aktienkurs damals seine legendäre Höhe von gut 1000 Euro.
Nur so, argumentierten die Staatsanwälte am heutigen 22. Oktober 2015, habe Wiedeking seinen angeblich vertuschten Volkswagen-Übernahmeplan noch retten können. Andernfalls wäre die ausgetüftelte Optionsschein-Strategie gescheitert – und damit die angeblich schon frühzeitig angestrebte Übernahme des großen Volkswagen-Konzerns durch den kleinen Stuttgarter Sportwagenhersteller Porsche.
Ob und wie das von statten gegangen ist, dürfte im Prozessverlauf von Bedeutung werden. Denn Wiedeking, Härter und ihre Verteidiger widersprachen den Anklägern entschieden.
Wiedeking selbst setzte sich in seiner mehr als einstündigen Erklärung emotional gegen die Vorwürfe zur Wehr. Er trete der Anklage „entschieden entgegen“, sie treffe ausnahmslos nicht zu. Vielmehr sei das Vorgebrachte der Staatsanwälte eine „Andichtung“, „fernliegend“ oder „absurd“ – letztlich nichts anderes als eine „Verdachtskonstruktion“. Entsprechend sagte Wiedeking: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich erwarte, freigesprochen zu werden.“
Der ehemalige Porsche-Chef und später auch sein Verteidiger entgegneten den Staatsanwälten, dass es weder einen „Geheimbeschluss“ gegeben habe, im Rahmen der damaligen Porsche/Volkswagen-Übernahme „aufs Ganze zu gehen“. Noch habe es einen „geheimen Übernahmeplan“ gegeben.
Wiedeking wies darauf hin, dass Unwägbarkeiten unter anderem durch das VW-Gesetz und die Haltung Niedersachsens, die Meinungsverschiedenheiten der Familiengesellschafter um Ferdinand Piëch sowie dem Widerstand des VW-Managements die angeblichen Übernahmepläne stets beeinflusst, ja unmöglich gemacht hätten.
Auch existiere keine einzige Urkunde, keine Email, keine Präsentation, kein Sitzungsprotokoll, das auf eine systematische Irreführung des Kapitalmarkts hindeuten könne.
Allerdings wollen die Staatsanwälte im Laufe des Prozesses offenbar beweisen, dass die zeitliche Abfolge der Ereignisse durchaus nicht wie von den Angeklagten geschildert Schritt für Schritt entwickelt worden sei, je nachdem, wie sich beispielsweise die Porsche Familiengesellschafter aus den Piëch- und Porsche-Clans eben im Laufe der Zeit positioniert hätten.
Vielmehr habe es schon im September 2008 Entscheidungen der damaligen Porsche-Führung zur VW-Übernahme gegeben, die doch nach Angaben der Angeklagten überhaupt erst im Oktober 2008 ins Auge gefasst worden seien.
Auch Ex-Finanzvorstand Holger Härter nahm sich nach der Verhandlungspause Zeit, um den Staatsanwälten zu entgegnen. Ausführlich beispielsweise dazu, warum die Pressemeldung vom 26. Oktober 2008 überhaupt veröffentlicht worden sei. Seine Begründung: Weil Porsche-Gesellschafter Ferdinand Piëch am 24. Oktober 2008 in einem Interview mit der Bild-Zeitung erstmals öffentlich sein Einverständnis erklärte, dass Porsche den Volkswagen-Konzern beherrschen könne.
Darüber hinaus gab Härter zu Protokoll, dass er den Marktverwerfungen, namentlich durch Leerverkäufe der VW-Aktie von Hedgefonds, habe entgegen wirken wollen.
Härter wies auch die angebliche Liquiditäts-Zwangslage zurück, in der sich Porsche aus Sicht der Ankläger durch die eingegangene Optionsstrategie mit der Maple-Bank befunden habe. Ob die für solch eine unterstellte Notlage nötigen weiteren Kursverluste der VW-Aktie damals noch Realität geworden wären, sei lediglich eine Hypothese der Staatsanwälte. Niemand könne Aktienkurse vorhersagen.
Darüber hinaus hätte Porsche mögliche Nachforderungen der Maple-Bank jederzeit auch mit Wertpapieren decken können, Geld habe dazu nicht unbedingt fließen müssen.
Der nächste Prozesstag wird voraussichtlich am 29. Oktober 2015 stattfinden.