Alternative Gewinnwarnung
Die Porsche SE argumentiert in den Zivilprozessen, dass ihre Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008 nicht irreführend oder falsch war. Die Kläger in diesen Verfahren sind jedoch der Auffassung, dass die Porsche SE ihre getätigten Optionen und ihre tatsächliche finanzielle Situation im Oktober 2008 falsch dargestellt hat.
Analystenmeinungen zur VW Aktie (2008)
War es im Oktober 2008 tatsächlich so abwegig, von einem Kursverlust der VW-Aktie auszugehen? Analystenmeinungen zu den Papieren lassen das Gegenteil vermuten. So gab ein Händler auf dem Internetportal finanzen.net im Oktober 2008 unmissverständlich zu verstehen, dass die VW-Stammaktie fundamental und „brutal“ überbewertet sei (Quelle: Finanzen.net).
Auch in der übrigen Finanzpresse wurde gemeldet, dass Analysten großteils zum Verkauf raten – Zu einer entsprechenden Beurteilung kamen auch eine Vielzahl von Anlegern, die im Zuge dessen VW-Aktien leerverkauften und auf fallende Kurse setzten.
Anklageerzwingung
Trotz des offensichtlichen Potentials für strafrechtliche Ermittlungen und angesichts der aus der Derivatezockerei der ehemaligen Vorstände drohenden immensen volkswirtschaftlichen Konsequenzen und einem insoweit überaus großem öffentlichen Interesse, kam ein Strafverfahren gegen die Verantwortlichen nur sehr schleppend in Schwung.
Es lässt sich nur darüber mutmaßen, welche Umstände dazu führten, dass mittlerweile beinahe sieben volle Jahre vergehen mussten, bis es im Oktober 2015 nun endlich zur Verlesung der Anklageschrift kommen wird.
Obgleich die Staatsanwaltschaft Stuttgart „bereits“ am 17. Dezember 2012 Anklage gegen die ehemalige Vorstände der Porsche SE erhoben hatte, benötigte das Landgericht Stuttgart dann mehr als 14 Monate, um die Zulassung der öffentlichen Anklage fälschlicherweise zu verweigern.
Erst durch einen Beschluss des OLG Stuttgart wurde die Anklage zugelassen. Andere Wirtschaftsstrafverfahren wie beispielsweise der Mannesmann-Prozess oder auch das Verfahren gegen den Formel-1-Chef Bernie Ecclestone wurden in wesentlich kürzerer Zeit abgeschlossen.
Automobilaktien im Vergleich
Die VW-Aktie nahm unter den übrigen Automobilaktien eine bemerkenswerte und isolierte Position ein. Sie war um ein vielfaches höher bewertet als die Aktien anderer Branchenriesen.
Im Zeitraum zwischen dem 13.10.2008 und dem 26.10.2008 waren die Aktienkurse der übrigen Automobilhersteller meilenweit von dem Kurs der Volkswagen-Aktie entfernt. Der Tagesschlusskurs der BMW-Aktie schwankte zwischen 22,50 Euro und 18,60 Euro. Auch die Aktie der Daimler AG pendelte im Oktober 2008 lediglich zwischen einem Wert von 35,75 Euro und 27,17 Euro.
In einer ähnlichen Wertsequenz schwankte die Toyota-Aktie, die zum 01.10.2008 bei einem Kurs von 29,64 Euro eröffnete und zum 31.10.2008 mit einem Kurs von 29,15 Euro schloss. Die VW-Aktie dagegen verliert zunächst dramatisch an Wert und fällt alleine in der Woche zwischen dem 16.10.2008 bis zum 24.10.2008 von einem Wert von 400,25 Euro auf 210,52 Euro.
Trotz dieses Wertverlustes ist sie vom Kurs der übrigen Automobilwerte immer noch erheblich entfernt. Am 28.10.2008 notiert die VW-Aktie dann im Tageshoch mit 990,00 Euro. VW ist zumindest auf Basis der Marktkapitalisierung zu diesem Zeitpunkt mehr wert als alle Autobauer in den USA und in Deutschland zusammen
Berater
Als rechtliche Berater der Porsche SE tauchen immer wieder die Namen der Anwaltskanzleien Freshfields, Bruckhaus, Deringer und Hengeler Müller auf. Während die Anwälte von Freshfields offenbar seit dem Jahre 2005 intensiv mit dem Beteiligungsaufbau und der zugehörigen Kommunikationsstrategie vertraut waren, verteidigen die Anwälte von Hengeler Müller die Porsche SE in sämtlichen Zivilklagen.
Kläger, wie etwa der Hedgefonds Elliott, beklagen, dass die Berater stets „auf höchste Geheimhaltung sowie auf Vermeidung von Spuren geachtet“ hätten (Schriftsatz der Kanzlei Broich vom 17.07.2014, Elliott ./. Porsche, LG Hannover).
Corporate Governance Kodex
Diese Verhaltensempfehlung ist ein von einer Regierungskommission erarbeitetes Regelwerk. Er gibt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften wieder und enthält zusätzlich in Form von Anregungen und Empfehlungen international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung.
Eine dieser Regelung sieht auch vor, dass Aufsichtsratsmitglieder keine Organfunktionen oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben. Allerdings war Ferdinand Piëch zeitweise sowohl Aufsichtsratsvorsitzender bei Volkswagen als auch Mitglied des Aufsichtsrats der Porsche SE.
Auch mit anderen Regelungen steht das Innehaben mehrfacher Mandate im Aufsichtsrat im Konflikt. So heißt es im Corporate Governacne Kodex auch, dass jedes Mitglied des Aufsichtsrats dem Interesse des Unternehmens verpflichtet ist und es bei seinen Entscheidungen keine persönliche Interessen verfolgen darf.
Piëch indes musste als Aufsichtsratsvorsitzender von Volkswagen auch solche Pläne des Vorstands absegnen, die nicht im Interesse Porsches stehen. Der langjährige Automanager kontrollierte zudem selbst als Vertreter einer Reihe von Porsche-Mitbesitzern 49 Prozent des Unternehmens gehört.
Director’s Dealings
Zu den Anforderungen an einen transparenten Kapitalmarkt gehört es, dass Anlegern nicht verborgen bleibt, wenn Aufsichtsräte oder Vorstände eigene Aktien kaufen oder verkaufen.
Deshalb verlangt das Wertpapierhandelsgesetz von Mitgliedern der Geschäftsführung oder des Aufsichtsorgans und von sonstigen Personen, die regelmäßig Zugang zu Insiderinformationen haben und die wesentliche unternehmerische Entscheidungen treffen, dass sie Geschäfte mit eigenen Aktien innerhalb von fünf Handelstagen melden. Genau da haken Kritiker des VW/Porsche-Deals ein.
Sie sagen: Die Verflechtungen zwischen VW und Porsche legen nahe, dass sowohl die Porsche SE als auch die Porsche Salzburg GmbH ihre Optionsgeschäfte hätten offenlegen müssen. Nicht zuletzt, weil die ehemaligen Porschevorstände und die Familien Porsche und Piëch mit Hilfe der Derivatgeschäfte viel Geld verdient hatten.
Fruit-Machine
In einem Bericht der US-amerikanischen Vermögensverwaltung Bernstein wird das von Porsche geschaffene Derivatekonstrukt als „Fruit Machine“ bezeichnet. Das Synonym „Fruit Machine“ steht dabei für einen Geldspielautomat dessen Gewinnausschüttung nicht vom Zufall abhängt, sondern von Porsche durch die intransparenten Derivatstrukturen nachhaltig beeinflusst werden kann.
Das Bild gründet auf der Erkenntnis, dass durch die Derivatstrategien und die Kombination aus Call- und Put-Optionen ein Mechanismus geschaffen wurde, mit dem es Porsche zunächst gelang, den Kurs der VW-Aktie durch den Derivataufbau in die Höhe zu treiben und dabei gleichzeitig von den steigenden Kursen erheblich zu profitieren und hierdurch letztendlich die Übernahme der Volkswagen AG zu finanzieren.
Golden Handshake
Nachdem die vollständige VW-Übernahme im Jahr 2009 gescheitert war, mussten auch die beiden Vorstände Wiedeking und Härter ihre Posten räumen. Nur so konnte ein Einstieg von VW beim weiterhin klammen Sportwagenhersteller aus Zuffenhausen gesichert werden. Wiedeking und Härter wurden mit einem Golden Handshake von Porsche verabschiedet und erhielten insgesamt eine Abfindung in Höhe von 71 Millionen Euro.
Diese Abfindung wirft insbesondere auch auf Seiten der Porsche-Aktionäre einige Fragzeichen auf, so dass sich im Jahre 2010 eine Gruppe von Anlegern dazu entschied, eine gerichtliche Sonderprüfung zu beantragen, mit der unter anderem auch die Abfindung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden sollte.
Problematisch erschien den Aktionären hier insbesondere, inwieweit sich die gezahlte Abfindung mit im Raum stehenden Pflichtverletzungen der Vorstände und der Rechtsprechung des BGH verträgt, die „kompensationslose Anerkennungsprämien“ als treuwidrige Verschwendung des Gesellschaftsvermögens erkennt.
KapMuG-Verfahren
Ein Verfahren nach dem Kapitalanlegermusterverfahrens-Gesetz (KapMuG) stellt eine der wenigen Möglichkeiten im deutschen Zivilprozessrecht dar, mit der eine Gruppe von Klägern – hier Anleger am Kapitalmarkt – einen gemeinsam erlittenen Schaden oder Massenschaden kollektiv geltend machen kann. Mit diesen Verfahren soll Anlegern ein effektiver und effizienter Rechtsschutz ermöglicht werden.
Formen des kollektiven Rechtsschutzes werden in der jüngeren Vergangenheit von der EU-Kommission forciert, da sie für Verbraucher und andere Marktteilnehmer eine effektive Wahrnehmungsmöglickeit ihrer Rechte schaffen. Durch sie sollen insbesondere Disparitäten ausgeglichen werden, die durch den Informationsvorsprung und die Beweislastregelungen zugunsten potentieller Beklagter bestehen.
Auch in einem mittlerweile an das Landgericht Hannover verwiesenen Verfahren stellten die Kläger einen Antrag auf Einleitung eines Musterverfahrens.
Kläger
Die Kläger in den Zivilverfahren zeigen einen Querschnitt der Gesellschaft: Privatpersonen, ausländische Hedgefonds, Pensions- und Indexfonds, die mittelbar Kleinanleger repräsentieren, Rechtsnachfolger einer bedeutenden Unternehmerpersönlichkeit. Sie alle hielten die VW-Aktie im Sommer/Herbst 2008 für deutlich überbewertet und sie alle fühlen sich durch die Informationspolitik der Porsche SE und ihrer Verantwortlichen getäuscht.
Die Zivilklagen, die durchaus das Potential zu einer großen Sammelklage hätten, müssen aufgrund des insoweit nicht sonderlich innovationsfreundlichen deutschen Zivilprozessrechts in unterschiedlichen Einzelverfahren geführt werden.
Kreditklemme
In Mitten der durch die Lehmann-Pleite ausgelösten Finanzmarktkrise benötigte die Porsche SE dringend neue Liquidität. Der Zusammenbruch des Bankhauses Lehmann führte allerdings dazu, dass der Interbankenhandel zum Erliegen kam und eine Kreditklemme ausgelöst wurde, die selbst bei hochrangigen Schuldnern dazu führte, dass ihnen die Vergabe neuer Kredite und die Verlängerung oder Refinanzierung bestehender Kreditlinien verweigert wurde.
Die Finanzmarktkrise betraf zudem auch das operative Geschäft der Automobilindustrie und schwächte somit kumulativ die Kreditwürdigkeit der Automobilunternehmen. Eine in Höhe von zehn Milliarden Euro bestehende Kreditlinie von Porsch lief im März 2009 aus. Verhandlungen über eine Verlängerung wurden im Herbst 2008 abgebrochen. Die Beschaffung der zur Umsetzung des Übernahmeplans notwendigen Liquidität war also perspektivisch nahezu unmöglich.
Kreditbetrug
Die Porsche SE wurde zwar im Januar 2009 durch die Erhöhung ihrer Beteiligung auf über 50 Prozent noch Mehrheitseignerin bei VW, dennoch waren die Banken zu diesem Zeitpunkt kaum mehr bereit, die hohen Kreditlinien zu verlängern oder gar – wie von der Porsche SE gewünscht – zu erhöhen.
Der ehemalige Finanzvorstand der Porsche SE, Holger P. Härter, verhandelte nach dem Short Squeeze bis März 2009 mit über 40 Banken, darunter auch mit der französischen Bank BNP Paribas. Im Zuge dieser Verhandlungen stellte er den Finanzbedarf, der benötigt worden wäre, um weitere 20 Prozent an VW-Stammaktien durch Auflösung der Optionen zu erwerben, gegenüber Bankern der BNP Paribas falsch dar. Statt der angegebenen 4,1 Milliarden Euro wären nach Ansicht des Gerichts tatsächlich wohl 5,5 Milliarden Euro benötigt worden.
Wegen derartiger Falschangaben wurde Holger P. Härter sowie einer seiner Mitarbeiter mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Stuttgart zu einer Geldstrafe von 630.000 Euro bzw. 63.000 Euro wegen Kreditbetrugs verurteilt.
Kurssicherung
Die Porsche SE vertritt vehement den Standpunkt, der Aufbau der Derivatstrategien solle nur der reinen Kurssicherung gedient haben. Auch in den anhängigen Zivilverfahren wird die Position vertreten, dass die Kurssicherungsgeschäfte keiner kurzfristigen Gewinnerzielung dienten, sondern nur dem späteren Ankauf von Aktien (Klageerwiderung der Kanzlei HengelerMüller im Verfahren Elliott gegen Porsche, Rn. 231).
Fraglich ist dann aber bereits, warum die Porsche SE nicht nur Call-Optionen erwarb, sondern zusätzlich eine nicht geringfügige Zahl von Put-Optionen begeben hatte. Ob man zudem von einer reinen Kurssicherung sprechen kann, wenn Kursverluste im Rahmen der Derivatstrategie zu Nachforderungen „mitunter im Stundentakt“ führen, ist zweifelhaft.
Auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart legte in ihrer Pressemitteilung vom 19. Dezember 2012 dar, „dass sich aus den von Porsche bis Oktober 2008 aufgebauten Optionen auf VW-Stamm- und Vorzugsaktien im Falle eines Kursverfalls zu diesem Zeitpunkt Zahlungsverpflichtungen in einer Größenordnung ergeben hätten, die die „liquiden Mittel Porsches um ein Vielfaches überstiegen“ hätten.
Der ehemalige Porsche Finanzvorstand Holger Härter gibt dagegen an, dass für Sicherungen notfalls kein bares Geld hätte aufgewendet werden müssen. Auch Wertpapiere hätten als Sicherheit hinterlegt werden können.
Leveraged Buyout
Der Leverage Buyout oder zu deutsch die fremdfinanzierte Übernahme stellt einen Unternehmenserwerb dar, der überwiegend fremdfinanziert ist. Die Fremdkapitalgewährung durch die finanzierenden Banken erfolgt dabei in erster Linie im Hinblick auf die Tragfähigkeit des Zielunternehmens und einen Zugriff auf die Cash-Flows des Zielunternehmens, mit dem dann die gewährten Kredite getilgt und die Zinsen aus diesen gezahlt werden.
Nicht nur verschiedene Kläger sehen in der Vorgehensweise der Porsche SE im Rahmen der „gescheiterten“ VW-Übernahme ein solches Modell eines Leveraged Buyout realisiert.
Maple-Bank
Das Geldhaus ist ein für Frankfurter Verhältnisse vergleichbar kleines Finanzinstitut, das sich in einem unscheinbaren Gebäude im Frankfurter Westend befindet. Bevor die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Verantwortliche der Maple Bank wegen Marktmanipulation im Zuge der VW-Übernahme durch die Porsche SE ermittelte, war die Bank nur wenigen Finanzexperten bekannt.
Tatsächlich war die Maple Bank von Anfang an unmittelbare Vertragspartnerin der Porsche SE und der Porsche GmbH Salzburg und baute für diese Gesellschaften heimlich die Derivatpositionen in VW-Aktien auf. Hierzu war es erforderlich, dass die Maple Bank diese Positionen durch den Kauf von VW-Stammaktien absichert (hedged), um diese dann der Porsche SE je nach Bedarf und Marktlage zu veräußern.
Vertraglich war angeblich vereinbart, dass die Maple Bank dabei aber keine meldepflichtigen Stimmrechtsschwellen überschreiten sollte. Zumindest nach Ansicht der Kläger bediente sich die Maple Bank deshalb verschiedener Banken und Finanzinstitute, um die Positionen in physischen VW-Aktien so zu streuen, dass die meldepflichtigen Mindestschwellen nicht überschritten wurden.
Nachtragsanklage
Wenn am 22. Oktober 2015 die Anklageschrift in dem Strafverfahren wegen Marktmanipulation verlesen wird, beziehen sich die dort enthaltenen Tatvorwürfe gegen die ehemaligen Vorstände zunächst auf die fehlerhaften Dementis einer schon gefassten Übernahmeabsicht.
Die Frage, ob auch die Veröffentlichung der Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008 und der mit ihr in Verbindung gebrachte Short Squeeze ein strafrechtlich relevantes Verhalten darstellt, wird von einer weiteren Anklage erfasst. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat mittlerweile auch insoweit Anklage zur Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart erhoben, das diese bereits zugelassen hat.
In der zur Anklagerhebung veröffentlichten Pressemitteilung heißt es: „Porsche hatte im Jahr 2008 versucht, die Volkswagen AG, Wolfsburg, zu übernehmen. Sie hatte vor diesem Hintergrund und nach einem von etwa 400 Euro auf rund 200 Euro gefallenen Börsenkurs der VW-Stammaktien am 26.10.2008 mittels einer Pressemeldung den Eindruck erweckt, künftig würden am Markt aufgrund ihrer abgeschlossenen Kurssicherungsgeschäfte dauerhaft allenfalls noch ca. 6 Prozent der Stammaktien der Volkswagen AG verfügbar sein.
Am 27. und 28.10.2008 kam es deshalb zu einem Ansturm auf die Stammaktien der Volkswagen AG; deren Börsenkurs lag zeitweilig bei mehr als 1000 Euro. Den Angeschuldigten wird zur Last gelegt, dass die Pressemeldung irreführend war, weil sie suggerierte, dass in Zukunft nur noch einige wenige VW-Stammaktien auf dem Markt erhältlich sein würden, und sie damit eine dauerhafte Marktenge vorspiegelte.
Der verständige Marktteilnehmer konnte der Pressemitteilung jedoch nicht entnehmen, dass Porsche bei dem am 26.10.2008 noch zu befürchtenden weiteren Kursverfall der VW-Stammaktien Nachbesicherungsforderungen aus ihren Kurssicherungsgeschäften nicht mehr hätte bedienen können.“
Schon unmittelbar nach der erneuten Anklageerhebung teilten Wiedekings Strafverteidiger heftig gegen die Staatsanwaltschaft Stuttgart aus und behaupteten, „die Stuttgarter Strafverfolger ließen sich von Spekulanten "instrumentalisieren", die beim Übernahmekampf zwischen Porsche und VW Milliardenbeträge verloren hatten
Porsche Salzburg GmbH
Bei der Porsche Salzburg GmbH handelt es sich um eine österreichische Gesellschaft, die sich im Besitz der Familien Porsche/Piëch befindet. Auch die Porsche Salzburg GmbH baute nicht unwesentliche Derivatpositionen in Aktien der Volkswagen AG auf. Der heimliche Aufbau einer synthetischen Beteiligung wurde mit der Porsche SE bereits im Jahr 2005 koordiniert.
Am 15. Oktober 2008 erwarb die Porsche Salzburg GmbH schließlich einen Stammaktienanteil von 2,37 Prozent an der Volkswagen AG indem sie Derivate auflöste. Dieser – zumindest nach Auffassung der Porsche-Verantwortlichen – angeblich nicht meldepflichtige Anteil an VW-Stammaktien verengte das Angebot an VW-Stammaktien weiter.
Dieser Anteil an VW-Stammaktien war den anderen Marktteilnehmern lange unbekannt und wurde insbesondere auch nicht in der Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008 offengelegt. Nach Auffassung mancher Kläger spielte die im Hintergrund agierenden Porsche Salzburg GmbH deshalb eine entscheidende Rolle im Zusammenhang mit den Vorgängen rund um den 26. Oktober 2008 und der plötzlichen Kursexplosion der VW-Stammaktie.
In den laufenden Rechtsstreitigkeiten vertritt die Porsche-Seite dagegen den Standpunkt, die Porsche GmbH Salzburg habe ganz unabhängig von der Porsche SE gehandelt, obwohl die Führungsfiguren Ferdinand Piëch und Wolfgang Porsche Aufsichtsräte beider Gesellschaften und weitere Familienmitglieder in den Aufsichtsgremien eingebunden waren. Die Familien Porsche/Piëch profitierten über die Porsche Salzburg GmbH zudem unmittelbar von den Derivatspekulationen.
Wies die Gesellschaft in frühen Jahren Gewinne von kaum mehr als 100 Millionen Euro auf, schnellte der Gewinn im Geschäftsjahr 2008/2009 auf mehr als zwei Milliarden Euro und im Jahr darauf sogar auf mehr als drei Milliarden Euro. Einem Pressebericht zufolge wurden diese Gewinne anschließend dann über komplizierte gesellschaftsrechtliche Konstruktionen steueroptimiert an die Familienmitglieder ausgeschüttet (Quelle: Bilanz, April 2015).
Short-Squeeze
Unter einem „Short-Squeeze“ versteht man die Angebotsknappheit eines Wertpapiers, das zuvor in großer Anzahl leeverkauft wurde. Steigt der Aktienkurs entgegen der Annahme der Leerverkäufer, die zuvor auf einen Kursverlust des Wertpapiers gesetzt haben, müssen diese, um noch höhere Verluste zu vermeiden, die entsprechenden Wertpapiere zu jedem Preis erwerben, so dass der Kurs des Wertpapiers noch weiter steigt.
Am 26. Oktober 2008 und den folgenden Tagen ergab sich ein solches Short-Squeeze-Szenario im Hinblick auf die VW-Aktie. Manche Anleger und Kläger in den verschiedenen Porsche-Verfahren werfen den damaligen Porsche-Verantwortlichen vor, dass sie durch eine falsche und irreführende Pressemitteilung die Short-Squeeze Panik ausgelöst haben, um den Kursverlust der VW-Aktie zu stoppen und um die Liquidität Porsches zu bewahren.
Auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft mit ihrer Nachtragsanklage den ehemaligen Porsche-Vorständen vor, den Markt dahingehend manipuliert zu haben.
US-Litigation
Die Verfahren vor den US-Gerichten sind nicht in der Sache gescheitert, sondern aufgrund eines restriktiven Verständnisses des US Supreme Court zur territorialen Anwendung des US-amerikanischen Bundesrechts (Morrison-Urteil des US Supreme Court).
Nach diesem Urteil können die Vorschriften des US-Kapitalmarktrecht bzw. auch andere bundesrechtliche Regelungen nur noch in äußersten Ausnahmefällen auf Sachverhalte angewandt werden, die zumindest schwerpunktmäßig außerhalb der USA zu lokalisieren sind.
Die klagenden Fondgesellschaften legten keine Berufung gegen die Urteile ein, da Porsche im Gegenzug zusicherte, in den Verfahren in Deutschland auf die Erhebung der Einrede der Verjährung zu verzichten.
Vorstandsboni
Durch die Derivatspekulationen der Porsche SE wurde Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking laut Spiegel der erste angestellte Manager Deutschlands, der mit seinem Gehalt die 100-Millionen-Euro-Grenze überschritt. Die Eigentümerfamilien hatten Wiedeking in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine besondere Gewinnbeteiligung eingeräumt.
Aber auch der Finanzchef Holger P. Härter profitierte über Bonuszahlungen von den enormen Gewinnen der Porsche SE, die kaum aus dem Autoverkauf resultierten, sondern vorwiegend aus Buchgewinnen aufgrund der Derivatespekulationen bestanden. Bereits im Jahre 2007 kursieren daher Berichte in den Medien, in denen Porsche als „Hedgefonds mit Automobilgeschäft“ (Wirtschaftswoche vom 27.10.2007) bezeichnet und festgestellt wird, dass das Geld für die VW-Übernahme „größtenteils aus Währungsspekulationen und Optionsgeschäfte“ stammen würde.
Im Geschäftsjahr 2007/08 kam es zu der kuriosen Situation, daß die Buchgewinne sogar den Umsatz der Porsche SE überstiegen. Von der in der Bilanz der Porsche SE ausgewiesenen Vorstandsvergütung von 147,5 Millionen Euro erhielt Wiedeking über 100 Millionen Euro. Insgesamt addierten sich die Bonuszahlungen an den Manager in den drei Jahren nach dem Einstieg bei der Volkswagen AG auf rund 188 Millionen Euro.
VW-Geschenk
Die Volkswagen AG verfügte im Oktober 2008 noch über ein genehmigtes Kapital von insgesamt 490 Mio. Euro. In Zeiten, in denen die Finanzkrise bereits dunkle Schatten auf die Märkte warf, wäre es für die Volkswagen AG dank der urplötzlichen Kursexplosion in der Woche nach dem 26. Oktober 2008 ein leichtes Unterfangen gewesen, sich durch die Ausgabe von mindestens 39 Millionen neuer Stammaktien Liquidität im Milliardenbereich zu verschaffen.
Gleichzeitig hätte so der „feindliche“ Übernahmeversuch durch die Porsche SE abgewehrt werden können. Die Möglichkeit einer einfachen und für die Volkswagen AG vorzugswürdigeren Kapitalbeschaffung wurde dennoch unterlassen. Statt dessen wickelten die Vorstände der Volkswagen AG selbst Aktiengeschäfte ab und erzielten so einen Gewinn von 25 Mio. Euro.
Gleichzeitig schützten sie das Vermögen der Familien Porsche/Piëch, indem sie gerade nicht den Kurs der VW-Stammaktien durch die Ausgabe neuer Aktien im Wege der bereits genehmigten Kapitalerhöhung zum Kollabieren brachten.
Kürzlich bezeichnete der ältere Bruder Ferdinand Piëchs, Ernst Piëch, den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn in einem Interview mit dem österreichischen Kurier als einen „ausgesprochen guten Befehlsempfänger seines Bruders“. Ob und inwieweit das auch auf den vorliegenden Sachverhalt zutrifft, bleibt bislang verborgen.