Jeden Donnerstag ab 9.00 Uhr könnte man glauben, dass eine Riege der besten Herrenschneider aus der feinen Londoner Savile Row ihre Modelle auf den Stühlen des Saals 1 im Landgericht Stuttgart platziert hat. Die Herren tragen graue Anzüge, scharf gebügelte Hosennähte samt blütenweißem Hemd, die wenigen Damen Blusen mit Kostümen, deren Röcke übers Knie reichen.
Allen gemeinsam ist der Griff nach Bleistift und Papier, um den Prozess Wort für Wort mitzuschreiben – denn es gibt einfach nicht genügend Steckdosen für alle Laptops auf der Besuchertribüne.
Besonders aufmerksam verfolgen die Zuschauer, die sich anhand ihrer Kleidung leicht als Angehörige der Finanzberufe identifizieren lassen, den Ausführungen der Verteidigung von Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und seinem ehemaligen Stellvertreter, Ex-Porsche-Finanzvorstand Holger Härter.
Jeder der aufmerksamen Beobachter will so schnell wie möglich die Prozess-Strategie erfassen, die die beiden Ex-Vorstände vor den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Stuttgart freisprechen soll.
Lange sieben Jahre hat es gedauert, bis es zum Prozess kam. Für Professor Marco Mansdörfer, Leiter des Lehrstuhls für Strafrecht einschließlich Wirtschafts- und Strafprozessrecht der Universität des Saarlandes, eigentlich nichts ungewöhnliches. Denn schon im Vorfeld hatte die Staatsanwaltschaft einige Hürden zu überwinden.
Ursprünglich wollte das Landgericht das Verfahren gegen die beiden Beklagten gar nicht eröffnen, da es die Beweislage für zu dürftig hielt. Daraufhin erzwang die Staatsanwaltschaft ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Jetzt stehe der Vorwurf der Marktmanipulation, der „verdammt schwer nachzuweisen sei“, wie Professor Mansdörfer ausführt.
Denn der Vorwurf der Marktmanipulation sei ein ausgesprochen komplexes Delikt. Komplex deswegen, weil es in einer juristisch schwierig zu definierenden Zone angesiedelt sei.
Zwar ist es nach Paragraph 20 a verboten, Maßnahmen vorzunehmen, die dazu geeignet sind, den Markt- oder Börsenpreis eines Finanzinstruments zu beeinflussen. „De facto kann das aber durch jeden Kauf oder Verkauf eines größeren Aktienpakets geschehen“, erklärt Professor Carsten Momsen, Strafrechtler der Freien Universität Berlin. Marktübliches Verhalten soll aber eben nicht verboten werden.
Dementsprechend schwierig sei es sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für das Gericht zuverlässig zu bewerten, ob denn im vorliegenden Fall schon eine Straftat oder ein doch noch erlaubtes Verhalten vorliege.
Konkret hat sich die Staatsanwaltschaft vorgenommen zu beweisen, dass tatsächlich vor den umstrittenen Porsche-Pressemitteilungen über die große Übernahme von VW durch Porsche längst geplant war, den größten Autohersteller Europas zu kaufen. Außer diesen fünf Pressemitteilungen, die sich jeweils auf unterschiedliche Phasen dieser Übernahme beziehen, hat die Staatsanwaltschaft im bisherigen Verlauf des Prozesses keine weiteren schriftlichen Beweise benannt.
Entsprechend hat Wendelin Wiedeking, Ex-Vorstandschef von Porsche, seine bisherige Verteidigung nach Ansicht von Professor Mansdörfer aufgebaut. „Herr Wiedeking hat bereits in seiner Eröffnung mitgeteilt, dass keine Email, kein Protokoll und keine Gesprächsnotizen vorliegen, die die von der Staatsanwaltschaft unterstellte Absicht belegen könnten.“
Und da Wiedeking bereits selbst in seiner Eröffnung auf die fehlende Beweislage hingewiesen habe, also mit Kenntnis seiner Verteidigung, könne man davon ausgehen, dass tatsächlich nichts dergleichen existiere.
Dass Wendelin Wiedeking diese Ausführungen gleich zu Beginn des Verfahren gemacht habe, ziele natürlich nicht nur auf einen anzustrebenden Freispruch hin. Vielmehr mache er damit auch mit Blick auf die laufenden Zivilprozesse in gleicher Angelegenheit deutlich, dass er das ganze Verfahren an sich für nicht rechtmäßig halte.
Daher habe er sich auch gar nicht erst auf detaillierte Widersprüche gegen die fünf genannten Tatvorwürfe eingelassen. „Mit Blick auf die Äußerungen Wiedekings und seiner Verteidigung, welche die Legitimation des gesamten Verfahrens infrage stelle“, sei das ein geschickter Schachzug.
Und der richte sich insbesondere an die Vertreter der Finanzwelt auf den Besucherrängen: Wiedeking und seine Verteidiger zielen mit ihrem angestrebten Freispruch im Strafprozess vor allem auf den ebenfalls anhängigen Zivilprozess ab, der in Hannover verhandelt wird. Sozusagen eine Verteidigung durch Nicht-Verteidigen.
Und das sei auch eine klare Nachricht an die Herren und Damen in den Anzügen, die vielfach internationale Fonds gegen Porsche vertreten. Wenn es keine Belege für eine Tat gäbe, gebe es auch keine Verurteilung.
Staatsanwaltschaft und die Klägervertreter des anhängigen Zivilprozesses sehen das natürlich anders. Sie glauben, dass im Laufe des Verfahrens bereits erhebliche Zweifel an der Version der VW-Übernahme durch Porsche aufgetaucht sind, wie sie etwa Ex-Porsche-Chef Wiedeking zu seiner Verteidigung geschildert hat. „Und die Staatsanwaltschaft hat dazu ja auch schon erhebliche Beweise angeführt“, sagt einer der Prozessbeobachter.
Sollte das Gericht das auch so sehen, wird die Verteidigung durch Nicht-Verteidigung der Angeklagten dann doch noch scheitern.