„Stellen Sie sich vor, Sie sind im Gebirge und Sie sehen ein paar Bergspitzen und dazwischen ist Nebel. Was darunter ist, sieht man nicht. So fühle ich mich gerade.“ Sätze wie diese prägten den achten Verhandlungstag im Porsche-Prozess und brachten den Vorsitzenden Richter des Landgerichts Stuttgart an diesem Tag zur Verzweiflung.
Abfinden wollte er sich damit aber nicht. Er blickte den in dunkelbraunem Anzug und blassgelber Krawatte vor ihm sitzenden Ex-Porsche-Manager an, lächelte und sagte: „Jetzt gehen wir nochmal zur ersten Spitze und pusten den Nebel weg. Das schaffen wir.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte der 54-jährige Zeuge H. allerdings schon eine dreiviertel Stunde damit verbracht, sich an so gut wie nichts zu erinnern, was der Richter ihn zuvor gefragt hatte. Ob er wüsste, wann? Ober er sich erinnere, wie? Auf so gut wie nichts hatte der Zeuge eine Antwort.
Einmal beschrieb H. etwas ausführlicher, dass sich die VW-Entwickler aus Wolfsburg trotz gemeinsamer Projekte wie der Technologieplattform für die Geländewagen Cayenne (Porsche) und Touareg (VW) immer wieder vor einer Zusammenarbeit mit den Porsche-Entwicklern aus Weissach gescheut hätten. Und zwar zunächst mit dem Verweis: „Ja, wenn ihr mal 20 Prozent habt, den reden wir drüber“.
Als Porsche dann die entsprechende Beteiligung hielt, sei es dann eine ganz andere Argumentation gewesen. „Es war ein steter Kampf “, sagte der Zeuge.
Auf die anschließende Frage des Richters, wie Wendelin Wiedeking und Holger Härter darauf reagiert hätten, stellte der Zeuge die Frage: „Auf was?“
Nach kurzem Hinweis des Richters auf die vorherigen Erläuterungen des Zeugen, sagte dieser: Es sei ein sehr ermüdender Prozess gewesen. „Vielleicht so, wie Sie sich gerade fühlen, wenn Sie mich so befragen. Sie wissen eigentlich, wo Sie hinwollen, aber Sie kommen nicht so richtig weiter.“ Da mussten auch die rund fünfzig Prozessbeobachter schmunzeln.
Seinem eigenen Vergleich wurde der Befragte danach weiterhin gerecht. So konnte er sich beispielsweise an ein von ihm unterzeichnetes Schreiben von Ende 2006 nicht recht erinnern, in dem er formuliert hatte, dass mit „mit dem Projekt sicherlich das größte Rad der Firmengeschichte gedreht wird“. Das Schreiben beschreibe zwar den Weg, die Beteiligten seien damals aber noch „blauäugig“ gewesen.
„Das ist aber ganz sicher noch weit weg von einer Beschlussfassung“, betonte er, ohne danach ausdrücklich gefragt worden zu sein.
Was er denn mit dem „größten Rad der Firmengeschichte“ gemeint habe, wollte der Richter schließlich wissen. „Das größte Rad der Firmengeschichte, dass könnten Sie auch sagen, das war die Entwicklung vom 11er“, sagte der Zeuge. Seine Wahrnehmung sei aber damals wohl gewesen, dass ein Schritt über 30 Prozent mit der Aussicht, einen gemeinsamen Vorstand mit Volkswagen bilden könnte, „schon ein Mordsding“ gewesen sei.
Eine Komplettübernahme habe er sich persönlich damals nicht vorstellen können. Wobei er auch auf „das ganze Thema Squeeze-out“ hinwies – also das Herausdrängen verbliebener Minderheitsaktionäre durch eine Barabfindung. „Das hat ja keiner mal bewertet, was der Squeeze-out eigentlich kostet.“
„Irgendwo meine ich den Akten entnommen zu haben, dass Sie als Chefstratege bezeichnet worden sind – wie weit das berechtigt ist, das weiß ich nicht “, warf der Richter zwischendurch in den Raum, nachdem er erneut nur trübe Erinnerungen auf eine Frage zur Antwort bekommen hatte.
Die Wissenslücken seines Zeugen verwunderten ihn vor allem deshalb, weil H. von der Jahrtausendwende bis zum Juli 2011 eine Spitzenposition bei Porsche inne hatte, zuletzt die eines Leiters des Generalsekretariats im Konzern. Unter Wendelin Wiedeking, dem er direkt unterstellt war, hatte er zu jener Führungsriege gehört, die maßgeblich an der Vorbereitung, Dokumentierung und Nachbereitung von Vorstandsentscheidungen beteiligt gewesen war.
Rund 120 solcher Vorstandsentscheidungen seien im Jahr bei Porsche getroffen und als Ergebnisprotokolle in einer Datenbank dokumentiert worden, so der Zeuge.
Über die Gründe, dass H. zur Beantwortung der Fragen zu Übernahmeplänen, Beteiligungen und deren Finanzierung nicht viel beitragen konnte, lässt sich zumindest spekulieren. So erwähnte der Zeugenbeistand beiläufig eine Operation, der sich H. nach seinem Ausscheiden bei Porsche unterziehen hätte müssen und die Vergangenes möglicherweise in den Hintergrund gedrängt habe.
Der Zeuge selbst wiederum ließ wiederholt durchscheinen, dass er vor allem wegen der Sportwagen und weniger aufgrund eines Kapitalmarktinteresses bei Porsche gearbeitet hätte. „Ich kann Ihnen alles mögliche erzählen“, sagte er.
Wann beispielsweise der Panamera auf den Markt gekommen und wie wichtig das gewesen sei. Worauf der Richter entgegnete, dass er nicht beabsichtige, den Zeugen dazu zu befragen, „welche Sitze der Panamera haben soll und ob die elektronisch verstellbar sein sollen.“
Kurz vor der Mittagspause unterbrach das Gericht schließlich die Verhandlung für zehn Minuten, nachdem die Verteidigung um eine entsprechende Pause und ein Gespräch – in Abwesenheit des Zeugens und der Prozesszuhörer – gebeten hatte.
Zu helfen schien dies zunächst auch nicht nach der Mittagspause. Auf die Frage, wer in einem Protokoll der Familiengesellschafter wohl mit „P.“ gemeint sein könnte, sagte der Zeuge, er wissen es nicht und fügte an: „Ich fühle mich hier ein bisschen wie bei Harry Potter.“ An anderer Stelle gab er an, den Namen der Investmentbank Lehman Brothers nicht einordnen zu können.
Dennoch wurde es noch einmal spannend. „Sagt Ihnen das Stichwort Blitz etwas, der große Schritt?“, wollte der Richter wissen. „Noch nie gehört“, sagte er Zeuge, woraufhin ihn der Richter nach vorne rief, um ein Dokument vom August 2008 anzusehen. Ihm gehe es um die Frage, was mit darin getroffenen Aussagen gemeint sei. Etwa wie der „Sprung über 75 Prozent“ sei denkbar, es gebe einen „Planungsstand“ und eine „Alternative“, sagte der Richter.
Das Obere sage ihm was. Der Planungsstand und die Prämissen klängen „logisch und sinnvoll“, sagte der Zeuge. „Ich verstehe nur nicht, was die Alternative ist, was macht die denn anders?“ Es folgten weitere Dokumente. „Da blitzt es schon wider“, sagte der Richter.
Nach einem Versuch des Zeugenbeistands, eine Pause zu erbitten, ging es auf Wunsch des Zeugen zunächst weiter. Der Richter fragte daraufhin, ob es sich beim Planungsstand nicht um Porsche-Pläne handeln könnte, die Anteile an Volkswagen bis November 2008 entweder auf mehr als 50 Prozent oder bei der „Alternative“ auf mehr als 75 Prozent zu erhöhen.
Der Zeuge blickte noch einmal auf das Dokumente, überlegte kurz, und sagte dann. „Genauso sieht’s aus.“ Das seien die beiden Wege dazu. Aber man müsse noch sagen, ob das jetzt ein Beschlussstand, ein Plan oder Konzept sei. „Woher soll ich denn das wissen?“, sagte der Richter. Deshalb sei H. doch gerade als Zeuge da. „Fairer Punkt“, entgegnete dieser und erntete ein paar Lacher im Saal.
Er wolle einfach verstehen, was denn der „Blitz“ sei, sagte der Richter, woraufhin wiederum die Verteidigung sich einmischte und eine Pause für den Zeugen verlangte. Diese Pause wurde schließlich gewährt, nachdem der Richter auf Nachfrage des Zeugenbeistands nach der zu erwartenden Länge der Befragung darauf hingewiesen hatte, „wenn das so weitergeht, noch drei Wochen.“
Nach der Pause hatten die Richter dann aber doch keine Fragen mehr. Die Gründe dafür blieben dem Publikum verborgen.
Stattdessen ging das Fragerecht an die Staatsanwaltschaft über. Diese löcherte den Zeugen mit dem üblichen langen Fragenkatalog an ehemalige Porsche-Mitarbeiter, der bereits in ähnlicher Form an den vorherigen Verhandlungstagen zum Einsatz gekommen war. Doch Erinnerungen des Zeugen, darüber was wer bei Porsche seiner Wahrnehmung nach wann wusste oder gedacht hat, führten ebenso ins Leere wie die meisten Fragen des Richters zuvor.
Kurz nach einer abermaligen Forderung der Verteidigung nach einer Pause endete die Befragung. Die Tortur für den Zeugen H. und der achte Verhandlungstag waren damit beendet.