Der neunte Verhandlungstag im Strafprozess der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen die ehemaligen Porsche-Topmanager Wendelin Wiedeking und Holger Härter setzte sich auch am Freitag, den 20. November 2015, mit der Befragung eines Ex-Porsche-Mitarbeiters fort. Der bis 2010 für Bilanzen und Steuern bei Porsche zuständige Zeuge P. zeigte sich dabei weitaus erinnerungsstärker als am Tag zuvor der ehemalige Strategiechef des Unternehmens.
So schilderte der gelernte Finanzwirt seine Aufgaben im Unternehmen, dem er seit 1996 als zuständiger Mitarbeiter für Bilanzen und Steuern angehört hatte. Im Verlaufe des Jahres 2005 sei er vom Vorstand darüber informiert worden, dass es Interesse daran gab, sich an Volkswagen zu beteiligen.
Analysiert worden seien zu diesem frühen Zeitpunkt Beteiligungen in verschiedenen Höhen, von der Minderheitsbeteiligung von 20 Prozent, über mehr als 30 Prozent, mehr als 50 Prozent und mehr als 75 Prozent.
Als im September 2005 die Entscheidung gefallen sei, 19 bis 24,5 Prozent der Volkswagen-Anteile zu erwerben, sei es seine Aufgabe gewesen, nach den Aktienkäufen die jeweiligen Zahlen zu verbuchen. So sei es dann auch später gewesen. Es seien Entscheidungen getroffen worden, die dann im Hinblick auf die Bilanz ausgeführt worden seien.
P. sei unter anderem mit Fragen befasst gewesen wie etwa die Beteiligung bilanziert werden musste oder welche steuerlichen Auswirkungen eine Holding-Struktur des Unternehmens zum Beispiel als KGaA oder SE haben würde. Später hätten Fragen im Mittelpunkt gestanden, wie sich Pflichtangebote bilanziell und steuerrechtlich auswirken könnten – zunächst im Hinblick auf die Volkswagen-Übernahme, später dann auch mit Bezug auf die Volkswagen-Töchter Audi und Scania.
Auch mit einer denkbaren Vollkonsolidierung der Volkswagen AG in der Porsche-Bilanz sei er ab 2008 befasst gewesen – da Porsche zu diesem Zeitpunkt faktisch bereits über eine Hauptversammlungsmehrheit bei VW verfügte.
In der Befragung ging der Richter zunächst auf das Jahr 2005 ein. Die Frage, ob es bei den ersten Präsentationen der verschiedenen Beteiligungskonzepte von 20 bis 75 Prozent Präferenzen oder Gewichtungen gegeben habe, verneinte der Zeuge allerdings. „Das Thema ist aus meiner Sicht vom Auftrag her völlig ergebnisoffen gewesen.“
Es sei darum gegangen, durch die Beteiligung die Geschäftsbeziehung zwischen Porsche und Volkswagen abzusichern. Auf die Frage des Richters, ob es 2005 schon ein Szenario gab, auf „75 Prozent oder was auch immer zu gehen“, sagte der Zeuge: „Es gab vor dem 26. Oktober 2008 kein konkretes Szenario.“
Dabei bezog er sich mit dem genannten Termin auf die zu diesem Datum veröffentlichte umstrittene Pressemeldung der Porsche SE vom Herbst 2008, die letztlich die Kursexplosion der Volkswagen-Aktie auslösen sollte.
Die Pressemitteilung und die Geschehnisse in den Tagen zuvor waren dann auch ein Schwerpunkt der Befragung. Im Hinblick auf die Stunden vor ihrer Veröffentlichung am 26. Oktober 2010 gab er zu Protokoll: „Die Telefonkonferenz hat mich beim Wandern ereilt, deshalb weiß ich das noch.“ Seiner Erinnerung nach sei in dem Gespräch, an dem mehrere Führungskräfte zugeschaltet gewesen seien, das Dokument noch einmal verlesen, aber nicht mehr grundsätzlich verändert worden.
Sein Vorschlag, auch die Beteiligung der Familiengesellschafter von mehr als 2 Prozent an der Volkswagen AG zu veröffentlichen, sei von den beteiligten Juristen abgelehnt worden.
Sowohl Richter als auch Staatsanwaltschaft stellten immer wieder auf die Motive der Pressemitteilung ab. So befragten sie den Zeugen unter anderem im Hinblick auf die Optionsstrategien Porsches und der damit verknüpften Liquiditätslage des Unternehmens.
Im Zuge der Befragung wurde P. auch einige Dokumente vorgelegt, unter anderem der Investmentbank Merrill Lynch, die Porsche im Zuge der Beteiligungsstrategie beraten hatte, und der Maple Bank, die für Porsche die entsprechenden Derivatgeschäfte abgewickelt hatte.
Doch die Analyse der Zahlen in diesen Dokumenten verlief zäh. Ob es sich um Brutto- oder Nettofinanzierung handelte, ob sich Nachschussforderungen der Maple Bank auf Vorzüge oder Stammaktien Volkswagens bezogen, das war Gegenstand längerer Diskussionen, in die sich auch die Verteidigung einmischte.
Was er relativ sicher sagen könne, sagte der Zeuge schließlich: „Es hat in der Phase keine Situation gegeben, in der die Liquidität nicht vorhanden gewesen wäre.“ Das habe sich aus Sicht des Bilanzstichtags am 31. Oktober so dargestellt. In die tägliche Liquiditätslage habe er aber keine Einblicke gehabt.
Auch die VW-Kursentwicklung habe niemanden bei Porsche beunruhigt, erinnerte sich der Zeuge. Der Kurs habe sich im Verlauf des Jahres recht stabil über 200 Euro „eingependelt“. Dann sei er im Oktober einmal auf 400 Euro hochgeschnellt und „ist dann relativ schnell wieder auf die 200 gekommen“. Die 200 sei die Normalität gewesen. Die Kursbewegungen hingegen habe man sich nicht erklären können.
Darüber hinaus sei der Wert der Volkswagen-Papiere nach betriebswirtschaftlichen Kriterien intern über das Ertragswertverfahren berechnet worden. Man habe davon ausgehen können, dass wenn sich der Kurs normal verhalten hätte, „dass das dann der richtige Kurs ist.“ Steuerlich seien die Kurssprünge der Volkswagen-Aktien ebenfalls kein Thema gewesen, so der Zeuge.
Auch zu der Zeit vor der am 26. Oktober 2008 verkündeten Porsche-Plänen, einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bei Volkswagen anzustreben, wurde P. befragt.
Im Hinblick auf die verschiedenen Wasserstandsmeldungen der Porsche SE zur aktuellen Beteiligungshöhe und den Plänen bezüglich Volkswagen waren sowohl Richter als auch Staatsanwaltschaft daran interessiert, was sich im Zuge der Aufsichtsratsentscheidung insbesondere am 3. März 2008 aus Sicht des Zeugen ereignet hatte. Damals hatte der Aufsichtsrat dem Vorstand zunächst genehmigt, mehr als 50 Prozent der Volkswagen-Aktien zu erwerben.
Auf die Frage des Richters, wie der Zeuge eine solche „Mehrheit“ interpretiert habe, also ob vielleicht auch eine 75-Prozent-Mehrheit hätte gemeint sein können, gab dieser zu verstehen, dass er stets von einer Beteiligung von knapp mehr als 50 Prozent ausgegangen sei. Wobei er selbst von 50,7 Prozent sprach und auch den Termin nannte, wann diese Mehrheit letztlich auch erreicht wurde: am 7. Januar 2009.
Darüber hinaus verwies P. darauf, dass es aus seiner Sicht nur Sinn mache, mehr als 50 Prozent der Anteile an einem Unternehmen zu erwerben, „wenn ich mir einen entsprechenden Einfluss sichern kann.“
Wenn dies nicht gewährleistet sei, stelle sich die Frage, ob man so ein Thema überhaupt weiter machen sollte. Vor dem Hintergrund des VW-Gesetzes und den damit einhergehenden Stimmrechtsbeschränkungen für Großaktionäre sei dies der Fall gewesen.
Eine Beteiligung auf mehr als 75 Prozent hätte Porsche darüber hinaus nicht ohne gesonderte Finanzierung stemmen können. Anders als dies bei der Erhöhung auf 50,7 Prozent der Fall gewesen sei, die durch vorhandene Liquidität möglich gewesen sei.