Der Stuttgarter Porsche-Prozess begann nach der Weihnachtspause zunächst durchaus locker und humorvoll mit der Befragung Michael Grosse-Brömers, seit 2008 Mitglied der CDU-Landesgruppe Niedersachsen im Bundestag. Wobei dessen Aussage im Wesentlichen darin bestand, dass er wenig auszusagen hatte. Der Rechtsanwalt und Notar a. D., der auf Bitte der Staatsanwaltschaft geladen worden war, erinnerte sich bestenfalls noch flüchtig an das in der Befragung thematisierte Treffen der Berliner Abgeordneten mit Holger Härter im Herbst 2008.
Die Befragung Grosse-Brömers war daher so schnell vorüber, wie sie begonnen hatte. Zum Abschluss wünschte der Richter dem Zeugen, der offenbar auf dem Sprung zum nächsten Termin war, noch „viel Spaß bei Ihrer Tagung und grüßen Sie mir die Frau Bundeskanzlerin – sie kennt mich nicht, aber die Gelegenheit nehme ich gerne war", was zur Erheiterung des Publikums im Saal 1 des Stuttgarter Landgerichts führte.
Diese Erheiterung wich allerdings schnell einer ernsten und bisweilen hitzigen Diskussion darüber, ob es Sinn mache, bestimmte weitere Zeugen zu laden. Wobei der Richter unter anderem auf ein Schreiben des Anwalts des CDU-Bundestagsabgeordneten Enak Ferlemann verwies, worin es heißt, dass der Politiker doch „sehr überrascht“ über seine Einladung gewesen sei. Zumal das Treffen mit Holger Härter mehr als sieben Jahre zurückliege und sein Mandant keine konkreten Erinnerungen mehr daran habe.
Auf die Frage an die Staatsanwaltschaft, ob diese schon mitteilen könne, ob von der Ladung des Zeugens angesichts der dürftigen Ergebnisse der unmittelbar vorangegangenen Befragung des Zeugen Grosse-Brömer, möglicherweise abgesehen werden könne, gab der Erste Staatsanwalt zu Protokoll: „Wir werden uns bis Montag äußern.“ Woraufhin der Richter entgegnete, dass dies im Dezember auch die Aussage bezüglich des Zeugen Grosse-Brömer gewesen sei. Eine Information sei „nach meinem Kenntnisstand“ dann aber nicht eingegangen.
Die Schärfe des Tons, den der Richter dabei anschlug, prägte den weiteren Verlauf der Diskussion.
Ausführlich argumentierte der Vorsitzende der Kammer in Bezug auf die Ladung Wolfgang Porsches, seit 2007 Aufsichtsratschef der Porsche SE. In einem kurzen Monolog leitete der Richter her, warum er es für sinnlos hielte, den Zeugen zu laden, um ihn zu einem Telefongespräch im Zuge der Geschehnisse rund um den 26. Oktober 2008 zu befragen, wie von der Staatsanwaltschaft geplant. Wenn seine Folgerungen zuträfen und dem Zeugen ein Aussageverweigerungsrecht zustünde, könne die Kammer Wolfgang Porsche gegebenenfalls „den Weg hierher ersparen, so wie den anderen Aufsichtsratsmitgliedern auch.“
Der Erste Staatsanwalt entgegnete, dass er die vom Richter problematisierten Punkte, vor allem die telefonische Kontaktierung des Zeugen Wolfgang Porsche als Anknüpfungspunkt für eine mögliche Aussageverweigerung zu sehen, bislang „so nicht auf dem Schirm“ hatte. Am Ende gab die Staatsanwaltschaft klein bei. Wolfgang Porsche wird in diesem Prozess nicht mehr aussagen.
Ein weiterer Streitpunkt war auch die Frage, ob es Sinn mache, weitere Mitarbeiter der mit den Porsche-Optionsgeschäften im Zuge der VW-Beteiligung betrauten Maple Bank – namentlich sieben Zeugen – zu laden. Zumal die Befragung des wichtigsten Zeugen des Tages, Ex-Maple-Bank-Chef Wolfgang Schuck, an diesem Tag nicht den von der Staatsanwaltschaft noch im Dezember angekündigten Verlauf nahm.
Schuck hatte bei seiner ersten Vernehmung am 3. Dezember 2015 unter anderem ausgesagt, dass die Strikes, also die Basispreise von Optionen auf Volkswagen-Aktien, im Oktober zweimal nach unten angepasst worden seien. Ob und in wie weit die Maple Bank hier aus einem Zwang heraus handelte, sollte die zweite Befragung des Zeugen an diesem 14. Prozesstag ergeben.
Insbesondere sollte es dabei um die Risikotragfähigkeit und die Eigenkapitaldeckung der Maple Bank in der zweiten Oktoberhälfte und speziell im Zuge der umstrittenen Porsche-Mitteilung vom 26. Oktober 2008 gehen, in der Porsche die Übernahmepläne bezüglich VW veröffentlicht hatte. Denn die Gefährdung dieser Kennzahlen wäre möglicherweise mit einer Kündigung der Optionen einhergegangen, was nicht im Sinne Porsches gewesen wäre. So hatte die Staatsanwaltschaft vorab ihre grobe Argumentationslinie gezeichnet.
Auf die richterliche Frage, ob es am oder vor dem 26. Oktober 2008 auf Seiten der Maple Bank im Zusammenhang mit den Porsche-Geschäften Schwierigkeiten mit dem Eigenkapital oder mit Solvabilitäskennziffern gegeben habe, sagte Schuck: „Meiner Erinnerung nach nein.“
Eine Prüfung der Risikotragfähigkeit habe es damals noch nicht gegeben, diese sei erst nach der Finanzmarktkrise eingeführt worden. An sich seien die Kennzahlen der Bank und auch des Maple-Konzerns mit seinen internationalen Töchtern auch immer „recht gut“ gewesen. So habe die Eigenkapitalquote stets über 12 Prozent gelegen, wohingegen 8 Prozent in jener Zeit allgemein Untergrenze gefordert worden waren.
Zu den Strike-Anpassungen gab Schuck zu Protokoll, dass die Herabsetzung der Strikes keinesfalls ein Muss gewesen sei. „Die Strukturen waren ja so ausgestaltet, dass wir immer sehr gut besichert waren.“ Welche Überlegungen dahinter gestanden hätten, dass man die Strikes nicht unangepasst gelassen habe, wollte der Richter ebenfalls wissen und fügte an, ob es beim Wiedereröffnen dieser Put-Struktur große Zahlungsverpflichtungen auch von Seiten der Maple Bank gegenüber Porsche gegeben hätte, wegen des inneren Werts der Put-Strukturen?
„Nee, mit dem vorgezogenen Roll ist das ja automatisch passiert“, sagte Schuck. Hintergrund Anpassungen sei gewesen, keine spekulativen Geschäfte zu tätigen. Dies sei auch so gegenüber Prüfern seitens des Prüfungsverbandes, der Bundesbank und der Bafin kommuniziert worden.
Da aufgrund des stark gesunkenen Marktkurses bei einer isolierten Betrachtung der Optionen der unbesicherte Finanzierungsanteil sehr hoch war, habe dies wie eine spekulative Position gewirkt. Um den Beteuerungen gegenüber dem Prüfungsverbandes Rechnung zu tragen, habe er Holger Härter vorgeschlagen, den Roll vorzuziehen und den Strike wieder unter den Marktkurs zu bringen.
Ein wenig verwundert verwies die beisitzende Richterin den Zeugen daraufhin auf dessen letzte Aussage vom 3. Dezember, in der er von „finanztechnischen“ und „einlagensicherungstechnischen“ Gründen gesprochen habe, die zu den Strike-Anpassungen geführt hätten. Ohne die Anpassungen, so die damalige Aussage, hätten die entsprechenden Optionsgeschäfte aufgelöst werden müssen. „Nein“, sagte Schuck.
Der Grund sei tatsächlich gewesen, dass die Positionen so spekulativ wirkten. Es sei darum gegangen, die Aussagen unter anderem gegenüber der Bafin zu unterstreichen.
Was gewesen wäre, hätte die Maple Bank die Strikes ohne Anpassung weiterlaufen lassen, wollte die Richterin daraufhin wissen. „Hätten wir auch machen können, dann hätte es aber bei der nächsten Prüfung irgendwelche Fragen gegeben“, sagte Schuck. Trotz weiteren Nachbohrens ging es an dieser Stelle für die Kammer nicht voran.
So blieb es schließlich beim Fazit des Richters: „Zusammengefasst, das war kein spekulativer Anteil, in so weit haben Sie das an die Marktgegebenheiten angepasst. Punkt. Ende. Aus.“ Zwänge, in welcher Art auch immer, habe es nicht gegeben.
Noch einmal auf den Tisch kam auch ein Schreiben der Maple Bank an die Finanzaufsichtsbehörde Bafin vom 31. Oktober 2008, wo ausgeführt wird, dass die Bank am 28. Oktober 2008 eine Solvabilitätskennziffer unterschritten habe.
Schuck begründete dies damit, dass sich nach dem Transfer der Ausgleichszahlung rund zehn Minuten vor Handelsschluss noch kurzfristige Kursschwankungen ergeben hätten. Zum Schlusskurs sei dann aber ein Interbankentransfer nicht mehr möglich gewesen. Die Sicherheiten, die so aus technischen Gründen fehlten, seien am nächsten Morgen wieder ausgeglichen worden.
Der Erste Staatsanwalt befragte den Zeugen im Anschluss sehr konkret auch nach finanztechnischen Aspekten der Options-Strategien Maples. Dies führte nicht nur dazu, dass Schuck mehrfach passen musste, sondern auch zu Zwischenkommentaren der Verteidiger, die dem Staatsanwalt vorwarfen, „Sachverständigenfragen“ statt „Wahrnehmungsfragen“ zu stellen.
Der Richter bezeichnete den kurzen Streit darüber, was der Staatsanwalt nun für Fragen stellen dürfe, weil sie durch die Klageschrift begründet seien, und welche Fragen nicht, zunächst noch als „schwieriges Terrain“. Später verschärfte sich jedoch der Ton. Die Staatsanwaltschaft kam den Beteiligten schließlich insofern entgegen, dass sie ihren Fragenkatalog in einer kurzen Pause kürzte.
Doch auch danach gab es keine Ruhe. Als der Erste Staatsanwaltschaft Fragen zum Hedging stellte, unterbrach ihn die Verteidigung mit der Begründung, diese Fragen seien bereits bei der letzten Befragung gestellt worden. Woraufhin der Staatsanwalt mitteilte, er frage, weil er weiter in die Tiefe gehen wolle.
Die Beziehungen Maples mit anderen Banken, die in die Hedging-Geschäfte rund um die Porsche-Optionen eingebunden waren, gingen bei dem Hin und Her zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und der Kammer immer mehr unter.
So kam der Erste Staatsanwalt unter anderem noch einmal auf die von Schuck bei der letzten Befragung erwähnte isländische Landsbanki zu sprechen. An diese hatte Porsche 400.000 VW-Stammaktien verliehen, dann war die Landsbanki allerdings in den Strudel der Finanzkrise geraten.
Noch bevor der Zeuge seine Frage stellen konnte, schritt Porsche-Anwalt Daniel Krause ein und sagte: „Herr Vorsitzender, ich beanstande diese Frage!“ Denn aus Sicht der Verteidigung sei überhaupt kein Verfahrenszusammenhang mit den Verdachtsthesen der Staatsanwaltschaft erkennbar.
Der Richter ging darauf ein und fragte den Zeugen: „Haben Sie über diese Probleme mit der Landsbanki mit Herrn Wiedeking oder Herrn Härter gesprochen?“ Dies bejahte der Zeuge. Er habe Holger Härter darüber informiert, dass sich die Maple Bank mit Aktien habe eindecken müssen, da sie die an die Ladsbanki verliehenen Aktien nicht zurück bekommen würde. Das Eindecken mit neuen Aktien habe dann zwei bis drei Tage gedauert. Einfluss auf die Optionsgeschäfte mit Porsche habe dieses Wiedereindecken nicht gehabt. „Es war ein reiner Ersatzkauf unseres Hedging-Bestandes.“
Auf die Frage des Staatsanwalts, ob es vergleichbare Leihgeschäfte mit anderen Banken gegeben habe, „die Auswirkungen auf die Optionsgeschäfte hatten“, unterbrach wiederum der Richter die Vernehmung, in dem er in rauem Ton anmerkte: „Der Zeuge hatte gesagt, dass es keine Auswirkungen auf die Optionsgeschäfte hatte, Herr Staatsanwalt!“ Woraufhin dieser antwortete, dass er ja gerade das gefragt habe, ob es eben bei den anderen Banken zu Auswirkungen geführt habe. Woraufhin wiederum der Richter schroff entgegnete: „Ich möchte Sie bitten, diese Frage anders zu formulieren.“
Ein Punkt, der den Ersten Staatsanwalt offenbar so einschüchterte, dass er anstatt nach anderen Banken zu fragen, die im Zuge von Leihgeschäften von der Lehman-Krise hätten betroffen sein können, mit einer anderen Frage zu einem neuen Thema fortsetzte.
Die Zurechtweisung des junge Staatsanwalts, der unbeirrt mit seinem kleinteiligen Fragenkatalog fortfuhr, gipfelte schließlich darin, dass der Richter erneut auf einen Vorschlag der Verteidigung einging und ihm sagte, „so langsam würde ich vielleicht die Anregung von Herrn Dr. Krause aufnehmen wollen, in Abwesenheit des Zeugen, von Ihnen kurz auf die grüne Wiese geführt zu werden, was die Stoßrichtung und der Hintergrund der Staatsanwaltschaft ist.“
Der Zeuge verließ daraufhin den Saal. Und der Erste Staatsanwalt ging noch einmal auf die Anklagepunkte eins bis fünf ein, in denen es darum ging, dass Porsche eine Übernahmeabsicht zwar stets dementiert habe, es aber Indizien dafür gebe, dass dies falsch sei. Die neuen Aussagen des Zeugen Schuck könnten demnach darauf hindeuten, dass schon eine Übernameabsicht am 10. Oktober 2008 bestand.
Den Richter überzeugte das nicht. Seien es jetzt „sinkende oder steigende“ Kurse, waren die Zeugen jetzt „ergiebig oder unergiebig“, darüber herrsche kaum Klarheit. Auch auf die Aktenlage verwies er noch einmal. So habe das Oberlandesgericht Stuttgart im Hinblick auf die Stützung der Anklage „bestenfalls mit einer 50:50-Wahrscheinlichkeit beurteilt“.
Zusammenfassend heiße dies, die Aktenlage stütze die Verurteilung bestenfalls zu 50 Prozent, die Zeugenaussagen seien unergiebig. Und jetzt gehe man der Frage nach, ob aus den Options-Vereinbarungen ein Indiz geschöpft werden könne. Ob ein solches Indiz – „die Richtigkeit Ihres Indizes mal unterstellt“ – das Verfahren in der gegenwärtigen Prozesslage weiterbringe, daran äußerte der Richter Zweifel.
Weiteren Äußerungen der Verteidiger, dass die Staatsanwälte möglicherweise „mit den Herren Shorties“ zusammenarbeiteten – also den Leerverkäufern von VW-Aktien, denen aufgrund der hohe Verluste entstanden waren – mochte der Richter indes nicht folgen, was er auch deutlich kund tat. Dennoch hielt er es ein weiteres Mal für angemessen, eine außerordentliche Pause einzuberufen, da die „Emotionen kochen“.
Der Vorschlag der Kammer, den Zeugen nach der Pause direkt zu befragen, ob es im Rahmen der Optionsvereinbarungen ein Recht von Porsche auf physische Lieferung der VW-Aktien gegeben habe, wurde schließlich umgesetzt. Schuck verneinte. Auf die anschließende Frage des Staatsanwalts, ob ein Hedging-Partner der Bank Schwierigkeiten gehabt habe, seine Verpflichtungen zu erfüllen, verneinte der Zeuge ebenfalls. Auch explizit auf im Zuge der Finanzkrise in die Medien geratene Institute wie Fortis und die Commerzbank angesprochen, verneinte der Zeuge Auswirkungen auf die Hedging-Positionen und auf die Geschäfte mit Porsche.
Die Staatsanwälte hatten sich diesen Prozesstag wohl anders vorgestellt.