Großer Auflauf im Stuttgarter Landgericht. Die Hauptdarsteller tragen zwar nicht Abendkleid oder Smoking, doch ansonsten Auflauf wie bei einer Premiere des Stuttgarter Staatstheaters. Kamerateams warten vor dem Haupteingang. Ein Raunen geht durch die Reihen. „Da kommt Wiedeling“ ruft ein Kameramann, der mit Wirtschaftsthemen offenbar wenig vertraut ist. „Wiedeling“, den muss man sich merken.
Die Hauptdarsteller, die Angeklagten Dr. Wendelin Wiedeking und Holger Härter, sammeln sich vor dem Gerichtsgebäude. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft Marktmanipulation in sechs Fällen vor. Sie sollen als Vorstände des Sportwagenbauers Porsche den Kapitalmarkt bei der Übernahme des um ein Vielfaches größeren Volkswagen-Konzerns getäuscht haben. Sie leugneten die Übernahmeabsicht noch, als sich Porsche in Wahrheit schon über Derivate mehr als 75 Prozent der VW-Stammaktien gesichert hatte, sagt der Staatsanwalt.
Milliardenschwere Fonds, die Porsche auf über fünf Milliarden Schadenersatz verklagt haben behaupten sogar: Als die Banken das große Rad, das Wiedeking und Härter drehten, nach der Insolvenz der amerikanischen Lehman Bank nicht mehr finanzieren wollten, lösten die beiden Manager bewusst eine Marktpanik aus, um sich, wie weiland Münchhausen, am eigenen Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen.
Wendelin Wiedeking hinkt leicht, ein Bein zieht er nach. Etwas mopsig ist er geworden. Nur die Nadelstreifen im Anzug, den er an späteren Verhandlungstagen trägt, scheinen schmäler. Der Haarwuchs ist an manchen Stellen etwas zum Erliegen gekommen. Auch ein kleines Hörgerät klebt am Ohr.
Wer Wiedeking Anfang 2009, als er die Übernahmeschlacht eigentlich schon verloren hatte, in der Porsche-Hauptversammlung erlebte, wo er den Aktionären und der Politik noch mit dampfender Rhetorik die Welt erklärte, der erkennt den Mann kaum wieder.
Fordern lange Nächte, in denen man vielleicht bei aller Überzeugung von der eigenen Wichtigkeit gelegentlich auch über eine strenge Bestrafung, gar Gefängnis grübelt, jetzt womöglich ihren Tribut? Wiedeking scheint ein wenig nachdenklicher geworden zu sein.
Dennoch, Respekt vor den Opfern des Short Squeeze, den Porsche am Sonntag, dem 26. Oktober 2008, mit einer Pressemitteilung auslöste, oder gar eine Entschuldigung kann man heute wohl nicht von Wiedeking erwarten.
Holger Härter, der wegen Kreditbetruges im Zusammenhang mit der Porsche Übernahme schon verurteilt wurde und nun rechtskräftig vorbestraft ist, macht körperlich einen deutlich fitteren Eindruck. Doch entspannt wirkt auch er nicht. Zu gekünstelt wirkt die Fröhlichkeit, die ihm offenbar die Verteidiger oder spezialisierte Trainer verordnet haben. Mit den Anwälten, die hektisch an ihren Zigaretten saugen, scherzt Härter noch ein wenig, dann geht es los.
Im Gerichtssaal ist derweil ein Jahrmarkt der Eitelkeiten zu besichtigen.
Mehrere PR-Berater und Spin-Doktoren umgarnen die Journalisten und versuchen diesen zu erläutern, was angeblich der Prozess ergeben solle. Auch der Leiter der Porsche-Konzernkommunikation schart Journalisten um sich und spricht ernste Worte. Gebannt hängen vornehmlich Lokaljournalisten an seinen Lippen. Hier wird der Heimvorteil eingefordert.
Schon Monate vor dem Prozessauftakt war im Hintergrund an der Legende gestrickt worden, bösartige Staatsanwälte hätten sich gegen die edlen Superstars der deutschen Wirtschaft verschworen. Parallelen zwischen der angeblichen Hexenjagd auf Deutsche Bank Vorstände im Münchener Kirch-Prozess und der Anklage gegen Wiedeking wurden in diversen Publikationen gezogen. Self fulfilling prophecy, anybody?
Küsschen links, Küsschen rechts – eine Gerichtsreporterin begrüßt einen Frankfurter Anwalt im teuren Zwirn. Man kennt sich, aus vielen Prozessen. Oft sieht man sich beim anderen großen Spektakel, dem Münchener Strafprozess gegen Deutsche Bankvorstände wegen versuchten Prozessbetrugs im Falle Kirch. Auch da ist ein freundliches Verhältnis zur Presse wichtig.
Der Frankfurter Anwalt ist heute gleich mit vier hochbezahlten Kollegen seiner Sozietät angereist. Porsche zahlt alles, denn der Anwalt berät Porsche auch in zahlreichen Haftungsprozessen, wo der Verdacht des versuchten Prozessbetruges nun auch immer deutlicher in den Raum gestellt wird. Internationale Anleger aber auch die Erben des Industriellen Adolf Merckle fordern mehr als fünf Milliarden von Porsche. Bislang hat Porsche in den Verfahren zumeist gewonnen.
Doch die harten Fälle kommen erst jetzt. Ein Fall in Hannover ist nach Meinung des Gerichtes offenbar schlüssig, man ist in der Beweisaufnahme. Das ist ein Novum, die Gerichte in Stuttgart und Braunschweig hatten Klagen ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Milliardenschwere Fonds sind in Hannover und Frankfurt nun die Kläger, vor denen Porsche offenbar etwas größere Sorgen hat.
Immerhin warfen Verteidiger der Konzernmanager den Klägern vor, sie „instrumentalisierten“ die Staatsanwaltschaft. Ein merkwürdiger Vorwurf, wenn man bedenkt, dass nicht nur Staatsanwälte sondern auch das Gericht die Interessen der Opfer und Geschädigten und die Größe des Schadens berücksichtigen müssen. Die Anwälte der großen Fonds, von der Verteidigung gerne auch „Hedgies“ oder „Shorties“ genannt, lächeln darüber nur maliziös.
Die Fonds und ihre Anwälte haben keine Mühen gescheut um viel Evidenz zu sammeln, mit denen sie Porsche die Marktmanipulation nachweisen wollen. Andere Kläger konnten sich einen solchen Aufwand nicht leisten. Kleinere Privatankläger erlebten daher vor deutschen Gerichten einen kurzen Prozess. Sie mussten sich anhören, Porsche sei halt „clever“ oder gar „gerissen“ gewesen, doch für eine Verurteilung reiche dies nicht.
Zumeist hatten die Kläger das Problem, dass ihnen die Beweise fehlten. Kein Wunder, weil es in der Regel um Porsche-interne Vorgänge und Beweismaterial geht, finden sich naturgemäß die Beweise nur in den Porsche Akten oder – nach diversen Hausdurchsuchen – in den Akten der Staatsanwälte. Doch die Staatsanwaltschaft lehnte bislang die Akteneinsicht ab.
Begründung: die Marktmanipulationsnormen bezweckten nur den Schutz des Marktes, nicht aber den Schutz einzelner Anleger. Also seien die Anleger keine Verletzten im Sinne der Strafprozessordnung. Wahrscheinlich muss man Jurist sein, um dies zu verstehen. Doch auch viele Juristen rieben sich die Augen, denn es gibt einen recht klaren Präzedenzfall, den das Bundesverfassungsgericht vor langem entschieden hatte, zu Gunsten von geschädigten Anlegern.
Hinzu kommt, dass immer mehr Kartellrechtler, darunter die großen Namen der Zunft, davon ausgehen, dass Porsche mit seiner Derivatstruktur, die das Angebot an VW-Stammaktien verknappte, auch gegen deutsches und europäisches Kartellrecht verstoßen habe.
Die Anwälte, die diese These aufgestellt haben, sind auch im Saal. Auch sie im teuren Zwirn, doch im Habitus etwas entspannter als die Porsche Anwälte. Grund zur Gelassenheit haben sie spätestens seitdem die Staatsanwaltschaft noch eine sogenannte Nachtragsanklage erhoben hat, die eine wesentliche Argumentationslinie der Anwälte aufgriff.
Kurz gesagt, gehen sie davon aus, dass die Pressemitteilung, die Porsche am 26.10. 2008 veröffentlichte, falsch und irreführend war und eine Short-Squeeze-Panik auslöste, in der Porsche dann mehrere Milliarden Euro durch Auflösung von Derivaten auf VW kassieren konnte.
Deutschlands teuerste Strafverteidiger sammeln sich in den Reihen der Anklagebänke. So einen Auflauf von hoch bezahlten Anwälten sieht man selten. Daniel Krause, Eberhard Wahle und Eberhard Kempf sind gleich drei bekannte Namen, die dem zuletzt in die Kritik geratenen Neuzugang im Vorstand der Porsche SE, Manfred Döss, rechtlichen Beistand leisten. Die Angeklagten Wiedeking und Härter haben immerhin jeweils zwei eigene Topadvokaten, die Distanz bleibt auf hohem Niveau gewahrt.
Da ist Hanns Feigen, mit seinem Sozius Walter Graf vertritt er Wendelin Wiedeking. Sven Thomas und seine Sozia Anne Wehnert spreizen sich. Wehnert hatte Holger Härter bereits im Kreditbetrug-Verfahren vertreten. Dort wurde er rechtskräftig verurteilt. Wehnert rühmte sich, sie habe ihn immerhin vor dem Gefängnis bewahrt. Ob ihr das diesmal auch gelingen wird?
Etwas verloren angesichts der Heerscharen von hochbezahlten Starverteidigern wirken die beiden jungen Staatsanwälte. Wie zum Schutz haben sie ihre Notebooks vor sich aufgeklappt. Beide wirken ein wenig verschüchtert. Staatsanwalt Ambrosio dürfte Anfang 30 sein.
Er vertritt die erste Anklage. Sein etwas älterer Kollege Wagenpfeil, vielleicht Anfang 40, wird die Nachtragsanklage vortragen, auf die viele Beobachter gespannt sind und der viele eine hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit beimessen. Man wird sehen.
Eigentlich hätte auf der Bank der Staatsanwaltschaft Oberstaatsanwalt Dr. Hans Richter sitzen sollen. Hans Richter ist es zu verdanken, dass in Stuttgart viele Jahre ohne Ansehung der Person auch gegen große Namen der Wirtschaft ermittelt wurde. Ohne ihn wäre es wohl nie zur Anklage gegen Wiedeking gekommen, zu groß ist in Stuttgart die Schar der Fürsprecher in Politik und Justiz.
Mächtig sind Flurfunk und politische Hinterzimmer. Mächtig sind vor allem ehemalige Richter, die sich heute für Wirtschaftskanzleien als Gutachter verdingen und ihre Netzwerke bei Gericht nutzen. Hans Richter ließ sich davon nicht schrecken.
Durfte er deshalb die Anklage nicht mehr vertreten? Obwohl er gerne für den Prozess seine Amtszeit verlängert hätte, hat man ihn in Pension geschickt. Kurz zuvor hatte er noch die Ermittlungsverfahren gegen die Porsche Aufsichtsräte vorläufig eingestellt.
Böse Zungen stellen einen Zusammenhang her zu der Investitionsmilliarde, die Porsche zur Freude der Landesregierung in Stuttgart extra für neue Anlagen und Arbeitsplätze im Schwabenland ausgeben soll. Beobachter, die Hans Richter gut kennen, halten es für ausgeschlossen, dass er sich auf einen solchen Deal zu Gunsten des Milliardärs Wolfgang Porsche eingelassen hat.
Im Übrigen, so betont man, wurde ja auch nur vorläufig eingestellt. Wenn Wagenpfeil und Ambrosio ihre Anklagen erfolgreich durchbringen, dann könnte es auch für Wolfgang Porsche und andere Aufsichtsräte noch einmal eng werden. Jedenfalls bei der ersten Anklage, nicht jedoch bei der Nachtragsanklage betreffend den 26. Oktober 2008. Hier ist auch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Verjährung eingetreten. So ein Zufall.
Die Richter betreten den Saal, alle erheben sich. Der Vorsitzende Richter, Dr. Frank Maurer, ein adretter, jugendlich wirkender Mann mit sorgsam frisiertem Haar und intellektuellem Habitus begrüßt die Angeklagten: „Einen schönen guten Morgen, Herr Dr. Wiedeking, hallo Herr Härter.“
Haben wir das richtig gehört? Der krasse Unterschied in Tonalität und Freundlichkeit fällt einigen Beobachtern auf. Wurde hier schon das Urteil gemorst? Freispruch Wiedeking und Verurteilung Härters? Darüber wird jedenfalls in der ersten Pause eifrig spekuliert. Doch so simpel kann es nicht sein, oder? Viele Verhandlungswochen später geht jedoch einigen Beobachtern diese Episode noch einmal durch den Kopf. Nachdenklichkeit bleibt.
Nach einigen knappen Formalia gibt Wendelin Wiedeking eine Erklärung ab. Er betont die Erfolgsgeschichte, die er geschrieben habe, dass er die Porsches und Piëchs zu Milliardären gemacht habe, dass er wegen der Rivalität mit Ferdinand Piëch wirklich erst am 26. 10.2008 die Entscheidung zum Abschluss eines Beherrschungsvertrages habe fassen können. Vage bleibt er bei den Motiven für die letzte Pressemitteilung, mit der die Märkte geschockt wurden.
Warum hat man ausgerechnet an einem Sonntag die Presseerklärung veröffentlicht? Warum hat man ausdrücklich die Leerverkäufer angesprochen und ihnen empfohlen, ihre Positionen zu schließen, also VW-Aktien zu kaufen? Warum hat man die Call-Optionen offengelegt, aber die parallel verkauften Put-Optionen verschwiegen? Warum hat man dem Markt nicht mitgeteilt, dass man über 50 Prozent des Marktes gegen fallende Kurse versichert hatte?
Warum verschwieg man, dass man in den Tagen vor dem berühmten Sonntag beinahe vier Milliarden Liquidität bei margin calls eingebüßt und am Freitag 2,6 Milliarden Euro Verluste erlitten hatte? Hierzu sagt Wiedeking nichts. Er verliert ein paar Bösartigkeiten gegen die Hedgefonds, die sich verzockt hätten und betont, er sei an dem fraglichen Wochenende in Urlaub gewesen. Er habe sich von Holger Härter aber bestätigen lassen, dass die Anwälte die Pressemitteilung geprüft und für rechtmäßig befunden hätten.
Nach der Mittagspause darf auch Holger Härter eine Erklärung abgeben. Manchmal bekommen Prozessbeobachter den Eindruck, er nehme die Verantwortung auf sich und schütze Wiedeking und den Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Porsche. Doch eine Verurteilung will er offenbar auch nicht akzeptieren. Immerhin habe Porsche an dem fraglichen Sonntag noch über zwei Milliarden Liquidität verfügen können, zudem habe man die unbesicherten VW-Aktien ja als Sicherheit geben können.
Die Panik der Leerverkäufer sei für ihn sehr überraschend gekommen. Diese hätten doch ihre Positionen in aller Ruhe auflösen können. Leises Gelächter im Saal.
Wochen später:
Auftritt der Richter: der Vorsitzende der 13. Strafkammer, Frank Maurer, betritt mit seinen beiden Richterkollegen und zwei Laienrichtern den Saal. Die prall gefüllte Verteidigerbank – sie füllt mehr als drei Sitzreihen – erhebt sich, so wie auch das nur noch spärlich erschienene Publikum. Maurer begrüßt die Anwesenden und beginnt zügig mit der Abarbeitung der offenen Themen.
In den vorhergehenden Wochen war es der schon optisch dominant auftretenden Verteidigung offenkundig immer besser gelungen, Maurer und seine Kollegen für ihre Sache einzuspannen. Zu Beginn des Prozesses hatte Maurer noch ab und zu versucht, die zahlen- und ressourcenmässig hoffnungslos unterlegenen Ankläger vor dem scharfen Spott der hochbezahlten Verteidiger zu schützen.
In den letzten Prozesswochen jedoch passierte das immer weniger: Maurer und seine Kollegen reichen den Druck, den die Topverteidiger im Prozess gerne ausübten, unelastisch an die Staatsanwälte durch.
Man kann Maurer verstehen: Die wortgewaltig und druckvoll auftretenden Topadvokaten der Angeklagten, die ihre Prozessgegner gerne bloßstellen und zuweilen sogar glatt auslachen, verstehen wenig Spaß und lassen den Richtern wenig Raum, die Aufklärung des für die Angeklagten verhängnisvollen Sachverhalts konsequent zu betreiben.
Besonders eindrucksvoll war dies im Fall des ehemaligen Strategiechefs von Wendelin Wiedeking, der, wie ein LKA-Beamter aussagte, anlässlich seines Ausscheidens im Jahr 2009 für sein Stillschweigen fünf Millionen Euro verlangt hatte und dann auch einen Beratervertrag bekam. Das Gericht wagte keine kritischen Nachfragen zu diesem Sachverhalt und ließ den Zeugen stattdessen in Erinnerungslücken schwelgen.
Der Eindruck drängt sich auf: Alle die Angeklagten belastende Evidenz wird von der im Saal anwesenden Öffentlichkeit konsequent ferngehalten. Insbesondere den Klägeranwälten im Publikum soll keine Evidenz geliefert werden. So liest man offenbar besonders belastende Dokumente den Zeugen nicht vor, sondern lässt die Zeugen zur Richterbank vortreten, wo sie das Dokument vor ihrer Aussage studieren sollen.
Manchmal lässt es sich aber nicht vermeiden, dass delikate Details doch öffentlich werden. So konnte man einer Aussage entnehmen, dass der Angeklagte Härter wohl über getarnte Email kommunizierte, die Staatsanwaltschaft aber dennoch sehr viel rekonstruieren konnte.
Das allmählich konditioniert wirkende Verhalten des Gerichts scheint kein Zufall: die Strategen der Porsche SE überlassen anscheinend weder das Prozessgeschehen noch das psychologische Handling der Juristen dem Zufall. Eine Choreographie unter den Anwälten wird erkennbar: der eine charmiert die Berichterstatterin, die nach den ersten Tagen nun zur Begrüßung auch immer die Verteidigerbank anlächelt.
Ein anderer hat die Rolle des Polterers übernommen, der dem Vorsitzenden gerne ins Wort fällt und pathetische Bemerkungen macht, die seine Seniorität betonen sollen. Alle Verteidiger überbieten sich mit Bosheiten gegenüber der Staatsanwaltschaft und unterstellen dieser faktisch Unfähigkeit.
Wäre ein erfahrenerer Senat diesem Ungleichgewicht besser Herr geworden? Der Prozess ist von Woche zu Woche mehr zu einer Werbeveranstaltung für die selbstbewussten Advokaten der Verteidigung geworden. Die intellektuelle Lufthoheit im Verhandlungssaal jedenfalls konnten ihnen trotz vereinzelter Bemühungen weder Richter Maurer noch seine Kollegen streitig machen. Ganz zu schweigen von den Staatsanwälten.
Die Staatsanwaltschaft hat in den vergangenen Verhandlungswochen nur wenige Punkte gemacht. Die ersten Zeugen, zwei LKA-Beamte, bestätigten die wesentlichen Eckpunkte der Anklagen, doch danach wurde es schwierig für die Staatsanwälte. Zeuge um Zeuge aus dem Porsche Lager, ehemalige Mitarbeiter, Berater oder Banker konnten sich an Belastendes kaum erinnern.
Auffällig war jedoch, dass sich viele Mitarbeiter daran erinnern konnten, wie „tiefenentspannt“ sie am Wochenende des 26.10.2008 gewesen seien. In brisante Themen wie die Liquiditätslage und Probleme mit den Derivaten habe Holger Härter niemanden reinschauen lassen.
Wenig hilfreich war für die Staatsanwaltschaft auch der Auftritt eines Hohenheimer Professors, der als Gutachter zur Kursbeeinflussung diverser Porsche Pressemitteilungen Stellung nehmen sollte. Er machte Ausführungen, die zahlreiche Finanz- und Derivateprofis im Saal von Minute zu Minute fassungsloser werden ließen. Die Ausführungen des Hochschullehrers wirkten über weite Strecken beinahe wie von der Verteidigung bestellt.
Zu den fünf ersten Pressemitteilungen, die Gegenstand der ersten Anklage sind, vermochte er keine Kursbeeinflussungswirkung feststellen. Jedenfalls nicht in den ersten 15 Minuten nach Handelsbeginn, die nach seiner Auffassung für sein „ökonometrisches“ Modell besonders aussagekräftig seien. Allerdings muss sich das Gericht die Frage gefallen lassen, ob es den Gutachter nicht schlicht mit der falschen Fragestellung in die Irre geführt hat.
Bei Pressemitteilungen, die jedenfalls nach der Anklage dämpfende Wirkung auf die Kursentwicklung haben sollten, wird man, jedenfalls bei erfolgreicher Marktmanipulation, nach ihrer Veröffentlichung gerade keine Kursausschläge sehen. Hat das Gericht diesen Mechanismus nicht verstanden?
In Journalistenkreisen kursiert mittlerweile ein „Gegengutachten“, das der Lehrstuhlvorgänger des Gutachters für Zivilkläger erstellt hat. Er wirft dem vom Gericht beauftragten Gutachter grobe handwerkliche Schnitzer vor. Er hält aber auch fest, dass sogar nach dem Gerichtsgutachten jedenfalls die Kursbeeinflussung durch die Pressemitteilung vom 26.10.2008 feststehe.
Bei den Vernehmungen ließ die Staatsanwaltschaft nach dem Eindruck von Klägeranwälten, die sogar einen renommierten Strafrechtsprofessor hinzugezogen haben, ein ums andere Mal Elfmeter ohne Torwart unverwandelt. Sich aufdrängende Fragen wurden gerade den ehemaligen Mitarbeitern Härters und Wiedekings nicht gestellt.
Fragen nach der Liquidität, Risiken aus den 50 Prozent Put-Optionen, verfallender Wert der Call-Optionen, Abschreibungsbedarf für VW-Aktien bei weiter fallenden Kursen, VaR-Risiken etc., stellt die Staatsanwaltschaft nicht. Auch die Maple Banker fasst man mit Glace-Handschuhen an. Warum eigentlich?
Bei der Vernehmung von zwei Anwälten, die Wiedeking und Härter bei der VW-Übernahme beraten hatten, punktete das Gericht für die Staatsanwaltschaft. Richter Maurer und seine Berichterstatterin befragten die Herren hochnotpeinlich zu den Projekten „Shuffle“ und „Blitz“. Hier hätten die Staatsanwälte weiter bohren können, doch sie taten es nicht. Erstaunlich.
Eine Email eines Anwaltes an Holger Härter kam zur Sprache, mit der er am frühen Morgen des 26.10.2008 anregte, die beabsichtigte Einwirkung auf die Leerverkäufer durch die Meldung des nun angeblich beschlossenen Beherrschungsvertrages zu „überdecken“.
Auch hier ließen die Staatsanwälte viele Gelegenheiten aus, den Sachverhalt aufzuklären. Warum wurde nicht nach der Einbindung Wolfgang Porsches und seines engsten Beraters Günther Horvath gefragt? Warum wurden nicht die Mitarbeiter der Investmentbank Merrill Lynch zu den Ereignissen um den 26. 10.2008 befragt? Warum wurde nicht nach den Architekten des Derivatesystems gefragt?
Warum hat die Staatsanwaltschaft keinen Derivate-Experten beauftragt, die Risiken und absehbare Verluste aus den VW-Derivaten zu berechnen, die Porsche am 27.10.2008 möglicherweise in den Abgrund gerissen hätten, wenn nicht die durch die Pressemitteilung in Panik versetzten Leerverkäufer den VW-Kurs hochgetrieben hätten?
Darf die Staatsanwaltschaft sich wirklich darauf verlassen, dass das Gericht aufgrund der dokumentarischen Evidenz ohnehin verurteilen muss? Für den einfachen Beobachter ist dies schwer zu entscheiden, da die dokumentarische Evidenz nur durch eine so genannte Selbstleseverfügung in den Prozess eingeführt wurde. Nur Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung lesen im stillen Kämmerlein. Für die Öffentlichkeit bleiben somit viele Beweismittel verborgen.
Man kann nur mutmaßen, was an Beweisen in den Hunderten von Dokumenten schlummert, die Polizei und Staatsanwaltschaft zusammengetragen haben. Insbesondere eine Hausdurchsuchung bei einem Mitarbeiter Wiedekings soll sehr ergiebig gewesen sein. So heißt es. Gerne hätte die Öffentlichkeit mehr erfahren. Strafverfahren gegen Kassiererinnen, die Wertmarken für wenige Euro unterschlagen, verlaufen transparenter in Deutschland.
Die Verteidigung hat viele Punkte gemacht. Ob es für einen vollen Freispruch für beide Angeklagten reicht, wird man sehen. Das Gericht wurde jedenfalls psychologisch klug eingewickelt. Wiederholt wiesen die Verteidiger darauf hin, dass die Kammer die erste Anklage ja gar nicht zugelassen habe und erst das OLG die Anklage mit der Theorie der „verdecken Beschlusslage“ erzwungen habe.
Die Anspielungen auf diese Schlappe der Kammer quittierte der Vorsitzende häufig durch eine leicht gequälte Mimik. Wie Balsam auf seine Seele wirkten dann die Attacken auf die Staatsanwaltschaft, die, so ein Verteidiger, die Hypothese von der verdeckten Beschlusslage ja angeblich auch aufgegeben habe und nunmehr schon die angeblich „vierte Verdachtshypothese“ bemühe.
An einem der letzten Verhandlungstage konnte es sich dann auch der Vorsitzende Richter nicht verkneifen, einen Seitenhieb auf das OLG zu machen, als er spitz formulierte „sogar das OLG hat bestenfalls…“
Hätte das OLG Stuttgart den Fall besser einer anderen Kammer des Landgerichts zuweisen sollen? Dass diese Kammer wegen der ersten Anklage verurteilt und damit die eigene peinliche erste Schlappe bestätigt, damit rechnet nun unter den Beobachtern kaum jemand mehr. Dies ist umso überraschender, als im Laufe der Beweisaufnahme viele Anhaltspunkte für eine verdeckte Beschlusslage zu Tage gefördert wurden. Einige Klägeranwälte meinen, dass eine Verurteilung jedenfalls für die späteren Pressemitteilungen nach dem 23.07.2008 sogar zwingend sei.
Das Gericht scheint aber, wenn man die Andeutungen richtig interpretiert, der Verteidigung zu folgen und tatsächlich anzunehmen, dass es auf die verspätete förmliche Beschlussfassung des Aufsichtsrates am 20.10 sowie des Vorstands ankomme.
Nicht hingegen auf die Festlegungen des faktischen Entscheidungsorgans Gesellschafterausschuss, der nach Konsultation mit dem Vorstand jeweils bindend Entscheidungen traf und die Abstimmung im Aufsichtsrat festlegte. Dann käme man wirklich zu dem Ergebnis, dass der Porsche Vorstand erst am Sonntag dem 26. 10.2008 bzw. wie sich nach der Beweisaufnahme aufdrängt, sogar erst am 29.10.2008 etwas zu beabsichtigen beschlossen hat, was er schon Monate vorher wirtschaftlich vollständig umgesetzt hat.
Wird das in der nächsten Instanz halten?
Das Gericht will nun schnell zu einem Ende kommen. Das merkt man insbesondere in der letzten Verhandlung vor Weihnachten. Bloß keine weiteren Beweisanträge, bloß keine neuen Zeugen. Kaum verbergen kann das Gericht die Verärgerung über die Staatsanwaltschaft, die zwei Wochen zuvor mit einem Beweisantrag das Gericht und auch viele Prozessbeobachter irritiert hatte.
Nach der für Wiedeking und Härter sehr hilfreichen Aussage eines Maple Bankers, der mit Härter und Wiedeking im Oktober 2008 engsten Kontakt hatte, verstieg sich die Staatsanwaltschaft zu der Hypothese, dass vielleicht auch Schwierigkeiten der Maple Bank die Pressemitteilung vom 26.10.2008 motiviert haben könnten. Ein entsprechender Beweisantrag der Staatsanwaltschaft gab zwar die bisherige Hypothese der Sorge vor weiter fallenden Kurse nicht auf, wollte aber regulatorische Schwierigkeiten der Maple Bank bei steigenden Kursen zusätzlich beleuchtet sehen.
Das Gericht war perplex und fragte mehrfach verunsichert bei Staatsanwalt Wagenpfeil nach, welche Hypothese denn nun gelte. Dieser verhaspelte sich mehrfach und konnte nicht überzeugend begründen, wozu er denn diese Thematik zusätzlich zu der eigentlich überzeugenden Verdachtshypothese brauchte.
Erst am folgenden Verhandlungstag fasste er wieder etwas Tritt und bestätigte, dass es selbstverständlich bei der ursprünglichen Verdachtshypothese der Nachtragsanklage bleibe, also der Verhinderung für Porsche existenzbedrohender weiterer Kursverluste durch Provokation einer Short-Squeeze-Panik.
Für die Verteidigung war dieser Unfall der Staatsanwaltschaft ein ganz besonderes vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Genüsslich führte man die Staatsanwaltschaft vor und warf ihr mehr oder weniger offen Unfähigkeit und Dilettantismus vor.
Die Hoffnung verstärkte sich, dass ein offensichtlich verärgertes Gericht nun auch über die zuvor festgestellte Evidenz hinwegsehen würde. Freispruch für Wiedeking, die Parole machte unter Journalisten die Runde, befeuert von diversen PR-Beratern die emsig telefonierten und die letzten Beobachter vor Ort mit ernstem Gesicht belehrten, dass Wendelin Wiedeking nun freizusprechen sei und die Belästigung durch die Staatsanwaltschaft unerträglich sei. Angebliche Parallelen zum Münchener Prozess wurden eifrig aufgezeigt. Bislang schluckte kein Kollege den Köder, so simpel ist es denn wohl doch nicht.
Freispruch für Wiedeking? Kann das sein? Wiedeking hat das Gericht wissen lassen, dass er für eine Verurteilung nicht zur Verfügung stehe, da er zum Tatzeitpunkt ja im schönen Österreich geurlaubt habe. Im Übrigen habe er die Österreicher Porsche und Piëch zu mehrfachen Milliardären und den Großraum Stuttgart wohlhabend gemacht. So gesehen wird ihm wohl auch die kurz vor Prozessbeginn von seinem alten Arbeitgeber den Stuttgarter Institutionen versprochene Investitionsmilliarde gutzubringen sein.
Am 18. Februar 2016 plädiert die Staatsanwaltschaft. Wird sie noch einmal falsch abbiegen? Wird sie, wie einige PR-Berater soufflieren, sogar hinsichtlich der ersten Anklage auf Freispruch plädieren? Oder wird sie zur Abwechslung einmal Elfmeter verwerten? Man darf gespannt sein.
Ein Freispruch für Wiedeking steht, wenn man die Andeutungen des Gerichtes nicht missversteht, vielleicht wirklich zu erwarten, auch wenn viele Fachbeobachter dies für einen Skandal hielten.
Für Holger Härter hingegen könnte es eng werden. Dass er die Leerverkäufer durch die Pressemitteilung vom 26.10.2008 loswerden wollte, hat er selbst eingeräumt, wie die Staatsanwaltschaft betonte. Die angeblich noch verfügbare Milliardenliquidität waren wohl überwiegend Betriebsmittelkredite für die Autoproduktion und einer Verpfändung der VW-Aktien stand ein vertragliches Verpfändungsverbot entgegen.
Die Verteidigung steht hier auf schwankendem Boden. Angesichts der Verurteilung wegen Kreditbetruges ist auch eine Gefängnisstrafe für Holger Härter nicht ausgeschlossen.
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