Der Stuttgarter Strafprozess gegen Wendelin Wiedeking und Holger Härter neigt sich seinem Ende zu. Heute plädiert die Verteidigung, am kommenden Freitag, dem 18. März 2016, will die 13. Strafkammer unter Vorsitz von Richter Frank Maurer ihr Urteil verkünden.
Die Staatsanwaltschaft hat zweieinhalb Jahre Haft für Wiedeking, drei Monate weniger für den bereits wegen Kreditbetruges vorbestraften Härter und eine Geldstrafe von rund 807 Millionen Euro für die Nebenbeteiligte Porsche SE beantragt. Die Verteidigung von Wiedeking wird wohl auf Freispruch plädieren, jedenfalls hat sie einen solchen Freispruch seit Wochen prognostiziert.
Von manchen Spin-Doktoren und PR-Beratern wurde ziemlich offensichtlich der Versuch unternommen, einen Freispruch, jedenfalls für Wiedeking, herbeischreiben zu lassen. Ob dieser Versuch erfolgreich sein wird? Man wird sehen.
Nach den Plädoyers des Ersten Staatsanwalts Wagenpfeil sind vielen Beobachtern Zweifel an der Unschuld der Angeklagten gekommen. Zu evident ist, dass es den Wiedeking und Härter bei der Pressemitteilung vom 26. Oktober 2008 jedenfalls nicht um das Beste der Short Seller gegangen sein kann, also Investoren, die auf einen fallenden Kurs der VW-Aktie gesetzt hatten. Short Seller, für die die Angeklagten und ihre Verteidigung sonst offenbar nur wenig übrig haben.
Deutlich naheliegender erscheint den Gegnern der Freispruch-Forderung, dass die einstigen Porsche-Granden sich mit dieser Pressemitteilung seinerzeit selbst helfen und steigende Kurse provozieren wollten, um aus der selbst gestellten Derivatefalle noch herauszukommen.
Immerhin hat die Staatsanwaltschaft unter Beweis gestellt, dass Porsche in den Tagen vor der Pressemitteilung beinahe vier Milliarden Euro Liquidität als Sicherheit an ihren Derivatepartner, die mittlerweile insolvente und durch cum-ex-Geschäfte zu noch fragwürdigerem Ruhm gelangte Maple Bank überweisen musste. Porsche hatte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft am 26. Oktober 2008 kaum mehr Liquidität übrig.
Ein Experte hat in einem dem Gericht überreichten Gutachten ausgerechnet, dass Porsche schon am nächsten Handelstag mit hoher Wahrscheinlichkeit insolvent gewesen wäre.
Porsche musste, wie die Staatsanwaltschaft vorgerechnet hat, Verluste in Milliardenhöhe aufgrund seiner Derivate hinnehmen. Dem Kapitalmarkt hat der Konzern diese Verluste nicht gemeldet. Auch der Bafin wohl nicht, zu deren damaligen Executivdirektor Caspari die Stuttgarter Sportwagenbauer, wie die Beweisaufnahme ergab, ansonsten ein enges Verhältnis pflegte.
Auch die Tatsache, dass man über Put-Optionen mehr als die Hälfte des Marktes in VW-Stammaktien gegen fallende Kurse versichert hatte, verschwiegen sie. Stattdessen meldete man nur Call-Optionen und tat so, als ob man VW ohne Probleme übernehmen könne und sich schon den Zugriff auf 74,1 Prozent der Aktien gesichert habe.
Berücksichtigt man die 20 Prozent, die Niedersachsen hielt, dann war, glaubte man der Porsche Pressemitteilung, der free float auf weniger als 6 Prozent geschrumpft.
Kein Wunder, dass Short Seller, die, wie Porsche wusste, über 10 Prozent leer verkauft hatten, in Panik gerieten. Der Rest ist Geschichte: die VW-Aktie stieg irrsinnig auf über 1000 Euro, VW war (kurzzeitig) das wertvollste Unternehmen des Planeten. Porsche konnte einige Derivate auflösen und mehrere Milliarden Liquidität in die eigenen Kassen leiten.
Der größte Short Squeeze der Wirtschaftsgeschichte – ein Unfall?
Internationale Beobachter sprechen schon lange von einem „Pump and dump“-Short Squeeze. In einigen Lehrbüchern gilt der Porsche VW-Fall bereits als Klassiker. Auch in Deutschland sprachen im Jahre 2008 Marktkenner wie der DWS-Chef Kaldemorgen sofort von offensichtlicher Marktmanipulation. Dennoch behauptet die Verteidigung von Wendelin Wiedeking natürlich, eine Manipulationsabsicht habe nicht vorgelegen.
Im Übrigen sei ihr Mandant ja im Urlaub gewesen und habe sich auf seinen Finanzvorstand Härter und die Rechtsberater der Anwaltskanzlei Freshfields verlassen.
War der größte Short Squeeze der Wirtschaftsgeschichte tatsächlich ein Unfall? Internationale Beobachter können über die Argumentation der Verteidigung nur müde lächeln. In den USA oder England, wo die Gerichte mehr Erfahrung mit dem Kapitalmarkt haben, hätte sich eine Verteidigung eine solche Argumentation wohl nicht getraut, sagen sie.
Auch einige Zeugen hätten in einem englischen oder amerikanischen Prozess möglicherweise anders ausgesagt. Klare und ausführliche Aussagen kamen nur von zwei LKA-Mitarbeitern. Bei den Zeugen aus dem Lager Porsches, ehemaligen Mitarbeitern der Angeklagten, Rechtsberatern und Bankern, gab es jedoch erstaunliche Erinnerungslücken. Eigentlich konnten sie sich nur an Entlastendes erinnern, naheliegende Belastungsumstände wurden umschifft.
Ein Zeuge erinnerte sich, er sei an dem Wochenende „tiefenentspannt“ gewesen. Das Gericht ließ die Zeugen weitgehend gewähren, kein Nachbohren, keine Vereidigung. Ein Zeuge sagte nach seiner Vernehmung, der Vorsitzende Richter sei ein Geschenk Gottes. Ober der sich über dieses Kompliment wirklich freuen kann?
Einige Merkwürdigkeiten muss sich das Gericht ankreiden lassen:
Der Zeuge Dr. H. soll nach der Aussage eines LKA-Mitarbeiters fünf Millionen Euro für Stillschweigen gefordert haben. Er soll dann einen Beratervertrag bekommen haben. Fragt das Gericht den Zeugen Dr. H. nach diesem höchst ungewöhnlichen Umstand? Leider nicht. Stattdessen lässt man diesen Zeugen wie auch viele andere Zeugen danach selig in Erinnerungslücken schwelgen.
Als der Zeuge Dr. von B. ein wenig ins rhetorische Straucheln kommt, hilft ihm die Berichterstatterin gerne auf die Sprünge. Dass sie dabei geschickt von einer potentiellen Belastung wegleitet, dies fällt nur wenigen Beobachtern im Saal auf.
Ein Zeuge von einer begleitenden Bank soll nach Auffassung von Prozessbeobachtern einfach gelogen haben, er hätte sonst wohl Wiedeking belasten müssen. Ein anderer Zeuge, der die Lüge angeblich hätte aufdecken können, wurde vorsichtshalber gar nicht vom Gericht geladen.
Kein Wunder, dass in der FAZ von Gerüchten zu lesen war, dass die Politik die Stuttgarter Justiz ausbremse. Details konnte man vor der Landtagswahl noch unter der Decke halten. Wer steht hier auf dem Schlauch?
Egal, was die Kammer am Freitag entscheidet, der Fall wird zum Bundesgerichtshof gehen. Beide Seiten haben schon durchblicken lassen, dass sie Revision einlegen, wenn das Gericht ihnen nicht folgt.
Sie sind Anleger? Sie haben Fragen? Sie haben Anmerkungen?
Debattieren Sie hier über den Porsche-Prozess.