Überraschend kommt diese Ankündigung nicht, und doch schlägt sie am Sonntag, den 7. Juni 2015, wie eine Bombe ein: Das zuletzt heftig kritisierte Führungs-Duo der Deutschen Bank, Anshu Jain und Jürgen Fitschen, tritt zurück. Neuer Chef des bedeutendsten hiesigen Geldhauses wird der Brite John Cryan. Er hatte den Schweizer Konkurrenten UBS einst als Finanzchef durch die Finanzkrise geführt.
Cyran kennt die Deutsche Bank als Aufsichtsrat recht gut; er sitzt dem Prüfungsausschuss des Kreditinstituts vor und ist überdies Mitglied des Risikoausschusses.
Jain wird der Pressemeldung des Aufsichtsrats zufolge schon im Juni 2015 gehen. Fitschen dagegen soll bis zur Hauptversammlung im Mai 2016 bleiben und für einen geordneten Übergang an der Spitze der Bank sorgen. Cryan wird aber schon zum 1. Juli 2015 als Nachfolger von Anshu Jain antreten.
Dass es so kommen könnte, hatten Beobachter bereits geahnt.
Die Nachrichtenlage der vergangenen Wochen hat diese drastische Personalie an der Spitze von Deutschlands größter Bank vielleicht sogar nahegelegt. Denn auf der Hauptversammlung im vergangenen Monat, im Mai 2015, wurden die bisherigen Co-Chefs Jain und Fitschen von teils aufgebrachten Aktionären hart angegangen. Die Stimmung zeigte sich schließlich deutlich in der Abstimmung über die Führungsetage der Bank: Der Vorstand wurde nur mit 61 Prozent der Stimmen entlastet. Ein deutlich schlechterer Vertrauensbeweis also, als das 91-Prozent-Votum der Anteilseigner für den Aufsichtsrat des Geldhauses.
Die anhaltenden Probleme der Bank spiegeln sich auch im Aktienkurs. Zwar stieg der in den ersten fünf Monaten 2015 um knapp über 9 Prozent, weil Hoffnungen auf die neue Strategie unter den Aktionären für ein bisschen Phantasie sorgte. Doch daran, dass Jain und Fitschen den Vorschusslorbeer der Aktionäre verdienen würden, nagten zuletzt immer mehr Zweifel.
Am 5. Juni 2015 notierte der Aktienkurs der Deutschen Bank dann auch im Zweijahresvergleich noch immer 20 Prozent niedriger als im Jahr 2013. Und gemessen an den vergangenen fünf Jahren dümpelt der Aktienkurs der Deutschen Bank in etwa auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2010 vor sich hin, während die Kurse der anderen Aktien aus Deutschlands wichtigstem Aktienindex Dax sich in dieser Zeit im Schnitt fast verdoppelt haben.
Die Ablösung des bisherigen Führungs-Duos der Deutschen Bank kann Beobachtern zufolge auch eine Reaktion auf die langwierigen, kostspieligen und für das Image der Bank schädlichen Rechtsstreitigkeiten gesehen werden. Noch auf der Hauptversammlung im Mai 2015 sagte Jain, dass sich die Beilegung der Rechtsstreitigkeiten als „langwieriger und viel kostspieliger“ erwiesen habe als erwartet. In der Tat: Nur zwei Tage vor dem heutigen Beschluss des Aufsichtsrats, sich von Jain und Fitschen zu trennen, wurde womöglich die nächste Marke in dieser Skandalserie erreicht.
Das Kreditinstitut soll auch noch bei der Geldwäsche von sechs Milliarden Dollar in Russland geholfen haben, so der Vorwurf. Die Deutsche Bank hat Händler in Moskau zumindest vorübergehend suspendiert.
Damit war klar: Die beiden Co-Chefs Jain und Fitschen konnten nicht mehr glaubwürdig für die drastische Zäsur stehen, die die Bank im Mai 2015 nach monatelangem internen Ringen als „Strategie 2020“ angekündigt hat: Der längst verkündete Kulturwandel sollte fortgeführt und das skandalgeschüttelte Geldhaus so auf Kurs gebracht werden, zudem würden nun bis zum Jahr 2017 etwa 200 Filialen geschlossen, also gemessen an der aktuellen Zahl etwa jede dritte. Hinzu komme der Verkauf der Postbank.
Die hat gerade im Mai berichtet, im ersten Quartal 2015 zwar ein auf 135 Millionen (Vorjahr: 140) Millionen Euro geschrumpftes Vorsteuerergebnis erwirtschaftet zu haben. Doch das habe vor allem daran gelegen, dass im ersten Quartal 2015 bereits die gesamte europäische Bankenabgabe für das Jahr 2015 verbucht worden sei – anders, als es im Jahr 2014 mit der Abgabe für das Vorjahr gemacht worden war. Das eigentliche Geschäft mit privaten Baufinanzierungen und Firmenkrediten dagegen brumme.
Damit allerdings ist die angekündigte Neuausrichtung der Deutschen Bank nicht abgeschlossen. Das bedeutendste hiesige Geldhaus will sich nicht nur von der Postbank trennen und 200 Filialen schließen, sondern auch aus den meisten Auslandsmärkten zurückziehen – und sich damit von Millionen Kunden trennen.
Eine derart drastische Neuausrichtung wollten Aktionäre und Aufsichtsrat dem bisherigen Führungsduo Jain-Fitschen nach der jüngsten Skandalserie offenbar nicht mehr zutrauen; Jain hätte sich darum insbesondere kümmern sollen. „Um die großen Herausforderungen der Bank in den Griff zu bekommen, war ein wirklicher Neuanfang unausweichlich“, sagte Hans-Christoph Hirt vom britischen Aktionärsberater Hermes gegenüber Spiegel Online.
Der neue Chef John Cryan bringt nun neben seinem guten Einblick in die Deutsche Bank auch erhebliche internationale Erfahrung mit. Die hat er in Südostasien, Toronto, Tokio und London gesammelt, zuletzt bei Singapurs Staatsfonds Temasek, der in ganz Asien mit strategischen Investments stark engagiert ist.
Cryan gehört dem Aufsichtsgremium der Deutschen Bank seit 2013 an. Das Mandat wird er bei Amtsantritt als Co-Vorstandsvorsitzender am 1. Juli 2015 niederlegen.
Der Abgang des bisherigen Führungs-Duos Jain und Fitschen lief am Sonntag nach außen hin dann etwas chaotisch. Nachdem die Deutsche Bank am frühen Nachmittag noch die Vorabmeldung des Wall Street Journal zu dem drastischen Schritt dementiert hatte, gab der Aufsichtsrat nach seiner kurzfristig einberufenen Sondersitzung um kurz nach 15 Uhr den Schritt dann doch bekannt.
Aufsichtsratschef Paul Achleitner spricht in der Meldung Jain und Fitschen seine Anerkennung aus: „Ihre Entscheidung, ihr Amt früher als geplant niederzulegen, zeigt auf eine beeindruckende Weise ihre Einstellung, die Interessen der Bank vor ihre eigenen zu stellen.“
Für Jain, der sich zuerst verabschiedet, gab es folgendes Lob: „Über die vergangenen beiden Jahrzehnte hinweg hat Anshu Jain einen wichtigen Beitrag geleistet, viele der führenden Geschäftszweige der Bank zu begründen und auszubauen. Ohne seine Leistung hätte die Bank ihre weltweite Führungsposition heute nicht inne oder könnte sie nicht aufrechterhalten.“
Der neue Co-Chef und bald alleinige Firmenlenker Cryan nutzte in der Pressemeldung der Bank die Gelegenheit zu Protokoll zu geben, für wie ernst er die Situation der Bank hält und wie wichtig es jetzt sei, den neuen Kurs strikt einzuschlagen: „Unsere Zukunft hängt davon ab, wie gut wir unsere Strategie umsetzen, unsere Kunden überzeugen und die Komplexität reduzieren.“
In Investorenkreisen quittierte man die Entscheidung zum Wechsel an der Bankspitze gelassen. „Der Aufsichtsrat zieht die Konsequenzen aus dem Abstimmungsdesaster auf der Hauptversammlung, die Entscheidung für John Cyran kommt nicht überraschend“, zitiert Focus Online den Union-Investment-Fondsmanager Ingo Speich.