Auf sieben Etagen wurde gearbeitet. Parallel. Bis zu 1000 Mann in einem Turm, alle unter Zeitdruck, Monate lang. Mittlerweile läuft der Bau von ThyssenKrupp im vollen Einsatz. Kostenpunkt: wenigstens 200 Millionen Euro.
Der Ruhrgebietskonzern hat mit diesem Aufwand nicht etwa einen dieser schillernden Wolkenkratzer in Arabien hochgezogen, auf sieben Etagen gleichzeitig, sondern seinen Duisburger Stahlofen Schwelgern II auf Vordermann gebracht. Es ist der mächtigste Stahlofen Europas, einer der zehn größten weltweit.
Jetzt ist er runderneuert, hat gleich eine erneuerte Stranggussanlage mitbekommen und dampft wieder.
Der Ofen Schwelgern II hat damit deutlichen Anteil an der hohen Stahlproduktion in Deutschland in der ersten Jahreshälfte 2015. Allein im Juli 2015 erschmolzen die Hütten hierzulande insgesamt 3,6 Millionen Tonnen Rohstahl, wie die Wirtschaftsvereinigung Stahl am 11. August 2015 berichtet hat. Das seien 4,7 Prozent mehr als in der gleichen Vorjahresperiode gewesen.
Ob in dem fast 90 Meter hohen Duisburger Ofenturm allerdings künftig unter Volllast Stahl geschmolzen wird? Die Branche weltweit gerät ausgerechnet unter Druck, nachdem ThyssenKrupp viel Geld in Duisburg investiert hat, in Europas größter Stahlstadt. Und der Druck kommt aus China.
Grund für die Sorge, die Stahlmanager von Deutschland bis Japan umtreibt: Chinas Regierung hat die Landeswährung Yan zwischen dem 11. und 13. August 2015 in drei Schritten um insgesamt 4,6 Prozent abgewertet. Und das macht China-Stahl im globalen Wettbewerb noch günstiger.
„Die Sorge ist groß, dass der japanische Markt angesichts des schwachen Yuan von Importen aus China beeinträchtigt wird“, zitiert n24 Tatsuro Kanno, Manager des japanischen Unternehmens Kobe Steel; Japan gilt mit einer Produktion von rund 110 Millionen Tonnen Stahl im Jahr als der weltweit zweitgrößte Stahlkocher, Deutschland als Nummer sechs der Welt.
Dabei sind Chinas Stahlkocher schon seit Jahren nicht nur Preisbrecher, die Europas Stahlöfen in die Bredouille bringen. Sie haben auch eine Größenordnung erreicht, die Branchenexperten Schlimmes befürchten lässt: China sitzt laut der europäischen Stahlvereinigung Eurofer derzeit auf 340 Millionen Tonnen überschüssiger Stahlkapazität.
Das ist doppelt so viel, wie die gesamte jährliche Stahlnachfrage in der Europäischen Union (EU). – Vorerst.
Höre die Baubranche im Reich der Mitte wegen des dort mittlerweile schwachen Immobilienmarktes auf zu wachsen, stiege die brachliegende Stahlkapazität Chinas auf mehr als 400 Millionen Tonnen an. Das wäre dann fast das Vierfache der japanischen Jahresproduktion, um die sich Tatsuro Kanno schon jetzt sorgt. Offenbar nicht zu Unrecht.
Nach Angaben der deutschen Wirtschaftsvereinigung Stahl ist die Ausfuhr des China-Stahls nach Europa allein in der ersten Jahreshälfte 2015 um 28 Prozent verglichen mit dem gleichen Vorjahreszeitraum gestiegen, und der Ausblick dürfte die Stimmung bei Deutschlands Stahlkochern nicht heben.
Nach Chinas Bauwirtschaft droht auch der zweite große Stahlkäufer der dortigen Montanbranche zu schrumpfen, die Autoindustrie: BMW und Volkswagen / Audi haben im Juli dieses Jahres 2015 in China schon Verkaufsrückgänge zwischen 7,6 Prozent und 12,5 Prozent verglichen mit dem Juli 2014 hinnehmen müssen, berichteten die Autobauer Mitte August 2015 selbst.
„In den nächsten Monaten steht im Autogeschäft in China Konsolidierung im Mittelpunkt. Wie lange die Schwächeperiode anhält, ist schwer zu sagen“, kommentiert Professor Ferdinand Dudenhöffer vom Center for Automotive Research der Universität Duisburg-Essen gegenüber der Zeitschrift Aktionär.
Umso mehr dürften Chinas Stahlkocher nun nach Ersatzorders für die sinkenden inländischen Stahlverkäufe an die Autobauer in China suchen. Und das wohl nicht zuletzt außerhalb der eigenen Landesgrenzen.
In der Managementetage deutscher Stahlkonzerne scheint man die Lage jedoch entspannter zu beurteilen als bei den Verbänden. Beim Industriekonzern ThyssenKrupp etwa beschwichtigt Finanzchef Guido Kerkhoff mit Blick auf die Konjunktur und die Lage in China, „wir sollten nicht in Hektik verfallen.“
Zwar kühle sich Chinas Automarkt etwas ab. Doch ThyssenKrupp gleiche das Minus daraus durch den florierenden Absatz von Windkraftanlagen aus, für die der Ruhr-Konzern Komponenten liefert. Zudem erziele das Dax-Unternehmen in der Volksrepublik direkt lediglich 6 Prozent seiner Verkaufserlöse.
Das spiegelt sich auch aktuell noch in den Bilanzen von ThyssenKrupp wider. Im dritten Finanzquartal bis Juni 2015 meldete der Konzern am 13. August 2015 einen Gewinnsprung. Im Gesamtjahr könne der um Sondereffekte bereinigte Vorsteuergewinn von 1,3 Milliarden Euro in 2014 auf bis zu 1,7 Milliarden Euro in 2015 steigen. Im europäischen Stahlgeschäft wurde zuletzt das beste Ergebnis seit fast vier Jahren erzielt.
Allerdings trägt zu diesem Ergebnis vor allem ein Sparprogramm bei, in dessen Verlauf auch die Wochenarbeitszeit in Europas Stahlmetropole Duisburg verkürzt wurde.
Der zweitgrößte deutsche Stahlhersteller Salzgitter kann seine Jahresziele für 2015 wohl ebenfalls einhalten. Der MDax-Konzern erzielte in den ersten sechs Monaten 2015 einen Vorsteuergewinn von 80,2 Millionen Euro. Der Konzern hat nach langer Durststrecke erst Anfang 2015 die Wende geschafft.
Gleichwohl: Für Europas Stahlfabriken, genauso wie für amerikanische und asiatische Hersteller, verschärft die Abwertung des Yuan ein seit Jahren anhaltendes Problem: Massenhersteller wie ArcelorMittal, die rund um den Globus marode Fabriken eingekauft haben, erleben wachsende Konkurrenz bei billigem Baustahl.
ThyssenKrupp versucht sich nicht zuletzt deshalb seit Jahren von den Zyklen des reinen Stahlgeschäfts abzukoppeln und dafür mehr in Sparten wie Aufzüge, Autoteile und den Anlagenbau zu investieren – nicht ohne Erfolg: Das Geschäft mit Aufzügen war innerhalb des Essener Konzerns das profitabelste in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2014/2015.
Voestalpine im Nachbarland Österreich dagegen begann schon relativ früh, sich von der Massenfertigung zu entfernen und sich mehr spezialisierten Stählen mit großer Härte und besseren Verschleißqualitäten zuzuwenden.
„Dennoch spielt neben der Technologie natürlich immer der Preis eine Rolle“, sagte Martin Wansleben. „Und hier erhalten chinesische Konkurrenten durch die Abwertung nun einen Vorteil“, zitierte die Zeitung Welt den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Mitte August 2015.
Zudem haben viele europäische Hersteller, darunter Voestalpine und ThyssenKrupp, auch auf neue Fabriken in den großen Schwellenländern gesetzt. Darunter auf Fertigungen in China, wo die Nachfrage nun schwächer wird. Und jetzt verschärft sich die Wettbewerbssituation mit der Abwertung in China noch einmal.
Das Resultat: In Indien, Europa und den USA fordern Industrieverbände Maßnahmen gegen den chinesischen Billigstahl. Dieser ist seit dem Hoch vor drei Jahren ohnehin schon 40 Prozent günstiger geworden, und kurz nach der Abwertung des Yuan haben Stahlfirmen aus der nordchinesischen Provinz Hebei ihre Preise um weitere 3 Prozent gesenkt.
„Chinas Zentralbank hat die Kontrolle niemals wirklich aus der Hand gegeben“, kommentiert Zheng Chaoyu die Yuan-Abwertung gegenüber der Zeitung Welt; er ist Professor an der Pekinger Renmin University. Es gehe ihr in erster Linie darum, mit der Abwertung die Exporte und die Wirtschaft Chinas zu stabilisieren.
Der europäische Stahlverband Eurofer warnt dann auch, dass die Abwertung des Yuan „sehr reale Wettbewerbseinflüsse“ haben könne. Nach Verbandsangaben sind Europas Stahlfabriken derzeit zwar noch zwischen 70 und 90 Prozent ausgelastet. Die Margen aber seien dünn wie Rasierklingen. Und bei den Stahlfirmen Amerikas sieht es vielfach kaum anders aus.
In den USA schlägt deshalb bereits die Gewerkschaft United Steelworkers Alarm: „Es ist an der Zeit, dass sich China an die Regeln der Welthandelsorganisation hält, oder die Konsequenzen tragen muss.“
Die müssen zuerst wohl auch die deutschen Stahlkocher wegstecken. Und ihre Aktionäre.