Die Stahlkrise schlägt auf ThyssenKrupp durch: Der Mischkonzern aus dem Ruhrgebiet mit starker Stahlsparte muss zur Halbzeit seines Geschäftsjahrs 2015/2016 zurückstecken. Das Essener Unternehmen hat am 10. Mai 2016 seine Gewinnprognose für den operativen Gewinn (bereinigtes Ebit) auf mindestens 1,4 Milliarden Euro gesenkt; bisher hatte Konzernchef Heinrich Hiesinger seinen Anteilseignern noch 1,6 Milliarden bis 1,9 Milliarden Euro in Aussicht gestellt.
Sollte die neue Prognose zutreffen, würde ThyssenKrupp zum Ende des laufenden Geschäftsjahrs unter das Ergebnis sein Vorjahresergebnis fallen: Im Zeitraum 2014/2015 hatte das Unternehmen noch ein bereinigtes Ebit von 1,8 Milliarden Euro präsentiert.
Ein Grund für den Rückwärtsgang ist die schwere Krise der Stahlindustrie. Allein in dieser Sparte musste ThyssenKrupp in der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahrs 2015/2016 einen Rückgang seines operativen Ergebnisses auf 65 Millionen Euro hinnehmen. Das ist fast die Hälfte des Werts aus der entsprechenden Vorjahresperiode.
Kein Wunder, die Stahlsparte von ThyssenKrupp ächzt unter einem Bündel von Belastungen. Zum einen ist der Stahlpreis im Jahr 2015 stark gefallen. Grund dafür sind nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl nicht zuletzt erhebliche Erzeugungsüberkapazitäten in China – und der Tendenz daraus, dass zum anderen asiatischer Stahl in großer Menge und zu niedrigen Preisen auch auf den europäischen Markt drängt.
Zwar sind die Stahlnotierungen im Frühjahr 2016 wieder angezogen, so dass Konkurrenten von ThyssenKrupp wie etwa ArcelorMittal auf Besserung hoffen.
„Die Erholung der Preise wird unsere Ergebnisse in den nächsten Quartalen verbessern“, sagte Konzernchef Lakshmi Mittal im Mai 2016 bei der Präsentation der eigenen Geschäftszahlen. Doch werde sich das bessere Umfeld erst in der zweiten Jahreshälfte voll in den Zahlen niederschlagen, und so leidet auch der ThyssenKrupp-Konkurrent:
Der ArcelorMittal-Umsatz ging verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um gut ein Fünftel auf 13,4 Milliarden US-Dollar zurück, wie der Konzern am 6. Mai 2016 in Luxemburg mitteilte. Der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen brach um ein Drittel auf 927 Millionen Dollar ein. Für das Gesamtjahr prognostizierte der Vorstand hier einen Rückgang auf gut 4,5 Milliarden Dollar. Schon 2015 war das Ergebnis um rund zwei Milliarden auf 5,2 Milliarden Dollar gesackt.
Die deutsche Stahlindustrie hatte zuletzt Hilfe der Politik für sich verbuchen können. Auf Massendemonstrationen am 11. April 2016 trat beispielsweise Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auf.
„Ohne Stahl geht es weder in der Automobilwirtschaft noch im Maschinen- und Anlagenbau. Und ohne Stahl auch keine Energiewende – denn er ist ein zentraler Werkstoff für Windräder an Land und auch beim Bau von extrem belastbaren Windkraftanlagen auf See“, zitiert die Passauer Neuen Presse den deutschen Vizekanzler.
Damit nicht genug. Am 28. April 2016 hat der Deutsche Bundestag einen Antrag beschlossen, in dem eine „Verbesserung der Handelsschutzinstrumente, eine wettbewerbsverträgliche Ausgestaltung des Emissionsrechtehandels, bezahlbare Energiepreise und eine Aufrechterhaltung der Ausnahme der ökologisch sinnvollen Nutzung von Prozessgasen zur Stromerzeugung von der EEG-Umlage“ gefordert werden.
Die Prüfung der Verleihung des Marktwirtschaftsstatus an China, der die Abwehr von Stahlimporten zu Dumping-Preisen nahezu unmöglich machen würde, soll an EU-Kriterien geknüpft werden.
„Nun müssen in Brüssel rasch Entscheidungen getroffen werden. Durch unfairen Wettbewerb aus China und die drohenden Belastungen aus der Energie- und Klimapolitik steht die Stahlindustrie derzeit vor dramatischen Herausforderungen“, kommentierte Hans Jürgen Kerkhoff den Bundestags-Beschluss, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.
Die gedrückte Stimmung in der Stahlbranche hierzulande lässt sich an weiteren Zahlen aus dem Halbjahresbericht von ThyssenKrupp ablesen. Der Auftragseingang des Konzerns verringerte sich im ersten Halbjahr des Geschäftsjahrs 2015/2016 um 8 Prozent auf 18,8 Milliarden Euro; im Vorjahr waren es zu gleicher Zeit 20,5 Milliarden Euro. Auch währungs- und portfoliobereinigt musste ein Minus vermeldet werden: Der Auftragseingang sank gemessen an diesen Größen um 7 Prozent sowie 10 Prozent.
ThyssenKrupp verzeichnete im ersten Halbjahr 2015/2016 überdies einen niedrigeren Umsatz als in der entsprechenden Vorjahresperiode. Er fiel von 21,0 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2014/2015 um 8 Prozent auf nunmehr 19,4 Milliarden Euro. „Der Rückgang bei Auftragseingang und Umsatz ist durch geringere Mengen, hauptsächlich jedoch durch den starken Preisverfall bei den Werkstoffgeschäften verursacht“, begründete ThyssenKrupp-Chef Hiesinger das Minus.
An der Börse machte sich die Ankündigung direkt bemerkbar. Der Aktienkurs von ThyssenKrupp rutschte am 10. Mai 2015 deutlich ab, und das gegen den sonst freundlichen Börsentrend dieses Tages: Der Dax, in dem auch die Anteilsscheine von ThyssenKrupp gelistet sind, stieg bis 11 Uhr um 0,75 Prozent, der Wert der ThyssenKrupp-Titel aber sank um 4,8 Prozent.
Damit haben ThyssenKrupp-Aktionäre ihre zwischenzeitlichen Gewinne seit Jahresstart 2016 wieder abgegeben. Die Mehrjahresbetrachtung zeigt überdies ein gemischtes Bild: In der Dreijahresperiode ist ein Gewinn von 22,3 Prozent aufgelaufen, auf fünf Jahre gerechnet aber ein Minus von 43,5 Prozent.