Was für Mineralöl- und Chemiekonzerne das Fass Erdöl bedeutet, das bedeutet der Preis für die Tonne Eisenerz für Bergbaukonzerne und Stahlkocher. Und dieser Preis bereitet den deutschen Stahlkonzernen, allen voran ThyssenKrupp, seit Monaten Sorge.
Der Preis für den wichtigen Stahlrohstoff fiel Anfang Dezember 2015 erstmals seit der Wirtschaftskrise 2009 unter die Marke von 40 US-Dollar je Tonne. Der Preisverfall gilt als Folge des abgekühlten Industriewachstums in China. Darüber hinaus haben chinesische Stahlkocher wie die Hebei Group oder Baosteel, die gemeinsam zuletzt mehr als 80 Millionen Tonnen im Jahr produzierten, sich verstärkt dem Export zugewandt. Deutsche Stahlkonzerne wie ThyssenKrupp, mit einer Jahresproduktion von gut 16 Millionen Tonnen, geraten dadurch unter Druck.
Den Aktionären kann der Umbau des Essener Unternehmens zum Technologiekonzern mit nur noch angehängter Stahlsparte daher nicht schnell genug gehen. Das sieht auch die Konzernführung unter Vorstandschef Heinrich Hiesinger so. „Wir sind an einem Wendepunkt“, verkündete er erst Ende November 2015, als er vor Journalisten das neue Logo des Konzerns präsentierte, das den ehemals dominanten Rheinstahl-Bogen mit den Krupp-Ringen symbolisch „verschmelzen“ soll.
An dieser Vision arbeitet Hiesinger seit 2011, als er im Zuge der Milliardenabschreibungen auf die Stahlwerke in Brasilien und im US-Bundesstaat Alabama seinen glücklosen Vorgänger Ekkehard Schulz ablöste. „Geben Sie uns fünf Jahre, dann wird ThyssenKrupp ein Unternehmen sein, an dem man Freude hat“, verkündete er damals.
Und in der Tat: Die Bilanzzahlen haben sich zuletzt verbessert. Nach Jahren der Flaute verdient ThyssenKrupp wieder Geld. „Wir haben geliefert, was wir versprochen haben. Wir haben ThyssenKrupp stabilisiert und die Integration des Konzerns weiter vorangetrieben“, sagte Heinrich Hiesinger bei der Vorlage der Jahreszahlen im November 2015.
Und doch wirft die jüngste Börsenentwicklung just vor der Hauptversammlung 2016 Fragen auf. Der Kurs der Aktie hat in den ersten drei Handelswochen des Jahres 2016 ein Viertel auf etwas mehr als 15 Euro eingebüßt. In den acht Monaten nach dem Zwischenhoch bei 26 Euro im Mai 2015 hat sich der Aktienkurs annähernd halbiert. Und das trotz einer jüngst erfolgten Anhebung der Dividende.
Was also ist los? Kommt der Konzern nach seiner Existenzkrise doch nicht so gut voran? Für den Konzernchef ist die Antwort eindeutig. Beim Neujahrstreff der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg in Tuttlingen erinnerte Hiesinger daran, dass er beim Amtsantritt vor vier Jahren einen Konzern aus 800 Einzelfirmen vorgefunden habe, bei dem die Investitionen in Brasilien und den USA Milliardenlöcher rissen.
Seitdem wurden für mehrere Milliarden Euro Tochterfirmen verkauft, die Schulden auf 3,4 Milliarden Euro halbiert, der Vorstand von neun auf vier Mitglieder verkleinert und für das laufende Geschäftsjahr erstmals wieder ein positiver Cashflow ins Visier genommen. Es sei gelungen, das Portfolio zu ändern, die Prozesse effizienter zu gestalten und auch einen Kultur- und Wertewandel in Gang zu setzen.
Die Bilanz für das im September 2015 abgelaufene Geschäftsjahr war besser als in den vier Jahren zuvor. Aufzüge und Stahl haben zuletzt geholfen, den Gewinn zu steigern.
Doch es bleiben Altlasten. Das noch von ThyssenKrupp betriebene Stahlwerk in Brasilien schreibt weiter Verluste. Und ein Ende der Risiken aus der abbremsenden Weltwirtschaft und den Überkapazitäten am weltweiten Stahlmarkt ist nur vage in Sicht. Denn Chinas Stahlbranche schiebt Überkapazitäten vor sich her.
Hoffnung könnte eine Meldung der amtlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua aus dem Januar 2016 bringen, wonach Chinas großen Produktionskapazitäten um 100 Millionen bis 150 Millionen Tonnen verringert werden sollen. Die bis zu 400.000 Arbeitsplätze, die dadurch in China gefährdet wären, sprechen allerdings nicht für eine zügige Umsetzung dieses Regierungsplans.
Hiesinger erwartet für die gebeutelte Stahlbranche dennoch eine Konsolidierung, auch in Europa. Wobei er in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung Euro am Sonntag durchblicken ließ, dass diese Konsolidierung wohl nicht durch Akquisitionen, sondern vielmehr durch strategische Partnerschaften zu erreichen sei. Dies dürfte auch ein Ausdruck der noch immer klammen Kasse seines Unternehmens sein.
Dass diese sich bald füllt, davon gibt sich der Chef des Stahl- und Industriegüterkonzerns überzeugt. Immerhin steigerte ThyssenKrupp das Ebit im Geschäftsjahr bis Ende September 2015 um 26 Prozent auf 1,67 Milliarden Euro. Für das laufende Geschäftsjahr, das im Oktober 2015 begann, werden bereinigt 1,6 bis 1,9 Milliarden Euro erwartet. „Die Prognose steht“, betonte Hiesinger in der Euro am Sonntag.
Doch auch in China sieht der ThyssenKrupp-Chef – jenseits der Stahlbranche – die Welt rosiger als manch Analyst. „Wir können auch mit einem Wirtschaftswachstum von 5 Prozent in China gut leben“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Für übertriebene Aufregung bestehe kein Anlass.
Ob die Aktionäre auf der Hauptversammlung ähnlicher Meinung sein werden? Das dürfte auch davon abhängen, ob der Vorstand trotz wackelnder Weltkonjunktur dabei bleiben wird, die gesteckten Ziele für 2016 zu erreichen.
So wurde im November 2015 eine erneute Effizienzsteigerung in Höhe von 850 Millionen Euro bis zum September 2016 angekündigt. In der Fertigung von Autokomponenten soll die Umsatzrendite von 4,3 Prozent auf 6 bis 8 Prozent steigen und im Geschäft mit Aufzügen und Rolltreppen von 10,5 auf 15 Prozent. Darüber hinaus soll die Stahlsparte in Europa ihren Gewinn vor Zinsen und Steuern von zuvor 200 Millionen Euro auf 500 Millionen steigern.
Perspektivisch wolle ThyssenKrupp gar ein bereinigtes Ebit von mindestens zwei Milliarden Euro erreichen, sagte Hiesinger im Januar der „Welt“. Wobei es sich dabei nur um eine „Untergrenze“ handele. „Das mittelfristige Ziel sind Ergebnisregionen jenseits der zwei Milliarden.“ Dazu müsse der Konzern das Niveau der Branchenbesten erreichen. Eine Jahreszahl, wann die gesteckten Ziele erreicht werden sollen, nannte er nicht.
Dabei dürfte genau das die Mehrheit der Aktionäre am meisten interessieren, allen voran die von den Dividenden abhängige Krupp-Stiftung, die noch immer 23,03 Prozent der Anteile am Konzern hält und der Großinvetor Cevian, der zuletzt 15,08 Prozent der Stimmen hielt.
Cevian, dessen Deutschland-Chef Jens Tischendorf im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp sitzt, trägt zwar offiziell den Hiesinger-Kurs mit, ThyssenKrupp als Industriekonglomerat mit Fokus auf die Sparten Aufzüge, Autokomponenten und Anlagenbau zu positionieren. Hinter vorgehaltener Hand wird dem Großinvestor allerdings nachgesagt, dass er die Abspaltungen einzelner Konzernsparten bevorzugen würde, statt die rund 180 Konzerneinheiten unter einem Dach zu integrieren.
Zumindest Analysten sind mit Blick auf die ThyssenKrupp-Aktie eher vorsichtig. Die Experten der WGZ-Bank etwa bestätigten Mitte Januar 2016 zwar ihre Empfehlung, die Papiere zu halten. Sie nahmen das Kursziel aber von 20 Euro auf 17,50 Euro zurück. Sie begründeten dies nicht nur mit der unsicheren Konjunkturlage, sondern auch mit einem pikanten Detail:
Trotz aller Sanierungserfolge hat ThyssenKrupp-Chef Hiesinger die Finanzratings des Essener Konzerns nicht wesentlich verbessern können. Noch immer fehlt ThyssenKrupp der Investmentgrade-Status der Ratingagenturen. Im Klartext: Anleger müssen weiterhin mit Ausfällen rechnen.