Dass ausgerechnet China den Volkswagen-Konzern bei seiner Attacke auf den Weltmarktführer Toyota bremsen würde, das hätte weit über Wolfsburg hinaus lange Zeit niemand gedacht. Doch jetzt bremst die Wirtschaft im Reich der Mitte ab.
„All jene, die in China besonders stark sind, werden im Jahr 2016 Einbußen in den Gewinnen hinnehmen müssen“, zitiert die WAZ den Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer Ende August 2015. Es sei nicht auszuschließen, dass Chinas Automarkt bereits im laufenden Jahr 2015 schrumpfe, sagte der Direktor des Center for Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen.
Was Dudenhöffer da prognostiziert, klingt auf den ersten Blick angesichts der allgemeinen Absatzsteigerung von 5,3 Prozent auf dem chinesischen Pkw-Markt in den ersten sieben Monaten des Jahres 2015 pessimistisch.
Die Wolfsburger fahren auf dem chinesischen Markt, wo sie die Nummer eins sind, schließlich noch immer den Löwenanteil ihres Konzerngewinns ein. Sie setzen dort mit 36 Prozent etwas mehr als jedes dritte Fahrzeug ab. Zum Vergleich: BMW verkauft in China 20 Prozent all seiner Fahrzeuge, Daimler 16 Prozent.
China gilt bis heute als der Schlüsselmarkt für den Sturm an die Spitze der Rangliste der weltweit größten Hersteller.
Doch China bremst VW neuerdings aus, wie ein genauerer Blick in die jüngsten Verkaufsstatistiken zeigt. So meldete der Volkswagen-Konzern am 25. August 2015 für den Juli 2015 auf Jahresbasis einen Verkaufsrückgang um 3,7 Prozent. Mehr noch, nämlich 5 Prozent Minus, seien es für Volkswagen in den ersten sieben Monaten des Jahres 2015 verglichen mit dem Vorjahr gewesen.
Auch das China-Geschäft der VW-Premiumtochter Audi kommt im Jahr 2015 weniger schnell voran als in den Vorjahren. Zwar verbuchte Audi im Reich der Mitte nach dem ersten Halbjahr 2015 nur noch einen Zuwachs von 2 Prozent.
Doch im Jahr 2014 hatte Audi in der Volksrepublik noch ein Verkaufsplus von 18 Prozent erzielt. Deshalb unken Experten, dass Audi die angepeilte Marke von 600.000 verkauften Audis bis Jahresende 2015 in China nicht erreichen werde. Laut chinesischen Zeitungen hat das Unternehmen aus Ingolstadt sein Absatzziel auf das Niveau des Vorjahres gesenkt.
Dass da der Volkswagen-Konzern insgesamt in den ersten sieben Monaten des Jahres 2015 nur 1 Prozent weniger Fahrzeuge als im gleichen Vorjahresmonat verkaufen konnte, liegt ausgerechnet an den etablierten Märkten. An Nordamerika beispielsweise, wo den VW-Leuten der niedrigere Euro-Kurs gegenüber dem Dollar in die Karten spielt.
Und es liegt an Europa: In Deutschland beispielsweise stieg die Zahl der Pkw-Neuzulassungen im August 2015 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 6,2 Prozent auf etwa 226.300, berichtete der Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) am 2. September 2015.
Gleichwohl trifft die Schwellenland-Misere, nicht zuletzt die China-Krise, die deutschen Autohersteller wie eben beispielsweise Volkswagen deutlich.
„Mit einer Normalisierung der Lage in China hatte die Branche gerechnet. Der aktuelle Einbruch kam in dieser Heftigkeit aber überraschend", zitiert n-tv am 25. August 2015 dann auch Peter Fuß, Partner bei der Unternehmensberatung EY.
Bergab geht es in der Volksrepublik insbesondere seit dem Frühsommer, und anscheinend sind fast alle Autohersteller betroffen: Nach Angaben der Automotive News China im August 2015 brach der dortige Markt seit Mai 2015 drei Monate hintereinander ein. Das habe es zuletzt von November 2008 bis Januar 2009 gegeben – nach Ausbruch der Weltfinanzkrise.
Auch für BMW sieht es deshalb in China derzeit nicht nach überschäumendem Wachstum aus. Die Premiummarke aus München hat im ersten Halbjahr lediglich ein Umsatzplus von 2,5 Prozent in Fernost registriert. Und da BMW jeden fünften Flitzer nach China verkauft, droht auch bei den chinesischen BMW-Vertragshändlern Enttäuschung.
Laut Insidern entschädigt BMW bereits die 440 Betriebe in der Volksrepublik.
Das verlangsamte Wachstum der chinesischen Wirtschaft habe eben „stärker als anvisiert grenzüberschreitende Auswirkungen“, warnte der Internationale Währungsfonds am 2.September 2015.
Und wie kommt Daimler im Jahr 2015 in China zurecht?
Mercedes verkauft derzeit jedes siebte Fahrzeug ins Reich der Mitte. Die Stuttgarter kommen für das erste Halbjahr 2015 in China gegen den Trend auf ein stattliches Plus von knapp 22 Prozent. Der dort gut laufende Smart, neue Modelle wie die C-Klasse oder der GLA und der umgestellte sowie teils ausgebaute Vertrieb werden dafür gelobt.
Womöglich ist es aber auch ein Nachholeffekt, da Daimler in China in den Jahren vor 2015 weniger erfolgreich in der Volksrepublik als andere deutsche Hersteller war.
„Jahrelang konnten die deutschen Autokonzerne der weltweiten Konkurrenz die Rücklichter zeigen, nun wird die Luft auch für sie dünner", sagte Peter Fuß dem Hamburger Abendblatt, Partner bei der Unternehmensberatung EY. „Die starke Abhängigkeit vom chinesischen Markt könnte sich nun als Achillesferse erweisen.“
Auch mit einer schnellen Wende zum Besseren rechnen Experten derzeit nicht. Vor allem die hohen Kursverluste an Chinas Börsen im Sommer 2015 dürften die Rücklagen der Chinesen für Autokäufe geschwächt haben.
Aber nicht nur der Automarkt in China erleidet einen Schwächeanfall. Auch im lange Zeit verheißungsvollen Brasilien sieht es für Deutschlands Autobauer insgesamt derzeit weniger günstig aus. Kollabierte Rohstoffpreise, ein Korruptionsskandal, der Brasiliens Regierung bedroht sowie hohe Einfuhrzölle, nachlassende Kaufkraft und weiterhin zahlreiche bürokratische Hemmnisse bremsen den Zuckerhut-Markt.
In den ersten sieben Monaten 2015 lieferte Volkswagen deshalb in Brasilien nur noch 245.900 Fahrzeuge aus – im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist das ein Rückgang um 30,6 Prozent. Und es ist so wenig, wie seit 2007 nicht mehr. Volkswagen do Brasil hat deshalb im Sommer 2015 im Werk in Taubaté kurzfristig die Produktion ruhen lassen müssen.
„VW nutzt derzeit mit den Gewerkschaften abgestimmte Flexibilisierungen wie Kurzarbeit und freiwillige Abfindungen“, zitierte der Tagesspiegel den VW-Sprecher Eric Felber am 31.08.2015. Zudem würden „Instrumente“ diskutiert, „um die Belegschaft anzupassen“, sagte Felber weiter.
Das wiegt schwer. Denn Brasilien ist der zweitwichtigste Auslandsmarkt des Wolfsburger Konzerns.
Daimler wiederum hat auf den Abschwung in Brasilien bereits schärfer reagieren müssen. Der Konzern hielt nicht nur zwei Wochen im August 2015 in der Lkw- und Bus-Fabrik São Bernardo do Campo die Fließbänder an. Die Stuttgarter wollen in der größten Volkswirtschaft Südamerikas sogar schon 1500 Stellen abbauen.
Die Marke mit dem Stern ist in Brasilien auch deshalb so stark betroffen, weil der Konzern dort in den Jahren vor 2015 vergleichsweise viele Lastwagen verkaufen konnte. Doch Brasiliens Lkw-Markt brach allein in der ersten Hälfte 2015 um 44 Prozent ein, und der Daimler-Absatz ist in einem vergleichbaren Tempo zurückgegangen.
Dass Daimler bei diesem herben Verkaufsrückgang in Brasilien nicht noch mehr Arbeitsplätze streichen will, mag an einer Besonderheit des brasilianischen Markts liegen: Hohe Einfuhrzölle zwingen die Hersteller oftmals zur Produktion in Brasilien.
Wie lange die Angestellten deutscher Autokonzerne in Brasilien auf diesen Schutz aber vertrauen können? Marktbeobachter erwarten auf Jahre hinaus schwierige Bedingungen und Gegenwind für Daimler & Co in Brasilien.
Die Liste der Rückschläge in den Schwellenländern ist damit für die deutschen Auto-Hersteller aber noch nicht zu Ende.
Auch in Russland bläst den Autobauern eisiger Wind ins Gesicht, und das schon seit 2014. BMW beispielsweise habe seine Pläne für Russland bereits zurückdrehen müssen, sagte der damalige BMW-Vorstandschef Norbert Reithofer am 3. März 2015 auf dem Autosalon in Genf.
Die Einschätzung dürfte nicht ganz falsch sein. Laut der neuen Prognose des AEB-Verbands, der Europas Autoschmieden in Russland vertritt, bricht Russlands Automarkt in diesem Jahr 2015 um 36 Prozent ein; im ersten Halbjahr betrug das Minus 36,4 Prozent.
Allerdings: Industrieminister Denis Manturow bezifferte im Juni 2015 den zu erwartenden Rückgang für das Jahr 2015 sogar mit bis zu 50 Prozent, doppelt so schlimm wie bis kurz davor angenommen.
„Bumm hat’s gemacht und vorbei war es mit diesen schönen Plänen in Russland“, kommentierte Reithofer die Entwicklung; er wurde am 13. Mai 2015 zum Aufsichtsratschef von BMW gewählt.
Der Grund: Die westlichen Sanktionen nach Russlands Annexion der Krim, die niedrigen Ölpreise von rund 50 Dollar pro 159-Litter-Fass (Marke Brent) Anfang September 2015 und der Rezession im Lande. Da ist auch die Erholung des russischen Automarkts wohl vorerst nicht in Sicht.
„Die gesamtwirtschaftlichen Situationen in China, Brasilien und Russland sind nach wie vor angespannt“, musste da beispielsweise VW-Vertriebsvorstand Christian Klingler am 25. August 2015 einräumen.
Trotz all dieser Probleme halten die großen deutschen Autoschmieden bisher an ihren Expansionsplänen beispielsweise für China fest. Volkswagen etwa kann es sich als Fernost-Marktführer wohl auch kaum leisten, Zweifel an seinen Vorhaben in der Volksrepublik aufkommen zu lassen.
Zwar rechnen die Wolfsburger nach eigenen Angaben in China für 2015 statt mit „moderatem Wachstum“ nur noch mit einem Absatz „auf dem Niveau des Vorjahres“.
Doch bis 2019 soll die Fertigungskapazität im Reich der Mitte mit einem Aufwand von 22 Milliarden Euro erweitert werden. Der Absatz soll auf fast das Doppelte der Verkaufszahl von 2014 steigen.
Derzeit werden mit den Joint Venture-Partnern 18 Fabriken betrieben, in acht davon werden Pkw gebaut, zwei weitere Standorte hat VW-Chef Martin Winterkorn angekündigt; sein Vertrag bei Volkswagen soll am 25. September 2015 um zwei Jahre bis Ende 2018 verlängert werden.
Auch BMW hält bisher eisern an seinen Wachstumsplänen in China fest. Die Münchener wollen in der Volksrepublik künftig sechs statt drei Modelle produzieren, in der Fabrik in Shenyang wird die Kapazität um ein Drittel auf jährlich 400.000 Fahrzeuge aufgestockt. Und zugleich wurde die Kooperation mit dem lokalen Partner Brilliance bis zum Jahr 2028 verlängert.
Die Konkurrenz aus Stuttgart hat ihre China-Expansionspläne ebenfalls noch nicht infrage gestellt. Das bislang einzige Mercedes-Werk in Peking soll auf eine Jahreskapazität von 200.000 Fahrzeuge erweitert werden. Geplant sind mit dem Partner BAIC Investitionen im Umfang von etwa vier Milliarden Euro.
Ob die deutschen Hersteller in China allerdings nicht doch ihre Wachstumspläne zumindest strecken, dürfte davon abhängigen, wie stark sie der Knick in China trifft. Schließlich verkauften BMW, Daimler und Volkswagen nach Angaben des CAR-Forscherteams im ersten Halbjahr 2015 stolze 31,6 Prozent ihrer Fahrzeuge in China – knapp 2,15 Millionen Autos.
„Wenn jeder vierte Neuwagen in China verkauft wird, ist es schwer, einen Rückgang dort zu kompensieren“, sagte CAR-Direktor Ferdinand Dudenhöffer der Basler Zeitung am 26.8.2015.
Auch in den übrigen BRIC-Staaten rücken Deutschlands Autobauer noch nicht von ihren mittelfristigen Expansionsplänen ab. In Brasilien, wo Volkswagen drei Fabriken plus ein Motorenwerk betreibt, soll beispielsweise am Standort Curitiba weiterhin ab 2016 der Audi Q3 produziert werden.
Audi sieht wegen des minimalen Anteils des Premiumsegments von nur 2 Prozent am Gesamtmarkt noch gute Expansionsmöglichkeiten. Im ersten Halbjahr 2015 wurde ein Absatzplus von fast 40 Prozent erzielt. Daimler baut derweil weiter an seiner neuen PKW-Fabrik in dem Land.
BMW wiederum hat in Brasilien gerade erst eine komplett neue Fabrik gestartet. Am 10. Dezember 2014 eröffneten die Münchener offiziell das Werk in Araquari im Bundesstaat Santa Catarina; 1401 Autos liefen dort nach BMW-Angaben im Juli 2015 vom Band, 30.000 Fahrzeuge jährlich sollen es einmal werden.
„Die Investitionen belaufen sich in den nächsten Jahren auf über 200 Millionen Euro“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel.
Unter den Analysten sieht man vor allem für Volkswagen mögliche Schleifspuren wegen der mauen Konjunktur in den BRICS-Staaten.
Die Investmentbank Equinet beließ das Kursziel für die VW-Aktie nach der Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal Ende August 2015 zwar bei 180 Euro, gab aber zu bedenken, dass sich die Aussichten für den Autoabsatz verdüstert hätten. VW müsse als Marktführer in China stärker leiden als andere Hersteller.
NordLB-Analyst Frank Schwope erwartet, dass sich die Absatzschwäche in China verfestigen wird und sowohl der Absatz in der Volksrepublik als auch das weltweite Geschäft von VW im Gesamtjahr 2015 leicht ins Minus rutschen könnte.
Mit Blick auf die Daimler-Aktie heißt es bei Equinet, dass der deutliche Kursrückgang von Mitte März bis Ende August 2015 nicht gerechtfertigt gewesen sei, weil die Stuttgarter unter den deutschen Herstellern die geringste China-Präsenz aufwiesen. Der Preis der Daimler-Titel fiel in dieser Zeit von 95 auf 70 Euro.
UBS-Analyst Philippe Houchois ergänzt, dass infolge dieses Kursrückgangs ein Szenario ohne Gewinne in China bereits in den Kurs der Daimler-Aktie eingepreist worden sei. Zu demselben Ergebnis kamen Ende August 2015 mit Blick auf die BMW-Aktie die Analysten von Morgan Stanley.
Deutschlands Anleger werden die Entwicklung im Auge behalten.