Der Aktienkurs ist eingebrochen, das Vertrauen in den VW-Konzern schwer beschädigt. Und Volkswagen muss mit einem Schaden von 40 Milliarden Euro oder mehr rechnen. Das ist der oberflächliche Schadensbefund einen Monat nach Bekanntwerden des Abgasskandals Mitte September 2015.
Allerdings gibt es vier Wochen später, Mitte Oktober 2015, auch verhalten gute Nachrichten. Im September 2015 lieferte der Wolfsburger Konzern beispielsweise weltweit nur 1,5 Prozent weniger Autos aus als vor Jahresfrist. Im Einzelnen:
In Westeuropa gab es ein leichtes Plus, in China stabilisierte sich das Geschäft trotz abgebremster Konjunktur. Und in den USA, wo die Abgaskrise aufgedeckt worden war, konnte die Autoschmiede die Auslieferungen im September 2015 sogar um 7 Prozent steigern. Unter dem Strich ist das alles andere als ein Zusammenbruch.
Doch die Auslieferungen im September sind Geschäft aus der Vergangenheit. Sie beziehen sich auf Bestellungen, die Kunden vor Bekanntwerden des Abgasdesasters aufgegeben hatten.
Erst in den kommenden Wochen und Monaten wird deutlicher werden, wie teuer das „Dieselgate“ für VW werden kann. In Europa jedenfalls muss der Konzern ab Januar 2016 insgesamt 8,5 Millionen Fahrzeuge zurückrufen. In Deutschland werden es allein 2,4 Millionen Autos sein.
Um die Kosten für die Umrüstung betroffener Fahrzeuge sowie etwaige Strafen zu stemmen, wurden bereits drastische Maßnahmen angekündigt: Der neue VW-Markenchef, Herbert Diess, der von BMW kam, will die Modellpolitik des Unternehmens neu ausrichten. Volkswagen soll effizienter werden.
Die wichtigsten Maßnahmen für den Weg aus der aktuellen Krise sind inzwischen bekannt. Über die schon vor dem Skandal angekündigten Einsparungen von fünf Milliarden Euro bis 2017 hinaus will VW seine Modellpalette verschlanken und pro Jahr die Investitionen um eine Milliarde Euro kürzen. Aber VW will offenbar auch außerhalb des Konzerns den Rotstift ansetzen.
Allein drei Milliarden Euro der Einsparungen sollen nach Informationen des Handelsblatts die Zulieferer beitragen. Noch werden keine Namen genannt, denn einzelne Zulieferer trauen sich nicht, mit Statements und Zahlen an die Öffentlichkeit zu gehen. Es steht aus ihrer Sicht zu viel auf dem Spiel. Das sieht man an folgenden Beispielen:
ThyssenKrupp erwirtschaftete 2014 mit Lieferungen an VW einen Umsatz von zwei Milliarden Euro, das waren 5 Prozent der Gesamterlöse des Ruhrgebiet-Konzerns. Beim Kabel- und Drähte-Spezialisten Leoni (MDax) in Nürnberg wurden mit VW zuletzt 243 Millionen Euro umgesetzt, das waren 6 Prozent des Gesamtgeschäfts.
Beim Roboterhersteller Kuka, im MDax notiert, machte in 2014 das VW-Geschäft 326 Millionen Euro aus – das waren ebenfalls gut 6 Prozent des Umsatzes. Und das Dax-Mitglied Continental lieferte im Jahr 2014 gleich für drei Milliarden Euro an VW, das waren seinerzeit 9 Prozent der Continental-Erlöse.
Leoni scheint darüber hinaus noch hausgemachte Probleme zu haben. Das Unternehmen hat seine Anleger am 13. Oktober 2015 mit einer Gewinnwarnung auf dem falschen Fuß erwischt.
Das Geschäft mit Bordnetzen sei in Schwierigkeiten, der operative Gewinn in 2015 werde unter der bisher prognostizierten Marke von 200 Millionen Euro liegen. Und im kommenden Jahr 2016 werde der Umsatz eher 4,6 Milliarden Euro erreichen und nicht wie bisher in Aussicht gestellt 4,8 Milliarden Euro.
Das alles reichte, um den Aktienkurs des Unternehmens von 53,49 Euro am Vortag der Gewinnwarnung auf 32,10 Euro am 20. Oktober 2015 abstürzen zu lassen. Das ist ein Minus von 37 Prozent. Schon warnte NordLB-Analyst Frank Schwope am 20. Oktober 2015, dass Leoni „als Übernahmekandidat interessant“ werden könnte.
Zusätzliche Probleme mit ihrem VW-Geschäft werden die Nürnberger in dieser Lage sicher vermeiden wollen.
Bei der Automobilwoche hat man aus Kreisen des Unternehmens gehört, dass die Partner von VW bereits auf Produktionskürzungen von möglicherweise bis zu 10 Prozent eingestimmt worden seien. VW selbst bezeichnet diese Informationen als „spekulativ und sachlich nicht korrekt.“ Doch Verbände der Industrie sowie Regionalpolitiker in den Zuliefer-Hochburgen des Konzerns sprechen offen über ihre Befürchtungen.
„Wir blicken mit großer Sorge auf die Entwicklungen in Wolfsburg“, zitiert die Thüringer Allgemeine den Wirtschaftsminister des Landes, Wolfgang Tiefensee (SPD). Der machte sich extra auf den Weg zu einem der vielen Lieferanten, die in Thüringen allein im Branchen-Netzwerk „Automotive Thüringen“ 30.000 Menschen beschäftigen.
Schon heute, so Tiefensee, stünden die mehr als 100 Lieferanten unter „enormem Wettbewerbs- und Kostendruck.“ Volkswagen baut im Nachbarbundesland Sachsen außerdem den Phaeton. Er ist das Spitzenmodell der Pkw-Kernmarke.
Nach Angaben des thüringischen Wirtschaftsministers übernehmen Autoschmieden wie VW teilweise nicht mehr die Kosten für die Entwicklung neuer Komponenten oder die Herstellung von Spezialwerkzeugen. Zudem würden vereinbarte Preise „immer wieder infrage gestellt.“ Jetzt macht sich bei den Zulieferern die Furcht breit vor weiteren Einsparungen zu ihren Lasten.
Ähnlich sorgenvoll klingen die Kommentare aus Bayern, etwa aus dem Regierungsbezirk Oberpfalz. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der dortigen IHK, Josef Beimler, erwartet langfristig Auftragsrückgänge für die mittelständischen Zulieferer in der Region als Folge des VW-Skandals.
„Die Zulieferer müssen damit rechnen, dass sich in dem einen oder anderen Fall von heute auf morgen Veränderungen ergeben. Das wirkt sich dann so aus, dass weniger Materialien bestellt werden und dass die Margen, die abgerufen werden, kürzer und weniger werden“, sagt er.
Die größten Arbeitgeber unter den Autozulieferern sind in diesem Teil Deutschlands Continental (Regensburg), Benteler (Schwandorf) und Grammer (Amberg). Im Bereich der IHK beschäftigen diese Betriebe rund 35.000 Menschen.
Bis hinein in den Maschinenbau, einen der drei größten Arbeitgeber in Deutschland, läuten die Alarmglocken. Beim Branchengipfel dieser Industrie Mitte Oktober 2015 gab es praktisch nur ein Thema: die Abgas-Affäre. Kein Wunder, denn Deutschlands Maschinenbau verkauft rund 8 Prozent seiner Produkte an die Autoindustrie.
Je näher die Lieferanten dann geografisch am Firmensitz von Volkswagen liegen, desto vorsichtiger werden ihre Äußerungen. So heißt es bei Zulieferern in Niedersachsen, man hoffe auf ein glimpfliches Ende der Krise. Der Chef der Metallarbeitgeber in Niedersachsen, Volker Schmidt, wird von der Welt mit den Worten zitiert, „am Ende des Tages gilt auch hier, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird.“
Tatsache ist jedoch, dass der Abgas-Skandal bei VW mit den drohenden Sparmaßnahmen die Dauerkrise der Lieferanten nicht nur verlängert, sondern auch verschärft. Die Lieferanten, so schrieb der Autokenner Stefan Bratzel in seinem Buch ‚Automobilzulieferer in Bewegung‘, befänden sich in einer „Sandwichposition.“
Sie seien eingeklemmt zwischen mauen Umsatzaussichten wegen der Stagnation des Marktes in Europa und dem Wettlauf mit den Großen der Branche, mit denen sie in punkto Technologie und Internationalisierung kaum noch mithalten könnten. Laut Bratzel sind auf mittlere Sicht bis zu 1000 Lieferanten der Autobranche vom Aus bedroht. An ihnen hängen bis zu 150.000 Arbeitsplätze in Deutschland.