Der Führungsstreit beim größten europäischen Autobauer Volkswagen scheint Ende April 2014 entschieden. Doch der Rückzug von Ferdinand Piëch aus dem Aufsichtsrat ist vielleicht nur das Ende personeller Querelen. Denn der Machtkampf hat den Blick auf die vielen Baustellen des Wolfsburger Konzerns gelenkt.
Dazu gehören das enttäuschende Abschneiden in den Vereinigten Staaten, die schwache Rendite der Kernmarke VW, die zähe Fusion der LKW-Marken MAN und Scania, das immer noch fehlende „Billig-Auto“ für die großen Schwellenmärkte wie zum Beispiel Indien sowie die üppige Modell- und Variantenvielfalt und das Hinterherhinken bei Elektroautos.
Zwar hat Volkswagen in den ersten drei Monaten dieses Jahres 2015 wieder viel Geld verdient, sogar mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. So zog der Betriebsgewinn zu Jahresbeginn verglichen mit der gleichen Vorjahresperiode um etwa 17 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro an, der Umsatz stieg um mehr als 10 Prozent auf 52,7 Milliarden Euro.
Entsprechend selbstbewusst zeigt sich VW-Chef Martin Winterkorn: „Wir sind für die heterogene Entwicklung der weltweiten Automobilmärkte bestens aufgestellt.“
Diese Aussage könnte allerdings voreilig sein. Denn die größte Baustelle von allen könnte ausgerechnet in China auf VW warten, dem bisherigen Volkswagen-Wachstumsmarkt überhaupt: Insgesamt erzeilt der Konzern mittlerweile rund 40 Prozent des VW-Absatzes im Reich der Mitte.
In der Volksrepublik, die seit einem halben Jahrzehnt als größter PKW-Markt der Welt gilt, wurden im vergangenen Jahr 2014 von westlichen und lokalen Herstellern mehr als 23 Millionen Fahrzeuge abgesetzt. Das waren 50 Prozent mehr als in den USA. Doch die Zuwachsrate beim PKW-Verkauf sank auf 6,9 Prozent, gegenüber 13,9 Prozent im Jahr 2013. Insgesamt erzeilt der Konzern mittlerweile rund 40 Prozent des VW-Absatzes in China.
Jetzt aber wachsen die Herausforderungen für europäische und amerikanische Produzenten auf diesem Markt sichtbar. Die einheimische Konkurrenz verbucht bei günstigen Geländewagen, wie sie vor allem in den vielen kleineren Städten im Inland verkauft werden, starke Geländegewinne. Deutschen Herstellern wie VW fehlen hier erfolgreiche Modelle.
„Das Wachstum kommt besonders stark aus Segmenten, in denen wir nicht vertreten sind“, musste China-Chef Jochem Heizmann unlängst zugeben. VW hat dafür nicht nur begrenzte Kapazitäten bereitgestellt, sondern wies bei der Marke VW im ersten Quartal sogar ein Minuszeichen auf.
Der Marktführer in China erzielte in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres lediglich ein Absatzplus von rund 2 Prozent, kann also mit dem Gesamtmarkt derzeit kaum mithalten.
Der Gesamtmarkt in China soll 2015 dem chinesischen Automobilverband zufolge um 7 Prozent auf etwas mehr als 25 Millionen Fahrzeuge anwachsen. Die lokalen chinesischen Hersteller stoßen dabei nicht nur schnell in Modelllücken vor. Sie bieten auch deutlich günstiger an. In punkto Qualität dürften chinesische Hersteller die westlichen Autoschmieden überdies bis 2018 eingeholt haben, sagen die Experten bei JD Power vorher.
Chinas Hersteller holen dabei nicht nur beim Absatz in wichtigen Segmenten auf, sie bedienen längst auch den Weltmarkt, wie die geplanten Exporte der 2010 von Geely übernommenen schwedischen Marke Volvo aus der neuen Fabrik in Chengdu auf den amerikanischen Markt zeigen.
Dieser Vormarsch chinesischer Wettbewerber wird zunehmend an den Gewinnmargen der westlichen Konkurrenz zehren. Das ist für Volkswagen besonders schmerzhaft. Denn VW kommt bei der Kernmarke nur auf 2,5 Prozent Rendite. Toyota erreicht dagegen 8,6 Prozent. Auch General Motors und Ford schneiden besser ab als die Deutschen.
Nimmt jedoch der Margendruck in China weiter zu, gerät Martin Winterkorns Ziel, die VW-Rendite bis 2018 auf 6 Prozent nach oben zu schrauben, in Gefahr. Dies soll bei dem öffentlich ausgetragenen Machtkampf zwischen dem VW-Chef und Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch eine zentrale Rolle gespielt haben.
Volkswagen hat im vergangenen Jahr in der Volksrepublik immerhin 3,5 Millionen Autos produziert. China ist mit großem Abstand der wichtigste und größte nationale Markt der Wolfsburger.
Volkswagen kündigte nun während der Automesse in Shanghai Ende April an, mit neuen Modellen zum Angriff überzugehen. Auch SUVs und Kombis sollen das Angebot für die Chinesen interessanter machen. Denn gerade in diesen beiden Kategorien holen heimische Wettbewerber rasant auf.
Im Jahr 2014 kamen acht der zehn meistverkauften SUVs in China von Fließbändern inländischer Firmen. Noch im Jahr schaffte es lediglich ein chinesisches Modell unter die ersten zehn.
Um die eigenen Ambitionen zu untermauern, plant der Konzern von 2015 bis 2019 rund 22 Milliarden Euro in China zu investieren. Das Ziel: Die Produktlücke schließen so die Ablösung von Toyota an der Weltspitze einzuleiten.
Zumindest in der Vergangenheit ging die China-Wette unter Konzernchef Winterkorn auf: VW verdoppelte unter seiner Ägide in den vergangenen acht Jahren nahezu den Konzernumsatz auf 202 Milliarden Euro. Der Gewinn nach Steuern verdreifachte sich fast auf 11,07 Milliarden Euro.
China hat an dieser Erfolgsstory einen massiven Anteil, so massiv, dass Kritiker beklagen, der Wolfsburger Konzern habe sich zu abhängig vom chinesischen Markt gemacht.