Es ist das vielleicht ungewöhnlichste Signale, das ein Skandalaufklärer senden kann: Alle vordergründig betroffenen Personen sollen vorab freigesprochen werden. Das mag es nicht allzu häufig geben, Volkswagen hat es jetzt vorgemacht.
Trotz laufender Ermittlungen im Dieselgate-Skandal hat Deutschlands größter Konzern all seinen Aktionären geraten, die komplette VW-Führungsspitze auf der anstehenden Hauptversammlung des Unternehmens zu entlasten. Die Anteilseigner sollen bei ihrem Treffen am 22. Juni 2016 sowohl den Vorständen als auch den Aufsichtsräten ihr Vertrauen aussprechen.
Das Unternehmen hat dazu am 11. April 2016 mitgeteilt, dass Management und Aufsichtsrat entsprechende Beschlüsse gefasst haben. Denn bisherige Untersuchungen zur Abgasaffäre hätten „keine eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen“ von amtierenden oder früheren Vorstandsmitgliedern ergeben. Für den Fall, dass sich dies bis zur Hauptversammlung ändern sollte, müsse neu abgewogen werden.
Die Untersuchungen werden unter anderem von den Kanzleien Jones Day aus den USA und der deutschen Anwaltsfirma Gleiss Lutz geführt. Sie sind offenbar noch nicht abgeschlossen.
Aktionärsschützer sind über das Statement von Volkswagen verwundert. Nicht nur hat das Unternehmen zugeben müssen, offenbar Millionen Fahrzeuge an Kunden ausgeliefert zu haben, die mit einer Schummel-Software in der Motorsteuerung die Abgaswerte mancher Volkswagen-Dieselmotoren schönten.
Das Unternehmen und deren Anteilseigner sehen sich deshalb Klagen in Milliardenhöhe ausgesetzt. Volkswagen musste dafür bereits Rückstellungen bilden, die einen Konzernverlust von 1,6 Milliarden Euro für das Jahr 2015 zufolge hatten.
Das Unternehmen hat auch noch immer keine abschließende Regelung mit Klägern etwa in den USA getroffen, unter anderem dem US-Justizministerium. Die bisherigen Rückstellungen könnten deshalb nicht einmal reichen, und die Verhandlungszeit für eine Verhandlungslösung wird knapp: Volkswagen muss den Amerikanern nach Medienberichten bis zum 21. Juni 2016 einen entsprechenden Deal unterbreitet haben.
Stattdessen prescht Volkswagen anders als erwartet vor.
Der Aufsichtsrat des Unternehmens teilte mit, er habe Vertrauen in den amtierenden Vorstand, den Dieselgate-Skandal doch noch zu lösen und Volkswagen in die Zukunft zu führen. Klägeranwälte argwöhnen, dass sich der VW-Aufsichtsrat damit sogar selbst angreifbar gemacht habe.
Sie bezweifeln, dass er nach diesem Statement tatsächlich seiner Aufsichtspflicht gegenüber dem Volkswagen-Vorstand nachkommt, in dessen Amtszeit schließlich der größte Skandal der jüngeren Unternehmensgeschichte falle, und für den anscheinend niemand aus der aktuellen Führungsriege des Konzerns Verantwortung übernehme.
Scheinbar unabhängig davon ist im Vorfeld der Volkswagen-Hauptversammlung ein neues Mitglied des VW-Aufsichtsrats bekannt geworden: Das Emirat Katar, drittgrößter Einzelaktionär von Volkwagen, wird die IT-Expertin Hessa al Jaber in das Gremium entsenden – und macht damit indirekt den Weg frei für die Bestätigung des bisherigen Aufsichtsratschefs Hans Dieter Pötsch.
Hintergrund: Seit Jahresbeginn 2016 gilt eine Frauenquote von 30 Prozent für das Aufsichtsgremium des größten europäischen Autokonzerns. Pötsch könnte deshalb nur bestätigt werden, wenn zeitgleich eine Frau einen Posten der Kapitalseite im Aufsichtsrat einnimmt. Dann wäre die geforderte Quote erreicht. Den Gefallen hat das Emirat Katar nun Volkswagen getan.
Hessa al Jaber ist die erste Frau, die von den Scheichs in das Kontrollgremium entsandt wird.
Die Einflussmöglichkeiten anderer Aktionäre auf Volkswagen gelten als begrenzt, weil insbesondere drei Parteien stimmberechtigte Stammaktien halten: die Familie Porsche/Piëch, das Land Niedersachsen und das Emirat Katar.