Es kam fast beiläufig, im dritten Absatz, verpackt in einer schöner klingenden Meldung. Dennoch wird es den Aktionären der Volkswagen AG nicht entgangen sein: Der Wolfsburger Konzern hat seine Rückstellungen für die Dieselgate-Affäre ausweiten müssen.
„Zusätzlich mussten vor allem aufgrund weiterer rechtlicher Risiken, die im Wesentlichen auf Nordamerika entfallen, im ersten Halbjahr 2016 negative Sondereinflüsse in Höhe von 2,2 Milliarden Euro erfasst werden“, teilte der Konzern etwas verklausuliert am 20. Juli 2016 mit.
Damit erhöhen sich die bisher bereits einmal aufgestockten Rückstellungen des Konzerns in der Abgasaffäre von zuletzt 16,2 Milliarden auf nunmehr 18,4 Milliarden Euro. Das sind die höchsten Rückstellungen, die je ein Autokonzern in Deutschland für einen eingetretenen Schaden beiseitelegen musste. Entsprechend gab es auch für keine Aktionäre bisher solch einen hohen Schaden.
Nicht eindeutig aber möglich erscheint Beobachtern, dass die zusätzlichen Rückstellungen eine Reaktion auf weitere Klagen in den USA gegen Volkswagen sind, die am gestrigen 19. Juli publik geworden sind. Mehrere US-Bundesstaaten hatten angekündigt, gegen VW vor Gericht ziehen zu wollen – und dabei schwere Vorwürfe gegen das Volkswagen-Management erhoben.
Die Generalstaatsanwälte der drei US-Bundesstaaten Maryland, New York und Massachusetts gaben in einer gemeinsamen Erklärung an, dass die Abgasmanipulationen nicht nur vom VW-Vorstand geduldet worden seien. Im Gegenteil: Die Manipulation sei vielmehr auf höchster Ebene geplant und genehmigt gewesen, auch vom ehemaligen Volkswagen-Vorstandschef Martin Winterkorn, sagten die Generalstaatsanwälte Eric Schneiderman, Brian Frosh und Maura Healey.
Mehr noch: Eine Teilmitwisserschaft wird dem amtierenden VW-Chef Matthias Müller unterstellt. Wobei allerdings in der Klageschrift nur die Rede von einem „H. Müller“ ist, der 2006 als Projektmanager bei Audi Kenntnis über die Abgasmanipulationen erlangt haben soll. Matthias Müller war zu diesem Zeitpunkt Chefkoordinator der Markengruppe Audi, Seat und Lamborghini des VW-Konzerns. Ein leitender Audi-Mitarbeiter habe die Bezeichnung „H. Müller“ allerdings dem heutigen VW-Chef zugeordnet, heißt es in dem Dokument.
Volkswagen hält die Vorhaltungen gegen Müller für „unbegründet“. Ein Konzernsprecher bezeichnete die Vorwürfe gegenüber der Nachrichtenagentur dpa als „im Wesentlichen nicht neu“.
Und doch zeigen schon die erhöhten Rückstellungen, dass der juristische Druck auf den deutschen Konzern offenbar nicht sinkt, sondern eher steigt. So droht dem Konzern seit dieser Woche ein großes Gerichtsverfahren auch in Spanien.
Dort hat die spanische Verbraucherschutzorganisation OCU eine Sammelklage gegen den deutschen Autobauer beim Handelsgericht in Madrid eingereicht. Rund 4000 vom Abgas-Skandal betroffene Menschen haben sich nach Angaben der Verbraucherschützer bereits der Schadenersatzforderung angeschlossen. Die Forderung: Volkswagen soll die eigenen Fehler eingestehen, die Fahrzeuge reparieren und den Geschädigten 2000 Euro zahlen.
Die Klage in Madrid geht einher mit jüngst eingeleiteten Ermittlungen der spanischen Justiz wegen der VW-Abgasmanipulationen. Bei diesen Ermittlungen geht es in erster Linie um vermeintlichen Subventionsbetrug und Verstößen gegen Umweltgesetze.
Dass der Volkswagen-Aktienkurs angesichts dieser Nachrichten am 20. Juli 2016 nicht deutlich sinkt, liegt an der Meldung, in der Volkswagen seine Rückstellungs-Nachricht versteckt hatte. Danach betrug das operative Ergebnis „vor Sondereinflüssen“ von Volkswagen in den ersten sechs Monaten 7,5 Milliarden Euro – „trotz der wirtschaftlichen Auswirkungen der andauernden Abgasthematik“, wie Volkswagen selbst formulierte. Inklusive der nun neu getroffenen Rückstellungen sind es entsprechend 5,3 Milliarden Euro.
Auch der Ausblick, im laufenden Jahr einen vergleichsweise geringen Absatzrückgang von bis zu 5 Prozent und eine operative Rendite von 5 bis 6 Prozent zu erreichen, kam bei den gebeutelten Volkswagen-Aktionären offenbar an. Bis 13.30 Uhr zog der Aktienkurs um 6,6 Prozent auf 124,35 Euro an. Damit steht im Zwölf-Monats-Vergleich allerdings immer noch ein Minus von 41,77 Prozent.
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