Volkswagen hat mit seinem Dieselgate-Skandal einen Eintrag im deutschen Wirtschaftsgeschichtsbuch geschafft. Die Folgen für das Unternehmen und seine Aktionäre stehen nun etwa in einer Reihe mit dem Lipobay-Desaster des Pharmakonzerns Bayer, der Bayer um das Jahr 2002 herum fast in seiner Existenz bedroht hatte. Und damals wie jetzt auch im Dieselgate-Fall von VW droht der Crash wegen Verfahren in den USA.
Volkswagen beispielsweise hat zuletzt in San Francisco eine Art Zwischenerfolg erzielt, der es in sich hat: Bezirksrichter Charles Breyer hatte grünes Licht für einen ersten Dieselgate-Vergleich von insgesamt bis zu 15,3 Milliarden Dollar gegeben. Auf diesen hatte sich Volkswagen Ende Juni 2016 mit vielen Hundert US-Klägern sowie Generalstaatsanwälten von 44 Bundesstaaten geeinigt.
Doch der Vergleich umfasst nur einen Teil der Forderungen, die der Konzern vor allem in den Vereinigten Staaten offenbar noch erwarten muss. So hat beispielsweise der auch an dem Vergleich beteiligte US-Bundesstaat Washington wegen der manipulierten Emissionswerte bei WV eine Strafe in Höhe von 176 Millionen Dollar (knapp 160 Millionen Euro) gegenüber Volkwagen verhängt.
„Volkswagen hat die Luftreinhaltegesetze unseres Staates verletzt und die Gesundheit der Menschen gefährdet“, sagte Maia Bellon, Leiterin der Washingtoner Behörde.
Gleichwohl: Die Nachricht ist für Volkswagen und deren Aktionäre zwar niederschmetternd – ein gewaltiger Schaden. Höher als alle Infrastrukurausgaben in Deutschlands größtem Bundesland bis zum Jahr 2030 beispielsweise; NRW wird aus dem gerade beschlossenen Verkehrswegeplan für seine Straßen, Brücken und Kanäle nur 13,8 Milliarden Euro erhalten.
Doch dass VW überhaupt eine Einigung zustande gebracht hat, wird von den Aktionären der Gesellschaft schon als Erfolg gesehen.
Jetzt allerdings kommt auch in Deutschland noch einmal Fahrt in die Klagen gegen VW. „Bayern muss Volkswagen verklagen“, sagte der CSU-Generalsekretär Söder am 2. August 2016 nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters. „Der bayerische Pensionsfonds wird noch im September beim Landgericht Braunschweig Klage auf Schadenersatz einreichen.“
Es bestehe eine rechtliche Verpflichtung den Beschäftigten gegenüber, die in den Fonds einzahlen. Insgesamt gehe es um maximal 700.000 Euro.
Hintergrund der Entscheidung für eine Klage sind die massiven Wertverluste der VW-Aktien, nachdem der Dieselskandal im vergangenen September öffentlich bekannt wurde. Zwischenzeitlich hatte die VW-Vorzugsaktie mehr als 40 Prozent ihres Wertes verloren. Und noch am heutigen 5. August 2016 stehen die VW-Vorzüge mit Sicht auf ein und drei Jahre fast 35 Prozent im Minus.
Dass Deutschlands wichtigstes Börsenbarometer Dax, indem VW-Titel gelistet sind, etwa auf Dreijahressicht um 21,65 Prozent zulegen konnte, wird VW-Aktionäre zusätzlich ärgern.
Aus Sicht von Anlegern erstaunlich ist das Verhalten des Bundeslandes Niedersachsen, nach der Großfamilie Porsche/Piëch zweitgrößter Aktionär bei VW und mit einem Vetorecht im Aufsichtsrat ausgestattet.
„Es steht dem Freistaat Bayern frei, Klage gegen Volkswagen zu erheben, genau wie dies auch jede Privatperson oder jede andere juristische Person tun kann. Ob eine solche Klage Aussicht auf Erfolg hat, bleibt abzuwarten“, hieß es in einer Stellungnahme des niedersächsischen Finanzministers Peter-Jürgen Schneider (SPD).
Anleger-Anwälte beispielsweise wundern sich, warum das Bundesland nicht wenigstens versucht, einen Teil seiner eigenen zwischenzeitlichen Verluste wieder von VW zurückzubekommen. „Womöglich haben die niedersächsischen Politiker Angst, in einem Verfahren ihre eigene Rolle in dem Skandal thematisieren zu müssen“, argwöhnt ein Verteidiger hinter vorgehaltener Hand.
Hintergrund der Spekulation ist, dass Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) selbst Mitglied im VW-Aufsichtsrat ist. Gerätselt wird, wie weit die Aufsichtsräte über den Kundenbetrug informiert waren, sie also hätten eingreifen müssen.
Klar jedenfalls ist, dass hochrangige VW-Manager von dem Betrug zumindest viel früher wussten, als sie zu Beginn der Ermittlungen im September 2015 zugegeben hatten. Bereits im Mai 2014 und damit fast eineinhalb Jahre vor Bekanntwerden der Affäre um manipulierte Diesel-Abgaswerte sei ein erster Vermerk an den damaligen Konzernchef erstellt worden, teilte Volkswagen Anfang März 2016 mit.
Nach Meinung der Staatsanwaltschaft liegt mittlerweile dann auch ein Anfangsverdacht vor, dass etwa der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn die Anteilseigner des Volkswagen-Konzerns zu spät oder gar falsch über die Folgen des Abgasskandals für VW informiert habe.
Würde sich dieser Verdacht bestätigen, hätten die Beschuldigten gegen wichtige Informationspflichten verstoßen. Kläger könnten deshalb vor Gericht auf Schadenersatz für möglicherweise bei ihnen aufgelaufene Kursverluste dringen, die Volkswagen gegebenenfalls begleichen müsste.
Auslöser des Ermittlungsverfahrens ist eine Strafanzeige der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), wie die Staatsanwaltschaft Braunschweig am 20. Juni 2016 mitteilte. Die Bafin wacht beispielsweise über die Pflicht börsennotierter Unternehmen, die Finanzwelt korrekt über wichtige, weil beispielsweise kursrelevante Unternehmensereignisse zu informieren. Ein Mittel dazu sind Ad-hoc-Mitteilungen.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zielen nun darauf ab zu klären, ob Volkswagen-Manager sich der so genannten Marktmanipulation schuldig gemacht haben, sie also den VW-Anteilseignern „unrichtige oder irreführende Angaben“ gemacht oder ihnen Umstände verschwiegen haben, die zum Beispiel den Kurs der VW-Aktien beeinflussen konnten.
Sollte sich der Anfangsverdacht bestätigen, wiegt der Vorwurf schwer. Dann hätten die beschuldigten VW-Manager etwa die VW-Aktionäre bewusst in die Irre geführt. „Eine Marktmanipulation im Sinne dieser Strafnorm des Wertpapierhandelsgesetzes kann nur vorsätzlich begangen werden“, sagte Braunschweigs Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe bei Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens.
Auch die Kunden des Unternehmens Volkswagen fühlen sich nicht gut behandelt. In einer Auswertung, die irx.eu in den sozialen Medien unternommen hat, wird der Frust der Kunden deutlich (die Auswertung hat irx.eu mit eigenen Screening- und Analyse-Tools vorgenommen, die gegen Gebühr auch Social-Media-Kunden der irx.eu-Muttergesellschaft aktionaersforum service GmbH nutzen).
Die Frustration der Kunden richtet sich dabei mittlerweile nicht mehr allein gegen Volkswagen; diese Empörungswelle ebbt in den Sozialen Medien ab. Sie äußern sich enttäuscht darüber, dass deutsche VW-Kunden weniger Möglichkeiten auf kollektiven Rechtsschutz als die US-Kunden haben: Während sich dort Volkswagen-Kunden der betroffenen Modelle per se auf Vergleichsangebote von VW berufen können, muss hierzulande jede Kundin oder jeder Kunde notfalls klagen.
„Bei uns ist Verbraucherschutz noch so, wie er sein soll: Man schützt vor dem Verbraucher“, urteilte dann auch ein Social-Media-Nutzer. Ein anderer fragte: „Was können die Amis dafür, dass in Deutschland industriefreundliche Verbraucherschutzgesetze herrschen?“
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