Das Landgericht Braunschweig hat am 5. August 2016 entschieden, die Vielzahl hiesiger Dieselgate-Einzelklagen gegen Volkswagen in einem Musterverfahren verhandeln zu lassen (Aktenzeichen 5 OH 62/16); insgesamt seien 170 Schadensersatzklagen von Anlegern gegen Volkswagen anhängig.
Welcher Fall ausgewählt wird, entscheide sich voraussichtlich im Herbst 2016. Verhandelt wird dieser Musterfall dann anschließend beim Oberlandesgericht Braunschweig, das auch die Auswahl des Musterfalls treffe.
In dem Verfahren wird es darum gehen, ob Volkswagen seine Anleger zu spät über Dieselgate informiert habe. Denn das werfen die Kläger dem Autokonzern vor. Durch diese womöglich verspätete Information, insbesondere über die möglichen finanziellen Folgen des Skandals für Volkswagen, hätten sie ihre Anlageentscheidung in Volkswagen-Wertpapiere unter falschen Voraussetzungen treffen müssen – und schließlich riesige Wertverluste erlitten.
Der Volkswagen-Aktienkurs, etwa der VW-Vorzüge, liegt noch am heutigen 9. August 2016 um rund 35 Prozent unter dem Niveau, das die Notierung vor Bekanntgabe des im September 2015 aufgewiesen hatte.
Nach Angaben des Gerichts behaupten die Kläger in ihren Klageschriften, dass Volkswagen bereits im Jahr 2005 die später bemängelte Software zur Motorsteuerung in die Modelle einiger Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern habe einbauen lassen. Diese Motorsteuerung habe nach Angaben der US-Umweltbehörden EPA dafür gesorgt, dass versprochene Abgaswerte dieser Motoren zwar unter bestimmten Prüfbedingungen eingehalten worden seien, aber nicht unter dauerhaft realen Fahrbedingungen.
Aus Sicht der Kläger sei das dem VW-Vorstand spätestens seit Mai 2014 bekannt gewesen, als die US-Umweltbehörden EPA und CARB Ermittlungen in Reaktion auf eine Studie der Universität von West Virginia und der Umweltlobby ICCT aufnahmen. Doch der VW-Vorstand habe die VW-Anleger eben nicht über diese Erkenntnisse der US-Behörden und die möglichen Schadenfolgen daraus für VW informiert.
VW wies die Vorwürfe nach Angaben des Braunschweiger Gerichts zurück. Die Schummelei bei Diesel-Fahrzeugen sei VW erst mit der Anzeige der EPA am 18. September 2016 bekannt geworden. Entsprechend habe der Konzern auch keine kursrelevanten Information zurückgehalten, es seien keine Publizitätspflichten verletzt worden.
Ebenso sei der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn nicht im Sinne der Klagen haftbar zu machen. Begründung von VW nach Gerichtsangaben vom 8. August 2016: Der „Compliance-Verstoß sei auch intern nur äußerst schwer aufzudecken gewesen, da die Manipulation in den Tiefen der Software-Algorithmen vergraben gewesen sei und nur für Eingeweihte und nicht von außen erkennbar gewesen sei“.
Unter den Klagen sticht eine Großklage über insgesamt 3,255 Milliarden Euro heraus, die der Tübinger Rechtsanwalt Andreas Tilp für 277 institutionelle Investoren eingereicht hat; ursprünglich sei die Klage von 278 Investoren getragen worden. Danach folgt eine Klage über 680 Millionen Euro, die von der Kanzlei Quinn Emanuel vertreten wird. Das ist aber noch nicht alles.
Zuletzt hatte das Bundesland Bayern angekündigt, noch im September gegen VW vor Gericht zu ziehen. Die Bayern wollen Anlageschäden ihres Pensionsfonds für bayerische Landesbeschäftigte ersetzt erhalten, der ebenfalls in VW-Wertpapiere investiert hat. Die angegebene Schadenssumme fällt mit etwa 700.000 Euro allerdings viel geringer aus, als etwa die jener Kläger, die Rechtsanwalt Andreas Tilp vertritt.
Auch Hessen und Baden-Württemberg prüfen aus ähnlichen Gründen noch Klagen gegen VW, Niedersachsen will dagegen nicht klagen. Das norddeutsche Bundesland ist nach der Großfamilie Porsche/Piëch zweitgrößter Aktionär von VW.
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